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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.
Warentransport nicht zur Stelle erteilt werden können oder vor-
geschriebene Bucheinträge nicht gemacht sind, so "wird zwar hier-
durch die Vermutung einer begangenen Defraudation und dem Be-
finden nach die vorläufige Beschlagnahme .... begründet. Wider-
legt sich aber diese Vermutung bei näherer Untersuchung, so tritt
nur eine Ordnungsstrafe ein." Die Vermutung ist hier nur eine natür-
liche, zunächst nur ein Verdacht; dieser genügt für die vorläufige Mass-
regel, aber nicht für die Verurteilung; hier entscheidet das Ergebnis
der "näheren Untersuchung"; ein non liquet würde zur Freisprechung
führen müssen30.

Das Finanzgesetz kann aber auch in entgegengesetzter Weise
verfahren: Vermutungsordnungen aufstellen zu Gunsten des An-
geschuldigten
. Ein Beispiel giebt Branntweinsteuerges. v. 1887
§ 20. Im Entwurf war hier einfach die Formel des Zollges. § 137
wieder gegeben, also Vermutung der Hinterziehung und Zulassung
des Gegenbeweises, dass eine solche nicht hat verübt werden können
oder nicht beabsichtigt war. Das wurde dahin verändert, dass jetzt
gesagt ist: "Wird jedoch in diesen Fällen festgestellt. dass eine De-
fraudation nicht hat verübt werden können, oder wird nicht fest-
gestellt,
dass eine solche beabsichtigt war u. s. w."; in diesem
Falle soll also keine Hinterziehung, sondern eine einfache Ordnungs-
widrigkeit angenommen werden. Die Feststellung der Hinterziehungs-
absicht würde regelmässig geschehen können einfach auf Grund eben
jener natürlichen Vermutung, welche sich an die Nichtbeobachtung
der Kontrollvorschriften knüpft. Dass jetzt besondere Feststellung ver-
langt wird, bedeutet, dass diese natürliche Vermutung hier ausgeschlossen
ist; es müssen noch besondere Gründe vorliegen, um jene Absicht
anzunehmen. Diese Bestimmung beweist, wie unrichtig die Auffassung
ist, als ob die Vermutungsordnungen des Finanzstrafrechts immer Ver-
schärfungen zu Ungunsten des Angeklagten enthielten.

2. Die zweite Gruppe von Vermutungsordnungen bezieht sich
auf die Frage des subjektiven Verschuldens. Jede Strafe setzt
ein solches voraus. Die äusserliche Thatsache, dass der vom Finanz-
befehl gewollte Erfolg nicht eingetreten ist, begründet gemäss den
hohen Anforderungen, welche hier an die Sorgfalt des Unterthanen
gestellt sind, eine Vermutung des Verschuldens; das ist lediglich eine
natürliche Vermutung und gehört nicht hierher.

30 Die gleiche Art von Vermutungsordnung findet sich unter anderem auch
in Tabaksteuerges. § 34 Abs. 3.

Die Finanzgewalt.
Warentransport nicht zur Stelle erteilt werden können oder vor-
geschriebene Bucheinträge nicht gemacht sind, so „wird zwar hier-
durch die Vermutung einer begangenen Defraudation und dem Be-
finden nach die vorläufige Beschlagnahme .... begründet. Wider-
legt sich aber diese Vermutung bei näherer Untersuchung, so tritt
nur eine Ordnungsstrafe ein.“ Die Vermutung ist hier nur eine natür-
liche, zunächst nur ein Verdacht; dieser genügt für die vorläufige Maſs-
regel, aber nicht für die Verurteilung; hier entscheidet das Ergebnis
der „näheren Untersuchung“; ein non liquet würde zur Freisprechung
führen müssen30.

Das Finanzgesetz kann aber auch in entgegengesetzter Weise
verfahren: Vermutungsordnungen aufstellen zu Gunsten des An-
geschuldigten
. Ein Beispiel giebt Branntweinsteuerges. v. 1887
§ 20. Im Entwurf war hier einfach die Formel des Zollges. § 137
wieder gegeben, also Vermutung der Hinterziehung und Zulassung
des Gegenbeweises, daſs eine solche nicht hat verübt werden können
oder nicht beabsichtigt war. Das wurde dahin verändert, daſs jetzt
gesagt ist: „Wird jedoch in diesen Fällen festgestellt. daſs eine De-
fraudation nicht hat verübt werden können, oder wird nicht fest-
gestellt,
daſs eine solche beabsichtigt war u. s. w.“; in diesem
Falle soll also keine Hinterziehung, sondern eine einfache Ordnungs-
widrigkeit angenommen werden. Die Feststellung der Hinterziehungs-
absicht würde regelmäſsig geschehen können einfach auf Grund eben
jener natürlichen Vermutung, welche sich an die Nichtbeobachtung
der Kontrollvorschriften knüpft. Daſs jetzt besondere Feststellung ver-
langt wird, bedeutet, daſs diese natürliche Vermutung hier ausgeschlossen
ist; es müssen noch besondere Gründe vorliegen, um jene Absicht
anzunehmen. Diese Bestimmung beweist, wie unrichtig die Auffassung
ist, als ob die Vermutungsordnungen des Finanzstrafrechts immer Ver-
schärfungen zu Ungunsten des Angeklagten enthielten.

2. Die zweite Gruppe von Vermutungsordnungen bezieht sich
auf die Frage des subjektiven Verschuldens. Jede Strafe setzt
ein solches voraus. Die äuſserliche Thatsache, daſs der vom Finanz-
befehl gewollte Erfolg nicht eingetreten ist, begründet gemäſs den
hohen Anforderungen, welche hier an die Sorgfalt des Unterthanen
gestellt sind, eine Vermutung des Verschuldens; das ist lediglich eine
natürliche Vermutung und gehört nicht hierher.

30 Die gleiche Art von Vermutungsordnung findet sich unter anderem auch
in Tabaksteuerges. § 34 Abs. 3.
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[464/0484] Die Finanzgewalt. Warentransport nicht zur Stelle erteilt werden können oder vor- geschriebene Bucheinträge nicht gemacht sind, so „wird zwar hier- durch die Vermutung einer begangenen Defraudation und dem Be- finden nach die vorläufige Beschlagnahme .... begründet. Wider- legt sich aber diese Vermutung bei näherer Untersuchung, so tritt nur eine Ordnungsstrafe ein.“ Die Vermutung ist hier nur eine natür- liche, zunächst nur ein Verdacht; dieser genügt für die vorläufige Maſs- regel, aber nicht für die Verurteilung; hier entscheidet das Ergebnis der „näheren Untersuchung“; ein non liquet würde zur Freisprechung führen müssen 30. Das Finanzgesetz kann aber auch in entgegengesetzter Weise verfahren: Vermutungsordnungen aufstellen zu Gunsten des An- geschuldigten. Ein Beispiel giebt Branntweinsteuerges. v. 1887 § 20. Im Entwurf war hier einfach die Formel des Zollges. § 137 wieder gegeben, also Vermutung der Hinterziehung und Zulassung des Gegenbeweises, daſs eine solche nicht hat verübt werden können oder nicht beabsichtigt war. Das wurde dahin verändert, daſs jetzt gesagt ist: „Wird jedoch in diesen Fällen festgestellt. daſs eine De- fraudation nicht hat verübt werden können, oder wird nicht fest- gestellt, daſs eine solche beabsichtigt war u. s. w.“; in diesem Falle soll also keine Hinterziehung, sondern eine einfache Ordnungs- widrigkeit angenommen werden. Die Feststellung der Hinterziehungs- absicht würde regelmäſsig geschehen können einfach auf Grund eben jener natürlichen Vermutung, welche sich an die Nichtbeobachtung der Kontrollvorschriften knüpft. Daſs jetzt besondere Feststellung ver- langt wird, bedeutet, daſs diese natürliche Vermutung hier ausgeschlossen ist; es müssen noch besondere Gründe vorliegen, um jene Absicht anzunehmen. Diese Bestimmung beweist, wie unrichtig die Auffassung ist, als ob die Vermutungsordnungen des Finanzstrafrechts immer Ver- schärfungen zu Ungunsten des Angeklagten enthielten. 2. Die zweite Gruppe von Vermutungsordnungen bezieht sich auf die Frage des subjektiven Verschuldens. Jede Strafe setzt ein solches voraus. Die äuſserliche Thatsache, daſs der vom Finanz- befehl gewollte Erfolg nicht eingetreten ist, begründet gemäſs den hohen Anforderungen, welche hier an die Sorgfalt des Unterthanen gestellt sind, eine Vermutung des Verschuldens; das ist lediglich eine natürliche Vermutung und gehört nicht hierher. 30 Die gleiche Art von Vermutungsordnung findet sich unter anderem auch in Tabaksteuerges. § 34 Abs. 3.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/484>, abgerufen am 22.05.2024.