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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
masses erreicht ist. In dieser Beziehung kommt es darauf an, wie
das Gesetz die zulässige Grenze bestimmt hat: sie kann für die ein-
zelne Strafandrohung gemeint sein, dann ist die Wiederholung un-
beschränkt; sie kann aber auch einen höchsten Gesamtbetrag aller
für den einzelnen Ungehorsamsfall zulässigen Strafen bedeuten, dann
muss die Behörde sich danach einrichten und wird regelmässig nicht
gleich das erste Mal an die äusserste Grenze gehen, um sich die
Möglichkeit eines weiteren Druckes offen zu halten16.

3. Die Ungehorsamsstrafe findet noch eine besondere Schranke
ihrer Zulässigkeit in dem Zusammentreffen mit einer rechts-
satzmässig angedrohten Strafe
. Sie selbst ist ihrer Natur nach
dem Satz ne bis in idem nicht unterworfen. Sie würde auch, einmal
erkannt und vollstreckt, die rechtssatzmässige gemeine oder Polizei-
strafe für dieselbe That nicht hindern. Aber sie ist ihrerseits aus-
geschlossen, wo für den Thatbestand, den sie treffen soll, rechtssatz-
mässig eine Strafe gedroht ist.

Das hängt zusammen mit den allgemeinen Grundsätzen über die
bindende Kraft des Rechtssatzes für die vollziehende Gewalt (oben § 7).
Es wirkt wieder der Gedankengang, der uns oben § 21 II n. 2 bei der
Polizeierlaubnis begegnete. Wenn der Rechtssatz auf einen Thatbestand
eine bestimmte Strafe gesetzt hat, so hat er sich dieser Materie be-
mächtigt; die vollziehende Gewalt kann hierfür Strafe verhängen nur
nach Massgabe seiner Bestimmungen. Die Ungehorsamsstrafe ist aber
gleichfalls Strafe trotz ihrer besonderen Natur und deshalb durch die
Alleinherrschaft des Rechtssatzes ausgeschlossen.

Dieses Zwangsmittel kann also nicht verwendet werden zur Er-
zwingung des Gegenteils eines durch das Gesetz mit Strafe bedrohten
Verhaltens, insbesondere auch nicht, wenn es zur Verstärkung einer
Polizeistrafe dienen würde. Die Versuchung dazu liegt im letzteren
Falle nahe. Denn es handelt sich da immer um eine Polizeiwidrig-
keit, welcher die Behörde möglicherweise auf Grund ihrer allgemeinen
Ermächtigungen mit Befehl und Zwang entgegentreten könnte. Aber
die Schranke wird allgemein anerkannt; wo das Gesetz sie nicht aus-
drücklich erwähnt, entnimmt sie die Rechtsübung aus der Natur
der Sache17.

16 So nach Bad. R.; Bingner u. Eisenlohr, Bad. Stf.R. S. 194. Dagegen
bezieht sich das in Preuss. L.V.Ges. § 132 bestimmte Strafmass nur "auf jeden
einzelnen Strafakt"; O.V.G. 11. Dez. 1880 (Samml. VII S. 383). Bayr. Einf.G. zu
Stf.G.B von 1861 Art. 28 hatte eine Wiederholung der Ungehorsamsstrafe über-
haupt nicht vorgesehen; Pol.Stf.G.B. v. 1871 Art. 21 Abs. 3 lässt es jetzt zu, ohne
ein Gesamtstrafmass zu begrenzen.
17 G. Meyer in Wörterbuch II S. 801; Bingner u. Eisenlohr, Bad. Stf.R.

Die Polizeigewalt.
maſses erreicht ist. In dieser Beziehung kommt es darauf an, wie
das Gesetz die zulässige Grenze bestimmt hat: sie kann für die ein-
zelne Strafandrohung gemeint sein, dann ist die Wiederholung un-
beschränkt; sie kann aber auch einen höchsten Gesamtbetrag aller
für den einzelnen Ungehorsamsfall zulässigen Strafen bedeuten, dann
muſs die Behörde sich danach einrichten und wird regelmäſsig nicht
gleich das erste Mal an die äuſserste Grenze gehen, um sich die
Möglichkeit eines weiteren Druckes offen zu halten16.

3. Die Ungehorsamsstrafe findet noch eine besondere Schranke
ihrer Zulässigkeit in dem Zusammentreffen mit einer rechts-
satzmäſsig angedrohten Strafe
. Sie selbst ist ihrer Natur nach
dem Satz ne bis in idem nicht unterworfen. Sie würde auch, einmal
erkannt und vollstreckt, die rechtssatzmäſsige gemeine oder Polizei-
strafe für dieselbe That nicht hindern. Aber sie ist ihrerseits aus-
geschlossen, wo für den Thatbestand, den sie treffen soll, rechtssatz-
mäſsig eine Strafe gedroht ist.

Das hängt zusammen mit den allgemeinen Grundsätzen über die
bindende Kraft des Rechtssatzes für die vollziehende Gewalt (oben § 7).
Es wirkt wieder der Gedankengang, der uns oben § 21 II n. 2 bei der
Polizeierlaubnis begegnete. Wenn der Rechtssatz auf einen Thatbestand
eine bestimmte Strafe gesetzt hat, so hat er sich dieser Materie be-
mächtigt; die vollziehende Gewalt kann hierfür Strafe verhängen nur
nach Maſsgabe seiner Bestimmungen. Die Ungehorsamsstrafe ist aber
gleichfalls Strafe trotz ihrer besonderen Natur und deshalb durch die
Alleinherrschaft des Rechtssatzes ausgeschlossen.

Dieses Zwangsmittel kann also nicht verwendet werden zur Er-
zwingung des Gegenteils eines durch das Gesetz mit Strafe bedrohten
Verhaltens, insbesondere auch nicht, wenn es zur Verstärkung einer
Polizeistrafe dienen würde. Die Versuchung dazu liegt im letzteren
Falle nahe. Denn es handelt sich da immer um eine Polizeiwidrig-
keit, welcher die Behörde möglicherweise auf Grund ihrer allgemeinen
Ermächtigungen mit Befehl und Zwang entgegentreten könnte. Aber
die Schranke wird allgemein anerkannt; wo das Gesetz sie nicht aus-
drücklich erwähnt, entnimmt sie die Rechtsübung aus der Natur
der Sache17.

16 So nach Bad. R.; Bingner u. Eisenlohr, Bad. Stf.R. S. 194. Dagegen
bezieht sich das in Preuſs. L.V.Ges. § 132 bestimmte Strafmaſs nur „auf jeden
einzelnen Strafakt“; O.V.G. 11. Dez. 1880 (Samml. VII S. 383). Bayr. Einf.G. zu
Stf.G.B von 1861 Art. 28 hatte eine Wiederholung der Ungehorsamsstrafe über-
haupt nicht vorgesehen; Pol.Stf.G.B. v. 1871 Art. 21 Abs. 3 läſst es jetzt zu, ohne
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[334/0354] Die Polizeigewalt. maſses erreicht ist. In dieser Beziehung kommt es darauf an, wie das Gesetz die zulässige Grenze bestimmt hat: sie kann für die ein- zelne Strafandrohung gemeint sein, dann ist die Wiederholung un- beschränkt; sie kann aber auch einen höchsten Gesamtbetrag aller für den einzelnen Ungehorsamsfall zulässigen Strafen bedeuten, dann muſs die Behörde sich danach einrichten und wird regelmäſsig nicht gleich das erste Mal an die äuſserste Grenze gehen, um sich die Möglichkeit eines weiteren Druckes offen zu halten 16. 3. Die Ungehorsamsstrafe findet noch eine besondere Schranke ihrer Zulässigkeit in dem Zusammentreffen mit einer rechts- satzmäſsig angedrohten Strafe. Sie selbst ist ihrer Natur nach dem Satz ne bis in idem nicht unterworfen. Sie würde auch, einmal erkannt und vollstreckt, die rechtssatzmäſsige gemeine oder Polizei- strafe für dieselbe That nicht hindern. Aber sie ist ihrerseits aus- geschlossen, wo für den Thatbestand, den sie treffen soll, rechtssatz- mäſsig eine Strafe gedroht ist. Das hängt zusammen mit den allgemeinen Grundsätzen über die bindende Kraft des Rechtssatzes für die vollziehende Gewalt (oben § 7). Es wirkt wieder der Gedankengang, der uns oben § 21 II n. 2 bei der Polizeierlaubnis begegnete. Wenn der Rechtssatz auf einen Thatbestand eine bestimmte Strafe gesetzt hat, so hat er sich dieser Materie be- mächtigt; die vollziehende Gewalt kann hierfür Strafe verhängen nur nach Maſsgabe seiner Bestimmungen. Die Ungehorsamsstrafe ist aber gleichfalls Strafe trotz ihrer besonderen Natur und deshalb durch die Alleinherrschaft des Rechtssatzes ausgeschlossen. Dieses Zwangsmittel kann also nicht verwendet werden zur Er- zwingung des Gegenteils eines durch das Gesetz mit Strafe bedrohten Verhaltens, insbesondere auch nicht, wenn es zur Verstärkung einer Polizeistrafe dienen würde. Die Versuchung dazu liegt im letzteren Falle nahe. Denn es handelt sich da immer um eine Polizeiwidrig- keit, welcher die Behörde möglicherweise auf Grund ihrer allgemeinen Ermächtigungen mit Befehl und Zwang entgegentreten könnte. Aber die Schranke wird allgemein anerkannt; wo das Gesetz sie nicht aus- drücklich erwähnt, entnimmt sie die Rechtsübung aus der Natur der Sache 17. 16 So nach Bad. R.; Bingner u. Eisenlohr, Bad. Stf.R. S. 194. Dagegen bezieht sich das in Preuſs. L.V.Ges. § 132 bestimmte Strafmaſs nur „auf jeden einzelnen Strafakt“; O.V.G. 11. Dez. 1880 (Samml. VII S. 383). Bayr. Einf.G. zu Stf.G.B von 1861 Art. 28 hatte eine Wiederholung der Ungehorsamsstrafe über- haupt nicht vorgesehen; Pol.Stf.G.B. v. 1871 Art. 21 Abs. 3 läſst es jetzt zu, ohne ein Gesamtstrafmaſs zu begrenzen. 17 G. Meyer in Wörterbuch II S. 801; Bingner u. Eisenlohr, Bad. Stf.R.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/354>, abgerufen am 21.05.2024.