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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.

Indem das Steuergesetz den Unterthanen verpflichtet, bindet es
zugleich die vollziehende Gewalt zur Durchführung dieser Pflicht. Die
vollziehende Gewalt kann sich nur soweit davon entbinden und auf
die Steuer verzichten, als ihr das durch gesetzliche Ermächtigung vor-
behalten ist.

Ein allgemeines Recht der Regierung, nach Belieben auf jede
Steuerschuld zu verzichten, ein Steuerbegnadigungsrecht giebt es
nicht21. Das Gesetz gestattet den Erlass nur aus bestimmtem Grunde
und für die bestimmte Steuerart, bei welcher dieser als wirksam an-
erkannt ist.

Der Erlassgrund ist immer darauf gestellt, dass bei dem Steuer-
pflichtigen nachträglich Wertverminderungen, Verluste, Mindererträg-
nisse sich ergeben haben, welche es unbillig erscheinen lassen, auf
der gerade mit Rücksicht auf den Besitz der betreffenden Werte auf-
erlegten Steuer zu bestehen.

21 Gelegentlich des oben § 7 Note 11 erwähnten Falles wurde die Frage er-
örtert, ob ein "Kronrecht" des Königs von Preussen besteht, wonach er den Voll-
zug aller Steuergesetze schlechthin durch Steuererlass durchbrechen dürfte. Man
hat den Beweis führen zu können geglaubt durch die Berufung auf die Thatsache,
dass der König "schon" vor Einführung der Verfassung nicht bloss in Strafsachen,
sondern auch in Steuer- und Gebührensachen das unbeschränkte Gnadenrecht ge-
habt hat; da nun kein Verfassungsartikel nachgewiesen werden kann, durch welchen
es aufgehoben wäre, so soll daraus von selbst sich ergeben, dass es fort besteht.
So Laband in Arch. f. öff. R. VII S. 190; Curtius in Annalen 1893 S. 670 ff.
Allein es geht nicht an, auf solche Weise einzelne Rechte des Königs aus der
verfassungslosen Zeit herüberzunehmen in die Verfassung. Der König von Preussen
hatte vor der Verfassung nicht einzelne Rechte, sondern die ganze Staatsgewalt.
Jetzt hat er sie auch noch, nur über das Gesetz verfügt er nicht mehr frei und
den Machtkreis des Gesetzes hat er als Träger der vollziehenden Gewalt zu achten.
Gerade dieser Beschränkung gegenüber können ihm jetzt besondere Rechte zu-
erkannt sein, um in ausserordentlicher Weise "ein Veto gegen den Lauf von Ge-
setz und Recht", wie Laband sagt, einzulegen. Ein Beispiel bietet das gesetzlich
anerkannte Begnadigungsrecht in Strafsachen. Ein derartiges Recht hatte der
König vor der Verfassung nicht und konnte er nicht haben, da der Rechtskreis,
der ihn beschränkt und dessen Durchbrechung den Inhalt dieses Rechtes aus-
machen soll, damals noch gar nicht bestand. In der vollziehenden Gewalt, welche
ihm nach der Verfassung zusteht, liegt alles mögliche; es liegt aber darin auch
eine neue allgemeine Gebundenheit an das Gesetz, von welcher nur nach den
eigenen Regeln der Verfassung selbst Ausnahmen bestehen und entstehen können.
-- Es besteht übrigens auch gar kein Bedürfnis für ein solches allgemeines
Steuerbegnadigungsrecht. Das Beispiel, welches Laband, Arch. f. öff. R. VII
S. 190 Anm. 14, anführt, spricht für das Gegenteil: die Erben des beim Eisenbahn-
unglück getöteten reichen Mannes werden nach dem Haftpflichtgesetz entschädigt
wie die des Armen; weshalb sollen die ersteren ausserdem noch eine Erbschafts-
steuer von 10 000 M. geschenkt bekommen?
Die Finanzgewalt.

Indem das Steuergesetz den Unterthanen verpflichtet, bindet es
zugleich die vollziehende Gewalt zur Durchführung dieser Pflicht. Die
vollziehende Gewalt kann sich nur soweit davon entbinden und auf
die Steuer verzichten, als ihr das durch gesetzliche Ermächtigung vor-
behalten ist.

Ein allgemeines Recht der Regierung, nach Belieben auf jede
Steuerschuld zu verzichten, ein Steuerbegnadigungsrecht giebt es
nicht21. Das Gesetz gestattet den Erlaſs nur aus bestimmtem Grunde
und für die bestimmte Steuerart, bei welcher dieser als wirksam an-
erkannt ist.

Der Erlaſsgrund ist immer darauf gestellt, daſs bei dem Steuer-
pflichtigen nachträglich Wertverminderungen, Verluste, Mindererträg-
nisse sich ergeben haben, welche es unbillig erscheinen lassen, auf
der gerade mit Rücksicht auf den Besitz der betreffenden Werte auf-
erlegten Steuer zu bestehen.

21 Gelegentlich des oben § 7 Note 11 erwähnten Falles wurde die Frage er-
örtert, ob ein „Kronrecht“ des Königs von Preuſsen besteht, wonach er den Voll-
zug aller Steuergesetze schlechthin durch Steuererlaſs durchbrechen dürfte. Man
hat den Beweis führen zu können geglaubt durch die Berufung auf die Thatsache,
daſs der König „schon“ vor Einführung der Verfassung nicht bloſs in Strafsachen,
sondern auch in Steuer- und Gebührensachen das unbeschränkte Gnadenrecht ge-
habt hat; da nun kein Verfassungsartikel nachgewiesen werden kann, durch welchen
es aufgehoben wäre, so soll daraus von selbst sich ergeben, daſs es fort besteht.
So Laband in Arch. f. öff. R. VII S. 190; Curtius in Annalen 1893 S. 670 ff.
Allein es geht nicht an, auf solche Weise einzelne Rechte des Königs aus der
verfassungslosen Zeit herüberzunehmen in die Verfassung. Der König von Preuſsen
hatte vor der Verfassung nicht einzelne Rechte, sondern die ganze Staatsgewalt.
Jetzt hat er sie auch noch, nur über das Gesetz verfügt er nicht mehr frei und
den Machtkreis des Gesetzes hat er als Träger der vollziehenden Gewalt zu achten.
Gerade dieser Beschränkung gegenüber können ihm jetzt besondere Rechte zu-
erkannt sein, um in auſserordentlicher Weise „ein Veto gegen den Lauf von Ge-
setz und Recht“, wie Laband sagt, einzulegen. Ein Beispiel bietet das gesetzlich
anerkannte Begnadigungsrecht in Strafsachen. Ein derartiges Recht hatte der
König vor der Verfassung nicht und konnte er nicht haben, da der Rechtskreis,
der ihn beschränkt und dessen Durchbrechung den Inhalt dieses Rechtes aus-
machen soll, damals noch gar nicht bestand. In der vollziehenden Gewalt, welche
ihm nach der Verfassung zusteht, liegt alles mögliche; es liegt aber darin auch
eine neue allgemeine Gebundenheit an das Gesetz, von welcher nur nach den
eigenen Regeln der Verfassung selbst Ausnahmen bestehen und entstehen können.
— Es besteht übrigens auch gar kein Bedürfnis für ein solches allgemeines
Steuerbegnadigungsrecht. Das Beispiel, welches Laband, Arch. f. öff. R. VII
S. 190 Anm. 14, anführt, spricht für das Gegenteil: die Erben des beim Eisenbahn-
unglück getöteten reichen Mannes werden nach dem Haftpflichtgesetz entschädigt
wie die des Armen; weshalb sollen die ersteren auſserdem noch eine Erbschafts-
steuer von 10 000 M. geschenkt bekommen?
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[430/0450] Die Finanzgewalt. Indem das Steuergesetz den Unterthanen verpflichtet, bindet es zugleich die vollziehende Gewalt zur Durchführung dieser Pflicht. Die vollziehende Gewalt kann sich nur soweit davon entbinden und auf die Steuer verzichten, als ihr das durch gesetzliche Ermächtigung vor- behalten ist. Ein allgemeines Recht der Regierung, nach Belieben auf jede Steuerschuld zu verzichten, ein Steuerbegnadigungsrecht giebt es nicht 21. Das Gesetz gestattet den Erlaſs nur aus bestimmtem Grunde und für die bestimmte Steuerart, bei welcher dieser als wirksam an- erkannt ist. Der Erlaſsgrund ist immer darauf gestellt, daſs bei dem Steuer- pflichtigen nachträglich Wertverminderungen, Verluste, Mindererträg- nisse sich ergeben haben, welche es unbillig erscheinen lassen, auf der gerade mit Rücksicht auf den Besitz der betreffenden Werte auf- erlegten Steuer zu bestehen. 21 Gelegentlich des oben § 7 Note 11 erwähnten Falles wurde die Frage er- örtert, ob ein „Kronrecht“ des Königs von Preuſsen besteht, wonach er den Voll- zug aller Steuergesetze schlechthin durch Steuererlaſs durchbrechen dürfte. Man hat den Beweis führen zu können geglaubt durch die Berufung auf die Thatsache, daſs der König „schon“ vor Einführung der Verfassung nicht bloſs in Strafsachen, sondern auch in Steuer- und Gebührensachen das unbeschränkte Gnadenrecht ge- habt hat; da nun kein Verfassungsartikel nachgewiesen werden kann, durch welchen es aufgehoben wäre, so soll daraus von selbst sich ergeben, daſs es fort besteht. So Laband in Arch. f. öff. R. VII S. 190; Curtius in Annalen 1893 S. 670 ff. Allein es geht nicht an, auf solche Weise einzelne Rechte des Königs aus der verfassungslosen Zeit herüberzunehmen in die Verfassung. Der König von Preuſsen hatte vor der Verfassung nicht einzelne Rechte, sondern die ganze Staatsgewalt. Jetzt hat er sie auch noch, nur über das Gesetz verfügt er nicht mehr frei und den Machtkreis des Gesetzes hat er als Träger der vollziehenden Gewalt zu achten. Gerade dieser Beschränkung gegenüber können ihm jetzt besondere Rechte zu- erkannt sein, um in auſserordentlicher Weise „ein Veto gegen den Lauf von Ge- setz und Recht“, wie Laband sagt, einzulegen. Ein Beispiel bietet das gesetzlich anerkannte Begnadigungsrecht in Strafsachen. Ein derartiges Recht hatte der König vor der Verfassung nicht und konnte er nicht haben, da der Rechtskreis, der ihn beschränkt und dessen Durchbrechung den Inhalt dieses Rechtes aus- machen soll, damals noch gar nicht bestand. In der vollziehenden Gewalt, welche ihm nach der Verfassung zusteht, liegt alles mögliche; es liegt aber darin auch eine neue allgemeine Gebundenheit an das Gesetz, von welcher nur nach den eigenen Regeln der Verfassung selbst Ausnahmen bestehen und entstehen können. — Es besteht übrigens auch gar kein Bedürfnis für ein solches allgemeines Steuerbegnadigungsrecht. Das Beispiel, welches Laband, Arch. f. öff. R. VII S. 190 Anm. 14, anführt, spricht für das Gegenteil: die Erben des beim Eisenbahn- unglück getöteten reichen Mannes werden nach dem Haftpflichtgesetz entschädigt wie die des Armen; weshalb sollen die ersteren auſserdem noch eine Erbschafts- steuer von 10 000 M. geschenkt bekommen?

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/450>, abgerufen am 22.12.2024.