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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 59. Die Aufsichtsgewalt.
der Gebundenheit, ebenso wie eine einfache Überschreitung des Um-
fanges der Gewalt zum Nachteile des Selbstverwaltungskörpers ist ein
Unrecht gegen diesen. Inwieweit Formen des Rechtsschutzes zu
seinen Gunsten gegeben sind, ist immer eine Frage für sich (Bd. I
§ 12 ff.).

2. Im Gegensatze zu dieser rechtlichen Bestimmung des Selbst-
verwaltungskörpers bedeutet die zweite Form der Aufsichtsgewalt ein
selbständiges Indiehandnehmen seiner Angelegenheiten; es wird nicht
gesprochen über ihn, sondern für ihn gehandelt, damit er seine
Lebensaufgabe vollziehe und gut vollziehe9. Insofern dadurch der
Wille der Aufsichtsgewalt sich unmittelbar durchsetzt, spricht man
wohl von Zwangsmaßregeln, die da getroffen werden. Wir wollen
es aufsichtsrechtliche Vollzugsmaßregeln nennen. Denn
ein eigentlicher Zwang gegen den Selbstverwaltungskörper ist darin
nicht zu finden. Zwang kommt höchstens zum Vorschein gegenüber
seinen Vertretern, und zwar in mehr oder minder deutlicher Aus-
prägung. Diese Vollzugsmaßregeln sind zweierlei Art, je nachdem
sie auf Besorgung von Geschäften des Selbstverwaltungskörpers oder
geradezu gegen sein Personal gerichtet sind, um dieses in Ordnung
zu halten.

Sofern der Aufsichtsgewalt eine thatsächliche Einmischung in
die Geschäfte
des Selbstverwaltungskörpers zusteht, ist den Ver-
tretern auferlegt, solches zu dulden, möglicherweise auch Dienstleist-
ungen dafür zu machen. Die wichtigste Art von Einmischung besteht
darin, daß sie einfach bei Seite geschoben werden, indem die Auf-
sichtsbehörde an ihrer Stelle handelt, nicht als Vertreterin des Selbst-
verwaltungskörpers, aber mit Wirkung für ihn, weil sie seine Vertreter
vertritt. Das setzt voraus, daß bei diesen irgend etwas nicht in
Ordnung ist, daß sie säumig, widerspenstig oder ungehorsam sind.
So werden insbesondere Akte der Vermögensverwaltung im Aufsichts-
wege vorgenommen: Verpachtungen, Bestellung von Prozeßbevoll-
mächtigten, Einschreibung von Ausgabeposten ins Budget, Gemeinde-
steuerauflagen. Daß die Behörde hier kraft Aufsichtsgewalt nicht
kraft Vertretungsbefugnis handelt, wird wichtig, sobald die Verantwort-
lichkeit in Frage kommt: das ist für solche Akte nicht die eines
Vertreters des Selbstverwaltungskörpers, sondern die Verantwortlichkeit

9 Gierke, Gen.Theorie S. 663, bezeichnet das Wesen dieser Einmischungen
dahin, "daß der Staat an Stelle eines nicht vorhandenen oder nicht ordnungs-
mäßig fungierenden Körperschaftsorgans mit unmittelbarer Wirkung für die
Gesamtperson will und handelt". Der Umweg über das Organ, zumal über das
nicht vorhandene, ist aber nicht wesentlich.

§ 59. Die Aufsichtsgewalt.
der Gebundenheit, ebenso wie eine einfache Überschreitung des Um-
fanges der Gewalt zum Nachteile des Selbstverwaltungskörpers ist ein
Unrecht gegen diesen. Inwieweit Formen des Rechtsschutzes zu
seinen Gunsten gegeben sind, ist immer eine Frage für sich (Bd. I
§ 12 ff.).

2. Im Gegensatze zu dieser rechtlichen Bestimmung des Selbst-
verwaltungskörpers bedeutet die zweite Form der Aufsichtsgewalt ein
selbständiges Indiehandnehmen seiner Angelegenheiten; es wird nicht
gesprochen über ihn, sondern für ihn gehandelt, damit er seine
Lebensaufgabe vollziehe und gut vollziehe9. Insofern dadurch der
Wille der Aufsichtsgewalt sich unmittelbar durchsetzt, spricht man
wohl von Zwangsmaßregeln, die da getroffen werden. Wir wollen
es aufsichtsrechtliche Vollzugsmaßregeln nennen. Denn
ein eigentlicher Zwang gegen den Selbstverwaltungskörper ist darin
nicht zu finden. Zwang kommt höchstens zum Vorschein gegenüber
seinen Vertretern, und zwar in mehr oder minder deutlicher Aus-
prägung. Diese Vollzugsmaßregeln sind zweierlei Art, je nachdem
sie auf Besorgung von Geschäften des Selbstverwaltungskörpers oder
geradezu gegen sein Personal gerichtet sind, um dieses in Ordnung
zu halten.

Sofern der Aufsichtsgewalt eine thatsächliche Einmischung in
die Geschäfte
des Selbstverwaltungskörpers zusteht, ist den Ver-
tretern auferlegt, solches zu dulden, möglicherweise auch Dienstleist-
ungen dafür zu machen. Die wichtigste Art von Einmischung besteht
darin, daß sie einfach bei Seite geschoben werden, indem die Auf-
sichtsbehörde an ihrer Stelle handelt, nicht als Vertreterin des Selbst-
verwaltungskörpers, aber mit Wirkung für ihn, weil sie seine Vertreter
vertritt. Das setzt voraus, daß bei diesen irgend etwas nicht in
Ordnung ist, daß sie säumig, widerspenstig oder ungehorsam sind.
So werden insbesondere Akte der Vermögensverwaltung im Aufsichts-
wege vorgenommen: Verpachtungen, Bestellung von Prozeßbevoll-
mächtigten, Einschreibung von Ausgabeposten ins Budget, Gemeinde-
steuerauflagen. Daß die Behörde hier kraft Aufsichtsgewalt nicht
kraft Vertretungsbefugnis handelt, wird wichtig, sobald die Verantwort-
lichkeit in Frage kommt: das ist für solche Akte nicht die eines
Vertreters des Selbstverwaltungskörpers, sondern die Verantwortlichkeit

9 Gierke, Gen.Theorie S. 663, bezeichnet das Wesen dieser Einmischungen
dahin, „daß der Staat an Stelle eines nicht vorhandenen oder nicht ordnungs-
mäßig fungierenden Körperschaftsorgans mit unmittelbarer Wirkung für die
Gesamtperson will und handelt“. Der Umweg über das Organ, zumal über das
nicht vorhandene, ist aber nicht wesentlich.
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[415/0427] § 59. Die Aufsichtsgewalt. der Gebundenheit, ebenso wie eine einfache Überschreitung des Um- fanges der Gewalt zum Nachteile des Selbstverwaltungskörpers ist ein Unrecht gegen diesen. Inwieweit Formen des Rechtsschutzes zu seinen Gunsten gegeben sind, ist immer eine Frage für sich (Bd. I § 12 ff.). 2. Im Gegensatze zu dieser rechtlichen Bestimmung des Selbst- verwaltungskörpers bedeutet die zweite Form der Aufsichtsgewalt ein selbständiges Indiehandnehmen seiner Angelegenheiten; es wird nicht gesprochen über ihn, sondern für ihn gehandelt, damit er seine Lebensaufgabe vollziehe und gut vollziehe 9. Insofern dadurch der Wille der Aufsichtsgewalt sich unmittelbar durchsetzt, spricht man wohl von Zwangsmaßregeln, die da getroffen werden. Wir wollen es aufsichtsrechtliche Vollzugsmaßregeln nennen. Denn ein eigentlicher Zwang gegen den Selbstverwaltungskörper ist darin nicht zu finden. Zwang kommt höchstens zum Vorschein gegenüber seinen Vertretern, und zwar in mehr oder minder deutlicher Aus- prägung. Diese Vollzugsmaßregeln sind zweierlei Art, je nachdem sie auf Besorgung von Geschäften des Selbstverwaltungskörpers oder geradezu gegen sein Personal gerichtet sind, um dieses in Ordnung zu halten. Sofern der Aufsichtsgewalt eine thatsächliche Einmischung in die Geschäfte des Selbstverwaltungskörpers zusteht, ist den Ver- tretern auferlegt, solches zu dulden, möglicherweise auch Dienstleist- ungen dafür zu machen. Die wichtigste Art von Einmischung besteht darin, daß sie einfach bei Seite geschoben werden, indem die Auf- sichtsbehörde an ihrer Stelle handelt, nicht als Vertreterin des Selbst- verwaltungskörpers, aber mit Wirkung für ihn, weil sie seine Vertreter vertritt. Das setzt voraus, daß bei diesen irgend etwas nicht in Ordnung ist, daß sie säumig, widerspenstig oder ungehorsam sind. So werden insbesondere Akte der Vermögensverwaltung im Aufsichts- wege vorgenommen: Verpachtungen, Bestellung von Prozeßbevoll- mächtigten, Einschreibung von Ausgabeposten ins Budget, Gemeinde- steuerauflagen. Daß die Behörde hier kraft Aufsichtsgewalt nicht kraft Vertretungsbefugnis handelt, wird wichtig, sobald die Verantwort- lichkeit in Frage kommt: das ist für solche Akte nicht die eines Vertreters des Selbstverwaltungskörpers, sondern die Verantwortlichkeit 9 Gierke, Gen.Theorie S. 663, bezeichnet das Wesen dieser Einmischungen dahin, „daß der Staat an Stelle eines nicht vorhandenen oder nicht ordnungs- mäßig fungierenden Körperschaftsorgans mit unmittelbarer Wirkung für die Gesamtperson will und handelt“. Der Umweg über das Organ, zumal über das nicht vorhandene, ist aber nicht wesentlich.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/427>, abgerufen am 07.05.2024.