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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 37. Der Gemeingebrauch.

Eine sehr häufig aufgestellte Erklärungsweise geht dahin, daß
die Anlieger eine civilrechtliche Servitut oder ein besonderes servitut-
artiges Recht an ihrer Straße erworben hätten. Damit ist dann das
Thor geöffnet für die Meinung, dingliche Rechte nach Civilrecht
könnten schlechthin an der Straße begründet werden, und der ganze
Begriff des öffentlichen Eigentums verwischt. Mit dieser Servitut
stünde es freilich sehr eigentümlich. So lange nämlich die Straße
besteht, würde sie keine Wirkung äußern, die nicht auch schon der
Gemeingebrauch ergäbe. Wenn aber die Straße verlegt oder sonst
der bisherige Straßenboden civilrechtlicher Rechtsbegründung zugäng-
lich wird, dann soll erst recht keine Servitut vorhanden sein, sondern
lediglich ein Anspruch auf Entschädigung. Nur um diesen zu be-
gründen, auf den es allein abgesehen ist, wird der Umweg durch die
Annahme einer Servitut gemacht, die sonst niemals selber zum Vor-
schein kommt30.

Und wie soll die Servitut begründet sein? In dieser Be-
ziehung wird uns ziemlich viel zugemutet. Die Servitut soll nämlich
durch Vertrag entstehen. Der Staat, die Gemeinde haben durch
Anlage der Straße die Angrenzer eingeladen, Häuser daran zu er-
richten, und für diesen Fall die Servitut bewilligt. Durch Erbauung
eines Hauses nimmt man diese stillschweigende Offerte stillschweigend
an31! Vorher schon gebaute Häuser haben allerdings das gleiche

30 Nur vereinzelt kommt der Versuch vor, eine auch nach Auflassung der
Straße fortdauernde Servitut zu behaupten. O.Tr. 27. April 1869 (Str. 74 S. 278):
In Bonn hatte die Stadt einen Teil der bisherigen Straße zu dem Hausbau eines
Privaten abgetreten; der Nachbar verliert seine Aussicht und klagt gegen den
Eigentümer des Neubaues auf Beseitigung. Der Appellhof Köln weist ab, weil es
sich um "eine polizeiliche Maßregel" handle, für welche nur Entschädigung be-
ansprucht werden könne; die bekannte Formel! Das Ober-Tribunal bestätigt,
aber aus anderen Gründen: "Das Recht des Adjacenten findet seine Grenze in dem-
jenigen Rechte der Belastung des öffentlichen Eigentums, welches, indem es un-
erläßliche Voraussetzung der Bewohnbarkeit jenes Hauses bildet, als von der
Verwaltung stillschweigend übernommen betrachtet werden darf. Dazu gehört die
Aussicht nicht. Der Verklagte ist aber nicht weiter verpflichtet, als die Stadt es
sein würde, wenn sie selbst gebaut hätte." Hier wird also geradezu die Belastung
der Straße durch den Gemeingebrauch für die angrenzenden Häuser in civilrecht-
liche Dienstbarkeiten nach Auflassung der Straße übersetzt. Das ist ein seltener
Fall, erklärlich wohl nur dadurch, daß das Gericht in der Lage war, der vermeint-
lichen Dienstbarkeit gleichwohl die Wirksamkeit absprechen zu können.
31 R.G. 13. Febr. 1883 (Samml. X S. 271 ff.): Darin, daß von der Verwaltung
ein bestimmtes Terrain zur städtischen Straße erklärt wird, liegt die Aufforderung,
Häuser an derselben zu errichten. So wird zwischen der Gemeinde und den jener
Aufforderung entsprechenden Grundeigentümern ein stillschweigendes Vertrags-
§ 37. Der Gemeingebrauch.

Eine sehr häufig aufgestellte Erklärungsweise geht dahin, daß
die Anlieger eine civilrechtliche Servitut oder ein besonderes servitut-
artiges Recht an ihrer Straße erworben hätten. Damit ist dann das
Thor geöffnet für die Meinung, dingliche Rechte nach Civilrecht
könnten schlechthin an der Straße begründet werden, und der ganze
Begriff des öffentlichen Eigentums verwischt. Mit dieser Servitut
stünde es freilich sehr eigentümlich. So lange nämlich die Straße
besteht, würde sie keine Wirkung äußern, die nicht auch schon der
Gemeingebrauch ergäbe. Wenn aber die Straße verlegt oder sonst
der bisherige Straßenboden civilrechtlicher Rechtsbegründung zugäng-
lich wird, dann soll erst recht keine Servitut vorhanden sein, sondern
lediglich ein Anspruch auf Entschädigung. Nur um diesen zu be-
gründen, auf den es allein abgesehen ist, wird der Umweg durch die
Annahme einer Servitut gemacht, die sonst niemals selber zum Vor-
schein kommt30.

Und wie soll die Servitut begründet sein? In dieser Be-
ziehung wird uns ziemlich viel zugemutet. Die Servitut soll nämlich
durch Vertrag entstehen. Der Staat, die Gemeinde haben durch
Anlage der Straße die Angrenzer eingeladen, Häuser daran zu er-
richten, und für diesen Fall die Servitut bewilligt. Durch Erbauung
eines Hauses nimmt man diese stillschweigende Offerte stillschweigend
an31! Vorher schon gebaute Häuser haben allerdings das gleiche

30 Nur vereinzelt kommt der Versuch vor, eine auch nach Auflassung der
Straße fortdauernde Servitut zu behaupten. O.Tr. 27. April 1869 (Str. 74 S. 278):
In Bonn hatte die Stadt einen Teil der bisherigen Straße zu dem Hausbau eines
Privaten abgetreten; der Nachbar verliert seine Aussicht und klagt gegen den
Eigentümer des Neubaues auf Beseitigung. Der Appellhof Köln weist ab, weil es
sich um „eine polizeiliche Maßregel“ handle, für welche nur Entschädigung be-
ansprucht werden könne; die bekannte Formel! Das Ober-Tribunal bestätigt,
aber aus anderen Gründen: „Das Recht des Adjacenten findet seine Grenze in dem-
jenigen Rechte der Belastung des öffentlichen Eigentums, welches, indem es un-
erläßliche Voraussetzung der Bewohnbarkeit jenes Hauses bildet, als von der
Verwaltung stillschweigend übernommen betrachtet werden darf. Dazu gehört die
Aussicht nicht. Der Verklagte ist aber nicht weiter verpflichtet, als die Stadt es
sein würde, wenn sie selbst gebaut hätte.“ Hier wird also geradezu die Belastung
der Straße durch den Gemeingebrauch für die angrenzenden Häuser in civilrecht-
liche Dienstbarkeiten nach Auflassung der Straße übersetzt. Das ist ein seltener
Fall, erklärlich wohl nur dadurch, daß das Gericht in der Lage war, der vermeint-
lichen Dienstbarkeit gleichwohl die Wirksamkeit absprechen zu können.
31 R.G. 13. Febr. 1883 (Samml. X S. 271 ff.): Darin, daß von der Verwaltung
ein bestimmtes Terrain zur städtischen Straße erklärt wird, liegt die Aufforderung,
Häuser an derselben zu errichten. So wird zwischen der Gemeinde und den jener
Aufforderung entsprechenden Grundeigentümern ein stillschweigendes Vertrags-
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[133/0145] § 37. Der Gemeingebrauch. Eine sehr häufig aufgestellte Erklärungsweise geht dahin, daß die Anlieger eine civilrechtliche Servitut oder ein besonderes servitut- artiges Recht an ihrer Straße erworben hätten. Damit ist dann das Thor geöffnet für die Meinung, dingliche Rechte nach Civilrecht könnten schlechthin an der Straße begründet werden, und der ganze Begriff des öffentlichen Eigentums verwischt. Mit dieser Servitut stünde es freilich sehr eigentümlich. So lange nämlich die Straße besteht, würde sie keine Wirkung äußern, die nicht auch schon der Gemeingebrauch ergäbe. Wenn aber die Straße verlegt oder sonst der bisherige Straßenboden civilrechtlicher Rechtsbegründung zugäng- lich wird, dann soll erst recht keine Servitut vorhanden sein, sondern lediglich ein Anspruch auf Entschädigung. Nur um diesen zu be- gründen, auf den es allein abgesehen ist, wird der Umweg durch die Annahme einer Servitut gemacht, die sonst niemals selber zum Vor- schein kommt 30. Und wie soll die Servitut begründet sein? In dieser Be- ziehung wird uns ziemlich viel zugemutet. Die Servitut soll nämlich durch Vertrag entstehen. Der Staat, die Gemeinde haben durch Anlage der Straße die Angrenzer eingeladen, Häuser daran zu er- richten, und für diesen Fall die Servitut bewilligt. Durch Erbauung eines Hauses nimmt man diese stillschweigende Offerte stillschweigend an 31! Vorher schon gebaute Häuser haben allerdings das gleiche 30 Nur vereinzelt kommt der Versuch vor, eine auch nach Auflassung der Straße fortdauernde Servitut zu behaupten. O.Tr. 27. April 1869 (Str. 74 S. 278): In Bonn hatte die Stadt einen Teil der bisherigen Straße zu dem Hausbau eines Privaten abgetreten; der Nachbar verliert seine Aussicht und klagt gegen den Eigentümer des Neubaues auf Beseitigung. Der Appellhof Köln weist ab, weil es sich um „eine polizeiliche Maßregel“ handle, für welche nur Entschädigung be- ansprucht werden könne; die bekannte Formel! Das Ober-Tribunal bestätigt, aber aus anderen Gründen: „Das Recht des Adjacenten findet seine Grenze in dem- jenigen Rechte der Belastung des öffentlichen Eigentums, welches, indem es un- erläßliche Voraussetzung der Bewohnbarkeit jenes Hauses bildet, als von der Verwaltung stillschweigend übernommen betrachtet werden darf. Dazu gehört die Aussicht nicht. Der Verklagte ist aber nicht weiter verpflichtet, als die Stadt es sein würde, wenn sie selbst gebaut hätte.“ Hier wird also geradezu die Belastung der Straße durch den Gemeingebrauch für die angrenzenden Häuser in civilrecht- liche Dienstbarkeiten nach Auflassung der Straße übersetzt. Das ist ein seltener Fall, erklärlich wohl nur dadurch, daß das Gericht in der Lage war, der vermeint- lichen Dienstbarkeit gleichwohl die Wirksamkeit absprechen zu können. 31 R.G. 13. Febr. 1883 (Samml. X S. 271 ff.): Darin, daß von der Verwaltung ein bestimmtes Terrain zur städtischen Straße erklärt wird, liegt die Aufforderung, Häuser an derselben zu errichten. So wird zwischen der Gemeinde und den jener Aufforderung entsprechenden Grundeigentümern ein stillschweigendes Vertrags-

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/145>, abgerufen am 23.11.2024.