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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 31. Die Finanzstrafe.

III. Die Verhängung der Finanzstrafe hat die Natur einer
Entscheidung d. h. des Ausspruchs dessen, was das gesetzte Recht für
den Einzelfall gewollt hat. Als solche hat sie die Neigung, in Form
der Rechtspflege zu erfolgen, sei es dass sie sofort dazu verwiesen
wird, sei es dass ein Strafbescheid der Verwaltungsbehörde voraus-
geht, der im Rechtswege anfechtbar ist. Die näheren Bestimmungen
sind Frage der Gestaltung des Rechtsschutzes.

Es kommen aber bei diesem Verfahren gleichmässig gewisse
Regeln zur Anwendung, welche mit der rechtlichen Natur des Finanz-
deliktes zusammenhängen und deshalb hier zu erörtern sind.

Die Hinterziehung, das bevorzugte Finanzdelikt, ist ihrer Natur
nach wesentlich auf Heimlichkeit und Verstecktbleiben gerichtet;
beides, der erstrebte Erfolg wie die Straflosigkeit sind dadurch be-
dingt. Der Beweis durch Schlussfolgerung, durch Vermutungen
spielt demgemäss hier eine grosse Rolle.

Das Gesetz hat es aber nicht bei den natürlichen Vermutungen
belassen, mit welchen der Richter hier zu arbeiten hätte, vielmehr
eigne Vermutungsordnungen gegeben.

Diese gesetzlichen Vermutungsordnungen bewegen sich ganz auf
dem Gebiete der indirekten Steuern und teilen sich in zwei Haupt-
gruppen: entweder beziehen sie sich auf jene besondere Rich-
tung,
welche das einfache Finanzdelikt zur Hinterziehung erhebt,
oder auf das subjektive Verschulden.

1. In ersterer Beziehung sind vor allem wichtig geworden die Rechts-
vermutungen in Zollges. § 136: "Die Zolldefraudation wird als voll-
bracht angenommen" bei einer Reihe von näher bezeichneten Hand-
lungen. Diese stellen, für sich betrachtet, jedenfalls strafbare Ord-
nungswidrigkeiten vor. Zugleich könnte sich die natürliche Vermutung
daran knüpfen, dass die Handlung auf Verkürzung der Zollgefälle
gerichtet, folglich als Hinterziehung zu betrachten ist. Das Gesetz
macht aber diese Vermutung zu einer Rechtsvermutung: "das Dasein
der in Rede stehenden Vergehen (also der Hinterziehung) wird ...
lediglich durch die daselbst bezeichneten Thatsachen begründet" (Zoll-
ges. § 157). Dem Angeschuldigten liegt ob, einen Entlastungsbeweis
zu führen, dem die genaue Richtung vorgeschrieben ist; gelingt dieser
Beweis, so wird aus der Hinterziehung eine einfache Ordnungswidrig-
keit; gelingt er nicht, wird die Sache überhaupt nicht weiter auf-
geklärt, so behält die Handlung die ihr durch gesetzliche Vermutung
beigelegte Hinterziehungsnatur. Die Strenge dieser Vermutung ver-
deutlicht sich noch durch den Gegensatz der unmittelbar darauf in
§ 138 Zollges. gegebenen Bestimmungen: wenn gewisse Ausweise beim

§ 31. Die Finanzstrafe.

III. Die Verhängung der Finanzstrafe hat die Natur einer
Entscheidung d. h. des Ausspruchs dessen, was das gesetzte Recht für
den Einzelfall gewollt hat. Als solche hat sie die Neigung, in Form
der Rechtspflege zu erfolgen, sei es daſs sie sofort dazu verwiesen
wird, sei es daſs ein Strafbescheid der Verwaltungsbehörde voraus-
geht, der im Rechtswege anfechtbar ist. Die näheren Bestimmungen
sind Frage der Gestaltung des Rechtsschutzes.

Es kommen aber bei diesem Verfahren gleichmäſsig gewisse
Regeln zur Anwendung, welche mit der rechtlichen Natur des Finanz-
deliktes zusammenhängen und deshalb hier zu erörtern sind.

Die Hinterziehung, das bevorzugte Finanzdelikt, ist ihrer Natur
nach wesentlich auf Heimlichkeit und Verstecktbleiben gerichtet;
beides, der erstrebte Erfolg wie die Straflosigkeit sind dadurch be-
dingt. Der Beweis durch Schluſsfolgerung, durch Vermutungen
spielt demgemäſs hier eine groſse Rolle.

Das Gesetz hat es aber nicht bei den natürlichen Vermutungen
belassen, mit welchen der Richter hier zu arbeiten hätte, vielmehr
eigne Vermutungsordnungen gegeben.

Diese gesetzlichen Vermutungsordnungen bewegen sich ganz auf
dem Gebiete der indirekten Steuern und teilen sich in zwei Haupt-
gruppen: entweder beziehen sie sich auf jene besondere Rich-
tung,
welche das einfache Finanzdelikt zur Hinterziehung erhebt,
oder auf das subjektive Verschulden.

1. In ersterer Beziehung sind vor allem wichtig geworden die Rechts-
vermutungen in Zollges. § 136: „Die Zolldefraudation wird als voll-
bracht angenommen“ bei einer Reihe von näher bezeichneten Hand-
lungen. Diese stellen, für sich betrachtet, jedenfalls strafbare Ord-
nungswidrigkeiten vor. Zugleich könnte sich die natürliche Vermutung
daran knüpfen, daſs die Handlung auf Verkürzung der Zollgefälle
gerichtet, folglich als Hinterziehung zu betrachten ist. Das Gesetz
macht aber diese Vermutung zu einer Rechtsvermutung: „das Dasein
der in Rede stehenden Vergehen (also der Hinterziehung) wird …
lediglich durch die daselbst bezeichneten Thatsachen begründet“ (Zoll-
ges. § 157). Dem Angeschuldigten liegt ob, einen Entlastungsbeweis
zu führen, dem die genaue Richtung vorgeschrieben ist; gelingt dieser
Beweis, so wird aus der Hinterziehung eine einfache Ordnungswidrig-
keit; gelingt er nicht, wird die Sache überhaupt nicht weiter auf-
geklärt, so behält die Handlung die ihr durch gesetzliche Vermutung
beigelegte Hinterziehungsnatur. Die Strenge dieser Vermutung ver-
deutlicht sich noch durch den Gegensatz der unmittelbar darauf in
§ 138 Zollges. gegebenen Bestimmungen: wenn gewisse Ausweise beim

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[463/0483] § 31. Die Finanzstrafe. III. Die Verhängung der Finanzstrafe hat die Natur einer Entscheidung d. h. des Ausspruchs dessen, was das gesetzte Recht für den Einzelfall gewollt hat. Als solche hat sie die Neigung, in Form der Rechtspflege zu erfolgen, sei es daſs sie sofort dazu verwiesen wird, sei es daſs ein Strafbescheid der Verwaltungsbehörde voraus- geht, der im Rechtswege anfechtbar ist. Die näheren Bestimmungen sind Frage der Gestaltung des Rechtsschutzes. Es kommen aber bei diesem Verfahren gleichmäſsig gewisse Regeln zur Anwendung, welche mit der rechtlichen Natur des Finanz- deliktes zusammenhängen und deshalb hier zu erörtern sind. Die Hinterziehung, das bevorzugte Finanzdelikt, ist ihrer Natur nach wesentlich auf Heimlichkeit und Verstecktbleiben gerichtet; beides, der erstrebte Erfolg wie die Straflosigkeit sind dadurch be- dingt. Der Beweis durch Schluſsfolgerung, durch Vermutungen spielt demgemäſs hier eine groſse Rolle. Das Gesetz hat es aber nicht bei den natürlichen Vermutungen belassen, mit welchen der Richter hier zu arbeiten hätte, vielmehr eigne Vermutungsordnungen gegeben. Diese gesetzlichen Vermutungsordnungen bewegen sich ganz auf dem Gebiete der indirekten Steuern und teilen sich in zwei Haupt- gruppen: entweder beziehen sie sich auf jene besondere Rich- tung, welche das einfache Finanzdelikt zur Hinterziehung erhebt, oder auf das subjektive Verschulden. 1. In ersterer Beziehung sind vor allem wichtig geworden die Rechts- vermutungen in Zollges. § 136: „Die Zolldefraudation wird als voll- bracht angenommen“ bei einer Reihe von näher bezeichneten Hand- lungen. Diese stellen, für sich betrachtet, jedenfalls strafbare Ord- nungswidrigkeiten vor. Zugleich könnte sich die natürliche Vermutung daran knüpfen, daſs die Handlung auf Verkürzung der Zollgefälle gerichtet, folglich als Hinterziehung zu betrachten ist. Das Gesetz macht aber diese Vermutung zu einer Rechtsvermutung: „das Dasein der in Rede stehenden Vergehen (also der Hinterziehung) wird … lediglich durch die daselbst bezeichneten Thatsachen begründet“ (Zoll- ges. § 157). Dem Angeschuldigten liegt ob, einen Entlastungsbeweis zu führen, dem die genaue Richtung vorgeschrieben ist; gelingt dieser Beweis, so wird aus der Hinterziehung eine einfache Ordnungswidrig- keit; gelingt er nicht, wird die Sache überhaupt nicht weiter auf- geklärt, so behält die Handlung die ihr durch gesetzliche Vermutung beigelegte Hinterziehungsnatur. Die Strenge dieser Vermutung ver- deutlicht sich noch durch den Gegensatz der unmittelbar darauf in § 138 Zollges. gegebenen Bestimmungen: wenn gewisse Ausweise beim

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/483>, abgerufen am 23.12.2024.