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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 57. Entstehung des Selbstverwaltungskörpers.

Wo das staatliche Interesse am Zustandekommen der öffentlichen
Genossenschaft stärker ist, wird es sich darin äußern, daß die Bildung
des grundlegenden Vereins rechtlich begünstigt wird. Die nächste
Form dafür ist die des halben Zwangs. Das Gesetz bestimmt
gewisse Merkmale, welche zur Mitgliedschaft einer zu bildenden
Genossenschaft berufen. Alle, bei welchen diese zutreffen, können
durch Mehrheitsbeschluß der Mitbeteiligten verbunden werden, sich
dazu herzugeben. Fertig wird die also ermöglichte Genossenschaft
erst durch den obrigkeitlichen Akt, der sie für begründet erklärt und
seinerseits entweder mit freiem Ermessen erlassen wird oder mit recht-
licher Gebundenheit gegenüber dem die gesetzlichen Voraussetzungen
erfüllenden Vereinsbeschluß9.

Endlich kann die Regierung ermächtigt sein, die Genossenschaft
allein und unabhängig von dem Willen der Beteiligten zu gründen.
Dazu bedarf es der gesetzlichen Grundlage, die auch die Merkmale
bezeichnet, nach welchen die Zugehörigkeit sich bestimmen soll. Die
öffentliche Genossenschaft wird dann gebildet in Form der Zwangs-
vereinigung:
der Verwaltungsakt giebt ihr zugleich ihre Verfassung
und ihre Mitglieder10.

9 Beispiele geben die landwirtschaftlichen Genossenschaften für Bewässerung
und Entwässerung, Deichschutz, Forstbetrieb; vgl. Bayr. Ges. über Bewässerungs-
und Entwässerungsunternehmungen v. 28. Mai 1852 Art. 6. -- Statt von einer
Mehrheit von Angehörigen kann die Vereinsgrundlage auch geschaffen werden von
einem besonders hervorragenden Mitgliede, dessen Willenserklärung das Gesetz
dafür genügen läßt. So nach Krank. Vers.Ges. § 61 vom Fabrikherrn hehufs Er-
richtung einer Fabrikkrankenkasse. Sein Antrag genügt, damit die Behörde er-
mächtigt sei, durch Genehmigung der Statuten die öffentliche Genossenschaft ent-
stehen zu lassen. Beschäftigt er mehr als 50 Arbeiter, so ist er sogar be-
rechtigt
zur Errichtung der Kasse, das will sagen, die Behörde ist gebunden,
seinem Antrage Folge zu geben. Für Rosin, Öff. Gen. S. 140, bildet das eine
besondere Art der Entstehung der Genossenschaft, insofern sie hier auf dem
Willensentschlusse einer "dritten Persönlichkeit" beruhte. Das hängt damit zu-
sammen, daß er unrichtigerweise den Arbeitgeber nicht als Mitglied der Genossen-
schaft gelten läßt (oben § 56 Note 8).
10 Unf.Vers.Ges. v. 6. Juli 1884 § 15: Bildung der Berufsgenossenschaft durch
den Bundesrat. Ebendahin gehört die Bildung der Ortskrankenkassen durch die
Gemeinden nach Krank.Vers.Ges. v. 10. April 1872 § 16 ff. Die Gemeindebehörde
beschließt entweder selbständig über die Notwendigkeit (§ 16: "sind berechtigt
zu errichten"), oder wird von der höheren Verwaltungsbehörde dazu angehalten
(§ 17: "kann die Gemeinde verpflichtet werden, .... zu errichten"). Eine Zwei-
teilung des Gründungshergangs besteht wieder insofern, als der besondere Inhalt
des Statuts immer nur unter Mitwirkung der höheren Verwaltungsbehörde fest-
gesetzt wird. Die Gemeinde aber, bei welcher die ordentliche Zuständigkeit liegt,
erscheint an Stelle des Staates als Schöpferin der juristischen Person, gerade so,
§ 57. Entstehung des Selbstverwaltungskörpers.

Wo das staatliche Interesse am Zustandekommen der öffentlichen
Genossenschaft stärker ist, wird es sich darin äußern, daß die Bildung
des grundlegenden Vereins rechtlich begünstigt wird. Die nächste
Form dafür ist die des halben Zwangs. Das Gesetz bestimmt
gewisse Merkmale, welche zur Mitgliedschaft einer zu bildenden
Genossenschaft berufen. Alle, bei welchen diese zutreffen, können
durch Mehrheitsbeschluß der Mitbeteiligten verbunden werden, sich
dazu herzugeben. Fertig wird die also ermöglichte Genossenschaft
erst durch den obrigkeitlichen Akt, der sie für begründet erklärt und
seinerseits entweder mit freiem Ermessen erlassen wird oder mit recht-
licher Gebundenheit gegenüber dem die gesetzlichen Voraussetzungen
erfüllenden Vereinsbeschluß9.

Endlich kann die Regierung ermächtigt sein, die Genossenschaft
allein und unabhängig von dem Willen der Beteiligten zu gründen.
Dazu bedarf es der gesetzlichen Grundlage, die auch die Merkmale
bezeichnet, nach welchen die Zugehörigkeit sich bestimmen soll. Die
öffentliche Genossenschaft wird dann gebildet in Form der Zwangs-
vereinigung:
der Verwaltungsakt giebt ihr zugleich ihre Verfassung
und ihre Mitglieder10.

9 Beispiele geben die landwirtschaftlichen Genossenschaften für Bewässerung
und Entwässerung, Deichschutz, Forstbetrieb; vgl. Bayr. Ges. über Bewässerungs-
und Entwässerungsunternehmungen v. 28. Mai 1852 Art. 6. — Statt von einer
Mehrheit von Angehörigen kann die Vereinsgrundlage auch geschaffen werden von
einem besonders hervorragenden Mitgliede, dessen Willenserklärung das Gesetz
dafür genügen läßt. So nach Krank. Vers.Ges. § 61 vom Fabrikherrn hehufs Er-
richtung einer Fabrikkrankenkasse. Sein Antrag genügt, damit die Behörde er-
mächtigt sei, durch Genehmigung der Statuten die öffentliche Genossenschaft ent-
stehen zu lassen. Beschäftigt er mehr als 50 Arbeiter, so ist er sogar be-
rechtigt
zur Errichtung der Kasse, das will sagen, die Behörde ist gebunden,
seinem Antrage Folge zu geben. Für Rosin, Öff. Gen. S. 140, bildet das eine
besondere Art der Entstehung der Genossenschaft, insofern sie hier auf dem
Willensentschlusse einer „dritten Persönlichkeit“ beruhte. Das hängt damit zu-
sammen, daß er unrichtigerweise den Arbeitgeber nicht als Mitglied der Genossen-
schaft gelten läßt (oben § 56 Note 8).
10 Unf.Vers.Ges. v. 6. Juli 1884 § 15: Bildung der Berufsgenossenschaft durch
den Bundesrat. Ebendahin gehört die Bildung der Ortskrankenkassen durch die
Gemeinden nach Krank.Vers.Ges. v. 10. April 1872 § 16 ff. Die Gemeindebehörde
beschließt entweder selbständig über die Notwendigkeit (§ 16: „sind berechtigt
zu errichten“), oder wird von der höheren Verwaltungsbehörde dazu angehalten
(§ 17: „kann die Gemeinde verpflichtet werden, .... zu errichten“). Eine Zwei-
teilung des Gründungshergangs besteht wieder insofern, als der besondere Inhalt
des Statuts immer nur unter Mitwirkung der höheren Verwaltungsbehörde fest-
gesetzt wird. Die Gemeinde aber, bei welcher die ordentliche Zuständigkeit liegt,
erscheint an Stelle des Staates als Schöpferin der juristischen Person, gerade so,
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[393/0405] § 57. Entstehung des Selbstverwaltungskörpers. Wo das staatliche Interesse am Zustandekommen der öffentlichen Genossenschaft stärker ist, wird es sich darin äußern, daß die Bildung des grundlegenden Vereins rechtlich begünstigt wird. Die nächste Form dafür ist die des halben Zwangs. Das Gesetz bestimmt gewisse Merkmale, welche zur Mitgliedschaft einer zu bildenden Genossenschaft berufen. Alle, bei welchen diese zutreffen, können durch Mehrheitsbeschluß der Mitbeteiligten verbunden werden, sich dazu herzugeben. Fertig wird die also ermöglichte Genossenschaft erst durch den obrigkeitlichen Akt, der sie für begründet erklärt und seinerseits entweder mit freiem Ermessen erlassen wird oder mit recht- licher Gebundenheit gegenüber dem die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllenden Vereinsbeschluß 9. Endlich kann die Regierung ermächtigt sein, die Genossenschaft allein und unabhängig von dem Willen der Beteiligten zu gründen. Dazu bedarf es der gesetzlichen Grundlage, die auch die Merkmale bezeichnet, nach welchen die Zugehörigkeit sich bestimmen soll. Die öffentliche Genossenschaft wird dann gebildet in Form der Zwangs- vereinigung: der Verwaltungsakt giebt ihr zugleich ihre Verfassung und ihre Mitglieder 10. 9 Beispiele geben die landwirtschaftlichen Genossenschaften für Bewässerung und Entwässerung, Deichschutz, Forstbetrieb; vgl. Bayr. Ges. über Bewässerungs- und Entwässerungsunternehmungen v. 28. Mai 1852 Art. 6. — Statt von einer Mehrheit von Angehörigen kann die Vereinsgrundlage auch geschaffen werden von einem besonders hervorragenden Mitgliede, dessen Willenserklärung das Gesetz dafür genügen läßt. So nach Krank. Vers.Ges. § 61 vom Fabrikherrn hehufs Er- richtung einer Fabrikkrankenkasse. Sein Antrag genügt, damit die Behörde er- mächtigt sei, durch Genehmigung der Statuten die öffentliche Genossenschaft ent- stehen zu lassen. Beschäftigt er mehr als 50 Arbeiter, so ist er sogar be- rechtigt zur Errichtung der Kasse, das will sagen, die Behörde ist gebunden, seinem Antrage Folge zu geben. Für Rosin, Öff. Gen. S. 140, bildet das eine besondere Art der Entstehung der Genossenschaft, insofern sie hier auf dem Willensentschlusse einer „dritten Persönlichkeit“ beruhte. Das hängt damit zu- sammen, daß er unrichtigerweise den Arbeitgeber nicht als Mitglied der Genossen- schaft gelten läßt (oben § 56 Note 8). 10 Unf.Vers.Ges. v. 6. Juli 1884 § 15: Bildung der Berufsgenossenschaft durch den Bundesrat. Ebendahin gehört die Bildung der Ortskrankenkassen durch die Gemeinden nach Krank.Vers.Ges. v. 10. April 1872 § 16 ff. Die Gemeindebehörde beschließt entweder selbständig über die Notwendigkeit (§ 16: „sind berechtigt zu errichten“), oder wird von der höheren Verwaltungsbehörde dazu angehalten (§ 17: „kann die Gemeinde verpflichtet werden, .... zu errichten“). Eine Zwei- teilung des Gründungshergangs besteht wieder insofern, als der besondere Inhalt des Statuts immer nur unter Mitwirkung der höheren Verwaltungsbehörde fest- gesetzt wird. Die Gemeinde aber, bei welcher die ordentliche Zuständigkeit liegt, erscheint an Stelle des Staates als Schöpferin der juristischen Person, gerade so,

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/405>, abgerufen am 23.11.2024.