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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
danke, der heutzutage noch manchmal nachklingt, ist eine Wahrheit
gewesen für die damalige Stufe der Entwicklung: Recht und Rechts-
pflege stehen über der Staatsgewalt.

Freilich ist diese Machtstellung weit entfernt, eine vollkommene
zu sein. Die Landeshoheit hat schon sehr bald angefangen, daran zu
rütteln. Sie verschafft sich Ausnahmen über Ausnahmen und gerade
die wichtigeren Gebiete vermochten durch die vielgestaltigen privilegia
de non appellando die eine Seite der reichsgerichtlichen Einwirkung
gänzlich auszuschliessen. Auch durch rechtswidrige Ränke und Ge-
waltstreiche sucht man den Weg der Appellation und der Klage zum
Reichsgericht zu versperren27. Vor allem aber stand es misslich mit
der Zwangsvollstreckung gegen mächtigere Herren. Thatsächlich ist
der Rechtsweg nur gegen die Kleinen bis zu Ende gangbar28. Trotz
alledem war doch immer wieder das Prinzip gewahrt, wenn ein feier-
licher Ausspruch erfolgen konnte, dass Unrecht geschehen sei, und
wenn hier und da wenigstens es gelang, ein Exempel zu statuieren.
Noch in der letzten Zeit des ärgsten Verfalles, um die Wende des
Jahrhunderts, dachten unsere Juristen gar nicht gering von dem
Werte des ganzen Instituts und wussten seine Bedeutung für Auf-
rechterhaltung des allgemeinen Rechtsbewusstseins und des bürger-
lichen Unabhängigkeitsgefühls wohl zu schätzen29.

Die Rechtsordnung, die auf diese Weise gewahrt und aufrechterhalten
wird, weicht gegen das Ende mehr und mehr in die kleinen Territorien
zurück; sie entlehnt ihre ganze Lebenskraft nur aus dem Fortbestande
der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte. In dem Masse, wie diese er-
lischt, zieht für das Verwaltungsrecht, für die ganze Art, wie das Ver-
hältnis zwischen dem verwaltenden Staate und dem Unterthan grund-
sätzlich gedacht ist, eine neue Zeit herauf.

27 Moser, Teutsche Just. Verfassung I S. 566 ff. zählt ein langes Sünden-
register auf.
28 Moser, a. a. O. II Cap. 54 § 28 handelt von diesem Punkte unter dem
Titel "Bedenkliche Exekutionen".
29 Schlözer, Allg. St.R. (1793) Abschn. III § 8 in f.: "Glückliches Deutsch-
land, das einzige Land der Welt, wo man gegen seine Herrscher, ihrer Würde un-
beschadet, im Wege Rechtens bei einem fremden, nicht ihrem eignen Tribunal
auf kommen kann". Und gegenüber einem häufig gebrauchten Spottwort meint
Häberlin, St.R. II S. 647: "Ein Glück, dass wir in Teutschland Revolutions-
prozesse führen können". Das ist nach ihm ein Sicherheitsventil.

§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.
danke, der heutzutage noch manchmal nachklingt, ist eine Wahrheit
gewesen für die damalige Stufe der Entwicklung: Recht und Rechts-
pflege stehen über der Staatsgewalt.

Freilich ist diese Machtstellung weit entfernt, eine vollkommene
zu sein. Die Landeshoheit hat schon sehr bald angefangen, daran zu
rütteln. Sie verschafft sich Ausnahmen über Ausnahmen und gerade
die wichtigeren Gebiete vermochten durch die vielgestaltigen privilegia
de non appellando die eine Seite der reichsgerichtlichen Einwirkung
gänzlich auszuschlieſsen. Auch durch rechtswidrige Ränke und Ge-
waltstreiche sucht man den Weg der Appellation und der Klage zum
Reichsgericht zu versperren27. Vor allem aber stand es miſslich mit
der Zwangsvollstreckung gegen mächtigere Herren. Thatsächlich ist
der Rechtsweg nur gegen die Kleinen bis zu Ende gangbar28. Trotz
alledem war doch immer wieder das Prinzip gewahrt, wenn ein feier-
licher Ausspruch erfolgen konnte, daſs Unrecht geschehen sei, und
wenn hier und da wenigstens es gelang, ein Exempel zu statuieren.
Noch in der letzten Zeit des ärgsten Verfalles, um die Wende des
Jahrhunderts, dachten unsere Juristen gar nicht gering von dem
Werte des ganzen Instituts und wuſsten seine Bedeutung für Auf-
rechterhaltung des allgemeinen Rechtsbewuſstseins und des bürger-
lichen Unabhängigkeitsgefühls wohl zu schätzen29.

Die Rechtsordnung, die auf diese Weise gewahrt und aufrechterhalten
wird, weicht gegen das Ende mehr und mehr in die kleinen Territorien
zurück; sie entlehnt ihre ganze Lebenskraft nur aus dem Fortbestande
der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte. In dem Maſse, wie diese er-
lischt, zieht für das Verwaltungsrecht, für die ganze Art, wie das Ver-
hältnis zwischen dem verwaltenden Staate und dem Unterthan grund-
sätzlich gedacht ist, eine neue Zeit herauf.

27 Moser, Teutsche Just. Verfassung I S. 566 ff. zählt ein langes Sünden-
register auf.
28 Moser, a. a. O. II Cap. 54 § 28 handelt von diesem Punkte unter dem
Titel „Bedenkliche Exekutionen“.
29 Schlözer, Allg. St.R. (1793) Abschn. III § 8 in f.: „Glückliches Deutsch-
land, das einzige Land der Welt, wo man gegen seine Herrscher, ihrer Würde un-
beschadet, im Wege Rechtens bei einem fremden, nicht ihrem eignen Tribunal
auf kommen kann“. Und gegenüber einem häufig gebrauchten Spottwort meint
Häberlin, St.R. II S. 647: „Ein Glück, daſs wir in Teutschland Revolutions-
prozesse führen können“. Das ist nach ihm ein Sicherheitsventil.
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[37/0057] § 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte. danke, der heutzutage noch manchmal nachklingt, ist eine Wahrheit gewesen für die damalige Stufe der Entwicklung: Recht und Rechts- pflege stehen über der Staatsgewalt. Freilich ist diese Machtstellung weit entfernt, eine vollkommene zu sein. Die Landeshoheit hat schon sehr bald angefangen, daran zu rütteln. Sie verschafft sich Ausnahmen über Ausnahmen und gerade die wichtigeren Gebiete vermochten durch die vielgestaltigen privilegia de non appellando die eine Seite der reichsgerichtlichen Einwirkung gänzlich auszuschlieſsen. Auch durch rechtswidrige Ränke und Ge- waltstreiche sucht man den Weg der Appellation und der Klage zum Reichsgericht zu versperren 27. Vor allem aber stand es miſslich mit der Zwangsvollstreckung gegen mächtigere Herren. Thatsächlich ist der Rechtsweg nur gegen die Kleinen bis zu Ende gangbar 28. Trotz alledem war doch immer wieder das Prinzip gewahrt, wenn ein feier- licher Ausspruch erfolgen konnte, daſs Unrecht geschehen sei, und wenn hier und da wenigstens es gelang, ein Exempel zu statuieren. Noch in der letzten Zeit des ärgsten Verfalles, um die Wende des Jahrhunderts, dachten unsere Juristen gar nicht gering von dem Werte des ganzen Instituts und wuſsten seine Bedeutung für Auf- rechterhaltung des allgemeinen Rechtsbewuſstseins und des bürger- lichen Unabhängigkeitsgefühls wohl zu schätzen 29. Die Rechtsordnung, die auf diese Weise gewahrt und aufrechterhalten wird, weicht gegen das Ende mehr und mehr in die kleinen Territorien zurück; sie entlehnt ihre ganze Lebenskraft nur aus dem Fortbestande der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte. In dem Maſse, wie diese er- lischt, zieht für das Verwaltungsrecht, für die ganze Art, wie das Ver- hältnis zwischen dem verwaltenden Staate und dem Unterthan grund- sätzlich gedacht ist, eine neue Zeit herauf. 27 Moser, Teutsche Just. Verfassung I S. 566 ff. zählt ein langes Sünden- register auf. 28 Moser, a. a. O. II Cap. 54 § 28 handelt von diesem Punkte unter dem Titel „Bedenkliche Exekutionen“. 29 Schlözer, Allg. St.R. (1793) Abschn. III § 8 in f.: „Glückliches Deutsch- land, das einzige Land der Welt, wo man gegen seine Herrscher, ihrer Würde un- beschadet, im Wege Rechtens bei einem fremden, nicht ihrem eignen Tribunal auf kommen kann“. Und gegenüber einem häufig gebrauchten Spottwort meint Häberlin, St.R. II S. 647: „Ein Glück, daſs wir in Teutschland Revolutions- prozesse führen können“. Das ist nach ihm ein Sicherheitsventil.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/57>, abgerufen am 21.11.2024.