Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
geltenden Lasten auch auf älteren Anordnungen, welche dem Gesetze
gleichgeachtet werden, oder auf altem Herkommen (Bd. I S. 120, 132).

Nicht hierher gehören einerseits die auf alten genossenschaft-
lichen Ordnungen und Herkommen beruhenden Reallasten, auch
wenn sie zu Gunsten gewisser gemeindlicher Einrichtungen bestehen,
wie Wege, Feuerlöschanstalten, Wasserschutz, Armenpflege, und des-
halb jetzt als öffentlichrechtliche Leistungspflichten aufgefaßt werden.
Sie hängen dinglich am bestimmten Grundstück in unveränderlichem
Umfang5.

Andererseits ist auch auszuscheiden das Notstandsrecht der
öffentlichen Verwaltung, welches bei dringender Gefahr und zur Ab-
wehr schwerer Übel die Habe der Unterthanen in Anspruch nehmen
läßt ohne Gesetz und sonstigen Rechtssatz. Der verfassungsmäßige
Vorbehalt, der das Eigentum gegen solche Eingriffe schützt, gilt,
ähnlich wie bei der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung (oben
§ 41 S. 187), für diesen Fall nicht als gemeint, und die vollziehende
Gewalt wird ihm gegenüber frei. Aber eine Lastpflicht ist dabei nicht
entstanden; es ist alles thatsächliche Gewalt6. --

Die Geltendmachung unserer rechtssatzmäßigen Lastpflicht nimmt
im Einzelfalle folgenden Gang.

1. Die erste Voraussetzung ist mit dem grundlegenden Rechts-

Sicherheit solche Verordnungen zu erlassen. Polizeigewaltübung im heutigen Be-
griffe der Polizei ist diese Heranziehung zu Dienstleistungen niemals; vgl. Bd. I
§ 19 Note 10. Gesetzliche Bestimmungen, welche derartige Verordnungen be-
sonders zulassen, bleiben natürlich in Gültigkeit, auch wenn sie der älteren Auf-
fassung folgend die Vorschrift für eine polizeiliche angesehen haben. Vgl. Bd. 1
§ 18 Note 13, § 19 Note 14. C.C.H. 13. Jan. 1872 (J.M.Bl. 1872 S. 99); V.G.H.
28. Juli 1882 (Samml. IV S. 181); Ob.L.G. Dresden 16. Juni 1887 (Sächs. Ztschft.
f. Pr. IX S. 19).
5 Über die Ausscheidung öffentlichrechtlicher Reallasten: Förster-Eccius,
Preuß.Priv.R. III, S. 411 ff., S. 423; Stobbe, D.Pr.R. § 100 u. IV.
6 Es gehört viel Gleichgültigkeit gegen die festen Formen unserer Rechts-
institute dazu, um das noch zur Enteignung zu rechnen; so Loebell, Ent.Ges.
S. 29; Foerstemann, Pol.R. S. 463; dagegen mit Recht Gleim im Arch. f.
Eisenbahnwesen 1885 S. 49. Ebensowenig darf man umgekehrt die Enteignung
als Notstandsbefugnis erklären wollen; so Jhering, Zweck im R. S. 419 Note,
und ihm folgend R. Merkel, Kollis. rechtm. Interessen S. 49 ff. Der außer-
ordentliche thatsächliche Eingriff muß als das kennzeichnende Merkmal bleiben.
Daß die Notstandsbefugnis selbst eine andere rechtliche Natur und Gestalt im
öffentlichen Rechte hat als im Civilrecht, ist leicht zu erkennen. Auch der Unter-
schied von der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung ist festzuhalten: diese
setzt keine Not voraus, um wirksam zu werden, es genügt der bloße Zusammen-
stoß mit der öffentlichen Verwaltung.

Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
geltenden Lasten auch auf älteren Anordnungen, welche dem Gesetze
gleichgeachtet werden, oder auf altem Herkommen (Bd. I S. 120, 132).

Nicht hierher gehören einerseits die auf alten genossenschaft-
lichen Ordnungen und Herkommen beruhenden Reallasten, auch
wenn sie zu Gunsten gewisser gemeindlicher Einrichtungen bestehen,
wie Wege, Feuerlöschanstalten, Wasserschutz, Armenpflege, und des-
halb jetzt als öffentlichrechtliche Leistungspflichten aufgefaßt werden.
Sie hängen dinglich am bestimmten Grundstück in unveränderlichem
Umfang5.

Andererseits ist auch auszuscheiden das Notstandsrecht der
öffentlichen Verwaltung, welches bei dringender Gefahr und zur Ab-
wehr schwerer Übel die Habe der Unterthanen in Anspruch nehmen
läßt ohne Gesetz und sonstigen Rechtssatz. Der verfassungsmäßige
Vorbehalt, der das Eigentum gegen solche Eingriffe schützt, gilt,
ähnlich wie bei der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung (oben
§ 41 S. 187), für diesen Fall nicht als gemeint, und die vollziehende
Gewalt wird ihm gegenüber frei. Aber eine Lastpflicht ist dabei nicht
entstanden; es ist alles thatsächliche Gewalt6. —

Die Geltendmachung unserer rechtssatzmäßigen Lastpflicht nimmt
im Einzelfalle folgenden Gang.

1. Die erste Voraussetzung ist mit dem grundlegenden Rechts-

Sicherheit solche Verordnungen zu erlassen. Polizeigewaltübung im heutigen Be-
griffe der Polizei ist diese Heranziehung zu Dienstleistungen niemals; vgl. Bd. I
§ 19 Note 10. Gesetzliche Bestimmungen, welche derartige Verordnungen be-
sonders zulassen, bleiben natürlich in Gültigkeit, auch wenn sie der älteren Auf-
fassung folgend die Vorschrift für eine polizeiliche angesehen haben. Vgl. Bd. 1
§ 18 Note 13, § 19 Note 14. C.C.H. 13. Jan. 1872 (J.M.Bl. 1872 S. 99); V.G.H.
28. Juli 1882 (Samml. IV S. 181); Ob.L.G. Dresden 16. Juni 1887 (Sächs. Ztschft.
f. Pr. IX S. 19).
5 Über die Ausscheidung öffentlichrechtlicher Reallasten: Förster-Eccius,
Preuß.Priv.R. III, S. 411 ff., S. 423; Stobbe, D.Pr.R. § 100 u. IV.
6 Es gehört viel Gleichgültigkeit gegen die festen Formen unserer Rechts-
institute dazu, um das noch zur Enteignung zu rechnen; so Loebell, Ent.Ges.
S. 29; Foerstemann, Pol.R. S. 463; dagegen mit Recht Gleim im Arch. f.
Eisenbahnwesen 1885 S. 49. Ebensowenig darf man umgekehrt die Enteignung
als Notstandsbefugnis erklären wollen; so Jhering, Zweck im R. S. 419 Note,
und ihm folgend R. Merkel, Kollis. rechtm. Interessen S. 49 ff. Der außer-
ordentliche thatsächliche Eingriff muß als das kennzeichnende Merkmal bleiben.
Daß die Notstandsbefugnis selbst eine andere rechtliche Natur und Gestalt im
öffentlichen Rechte hat als im Civilrecht, ist leicht zu erkennen. Auch der Unter-
schied von der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung ist festzuhalten: diese
setzt keine Not voraus, um wirksam zu werden, es genügt der bloße Zusammen-
stoß mit der öffentlichen Verwaltung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0280" n="268"/><fw place="top" type="header">Recht der besonderen Schuldverhältnisse.</fw><lb/>
geltenden Lasten auch auf älteren Anordnungen, welche dem Gesetze<lb/>
gleichgeachtet werden, oder auf altem Herkommen (Bd. I S. 120, 132).</p><lb/>
              <p>Nicht hierher gehören einerseits die auf alten genossenschaft-<lb/>
lichen Ordnungen und Herkommen beruhenden <hi rendition="#g">Reallasten,</hi> auch<lb/>
wenn sie zu Gunsten gewisser gemeindlicher Einrichtungen bestehen,<lb/>
wie Wege, Feuerlöschanstalten, Wasserschutz, Armenpflege, und des-<lb/>
halb jetzt als öffentlichrechtliche Leistungspflichten aufgefaßt werden.<lb/>
Sie hängen dinglich am bestimmten Grundstück in unveränderlichem<lb/>
Umfang<note place="foot" n="5">Über die Ausscheidung öffentlichrechtlicher Reallasten: <hi rendition="#g">Förster-Eccius,</hi><lb/>
Preuß.Priv.R. III, S. 411 ff., S. 423; <hi rendition="#g">Stobbe,</hi> D.Pr.R. § 100 u. IV.</note>.</p><lb/>
              <p>Andererseits ist auch auszuscheiden das <hi rendition="#g">Notstandsrecht</hi> der<lb/>
öffentlichen Verwaltung, welches bei dringender Gefahr und zur Ab-<lb/>
wehr schwerer Übel die Habe der Unterthanen in Anspruch nehmen<lb/>
läßt ohne Gesetz und sonstigen Rechtssatz. Der verfassungsmäßige<lb/>
Vorbehalt, der das Eigentum gegen solche Eingriffe schützt, gilt,<lb/>
ähnlich wie bei der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung (oben<lb/>
§ 41 S. 187), für diesen Fall nicht als gemeint, und die vollziehende<lb/>
Gewalt wird ihm gegenüber frei. Aber eine Lastpflicht ist dabei nicht<lb/>
entstanden; es ist alles thatsächliche Gewalt<note place="foot" n="6">Es gehört viel Gleichgültigkeit gegen die festen Formen unserer Rechts-<lb/>
institute dazu, um das noch zur Enteignung zu rechnen; so <hi rendition="#g">Loebell,</hi> Ent.Ges.<lb/>
S. 29; <hi rendition="#g">Foerstemann,</hi> Pol.R. S. 463; dagegen mit Recht <hi rendition="#g">Gleim</hi> im Arch. f.<lb/>
Eisenbahnwesen 1885 S. 49. Ebensowenig darf man umgekehrt die Enteignung<lb/>
als Notstandsbefugnis erklären wollen; so <hi rendition="#g">Jhering,</hi> Zweck im R. S. 419 Note,<lb/>
und ihm folgend R. <hi rendition="#g">Merkel,</hi> Kollis. rechtm. Interessen S. 49 ff. Der außer-<lb/>
ordentliche thatsächliche Eingriff muß als das kennzeichnende Merkmal bleiben.<lb/>
Daß die Notstandsbefugnis selbst eine andere rechtliche Natur und Gestalt im<lb/>
öffentlichen Rechte hat als im Civilrecht, ist leicht zu erkennen. Auch der Unter-<lb/>
schied von der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung ist festzuhalten: diese<lb/>
setzt keine Not voraus, um wirksam zu werden, es genügt der bloße Zusammen-<lb/>
stoß mit der öffentlichen Verwaltung.</note>. &#x2014;</p><lb/>
              <p>Die Geltendmachung unserer rechtssatzmäßigen Lastpflicht nimmt<lb/>
im Einzelfalle folgenden Gang.</p><lb/>
              <p>1. Die erste Voraussetzung ist mit dem grundlegenden Rechts-<lb/><note xml:id="seg2pn_76_2" prev="#seg2pn_76_1" place="foot" n="4">Sicherheit solche Verordnungen zu erlassen. Polizeigewaltübung im heutigen Be-<lb/>
griffe der Polizei ist diese Heranziehung zu Dienstleistungen niemals; vgl. Bd. I<lb/>
§ 19 Note 10. Gesetzliche Bestimmungen, welche derartige Verordnungen be-<lb/>
sonders zulassen, bleiben natürlich in Gültigkeit, auch wenn sie der älteren Auf-<lb/>
fassung folgend die Vorschrift für eine polizeiliche angesehen haben. Vgl. Bd. 1<lb/>
§ 18 Note 13, § 19 Note 14. C.C.H. 13. Jan. 1872 (J.M.Bl. 1872 S. 99); V.G.H.<lb/>
28. Juli 1882 (Samml. IV S. 181); Ob.L.G. Dresden 16. Juni 1887 (Sächs. Ztschft.<lb/>
f. Pr. IX S. 19).</note><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0280] Recht der besonderen Schuldverhältnisse. geltenden Lasten auch auf älteren Anordnungen, welche dem Gesetze gleichgeachtet werden, oder auf altem Herkommen (Bd. I S. 120, 132). Nicht hierher gehören einerseits die auf alten genossenschaft- lichen Ordnungen und Herkommen beruhenden Reallasten, auch wenn sie zu Gunsten gewisser gemeindlicher Einrichtungen bestehen, wie Wege, Feuerlöschanstalten, Wasserschutz, Armenpflege, und des- halb jetzt als öffentlichrechtliche Leistungspflichten aufgefaßt werden. Sie hängen dinglich am bestimmten Grundstück in unveränderlichem Umfang 5. Andererseits ist auch auszuscheiden das Notstandsrecht der öffentlichen Verwaltung, welches bei dringender Gefahr und zur Ab- wehr schwerer Übel die Habe der Unterthanen in Anspruch nehmen läßt ohne Gesetz und sonstigen Rechtssatz. Der verfassungsmäßige Vorbehalt, der das Eigentum gegen solche Eingriffe schützt, gilt, ähnlich wie bei der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung (oben § 41 S. 187), für diesen Fall nicht als gemeint, und die vollziehende Gewalt wird ihm gegenüber frei. Aber eine Lastpflicht ist dabei nicht entstanden; es ist alles thatsächliche Gewalt 6. — Die Geltendmachung unserer rechtssatzmäßigen Lastpflicht nimmt im Einzelfalle folgenden Gang. 1. Die erste Voraussetzung ist mit dem grundlegenden Rechts- 4 5 Über die Ausscheidung öffentlichrechtlicher Reallasten: Förster-Eccius, Preuß.Priv.R. III, S. 411 ff., S. 423; Stobbe, D.Pr.R. § 100 u. IV. 6 Es gehört viel Gleichgültigkeit gegen die festen Formen unserer Rechts- institute dazu, um das noch zur Enteignung zu rechnen; so Loebell, Ent.Ges. S. 29; Foerstemann, Pol.R. S. 463; dagegen mit Recht Gleim im Arch. f. Eisenbahnwesen 1885 S. 49. Ebensowenig darf man umgekehrt die Enteignung als Notstandsbefugnis erklären wollen; so Jhering, Zweck im R. S. 419 Note, und ihm folgend R. Merkel, Kollis. rechtm. Interessen S. 49 ff. Der außer- ordentliche thatsächliche Eingriff muß als das kennzeichnende Merkmal bleiben. Daß die Notstandsbefugnis selbst eine andere rechtliche Natur und Gestalt im öffentlichen Rechte hat als im Civilrecht, ist leicht zu erkennen. Auch der Unter- schied von der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung ist festzuhalten: diese setzt keine Not voraus, um wirksam zu werden, es genügt der bloße Zusammen- stoß mit der öffentlichen Verwaltung. 4 Sicherheit solche Verordnungen zu erlassen. Polizeigewaltübung im heutigen Be- griffe der Polizei ist diese Heranziehung zu Dienstleistungen niemals; vgl. Bd. I § 19 Note 10. Gesetzliche Bestimmungen, welche derartige Verordnungen be- sonders zulassen, bleiben natürlich in Gültigkeit, auch wenn sie der älteren Auf- fassung folgend die Vorschrift für eine polizeiliche angesehen haben. Vgl. Bd. 1 § 18 Note 13, § 19 Note 14. C.C.H. 13. Jan. 1872 (J.M.Bl. 1872 S. 99); V.G.H. 28. Juli 1882 (Samml. IV S. 181); Ob.L.G. Dresden 16. Juni 1887 (Sächs. Ztschft. f. Pr. IX S. 19).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/280
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/280>, abgerufen am 21.05.2024.