Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 21. Die Polizeierlaubnis.
geräumt wird: vom völlig freien Ermessen geht das bis zur einfachen
Anwendung der rechtssatzmässigen Bestimmung auf den Einzelfall3.
Auch dieses Äusserste, die notwendige Erlaubniserteilung, ist nicht
gleichbedeutend mit einer einfachen Anerkennung der Freiheit; vor
die Ausübung der Freiheit ist die Erfüllung einer Formalität gesetzt,
die Erwirkung der Erlaubnis, zur Feststellung, dass wirklich der Fall
der Freiheit hier vorliegt.

1. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt entsteht durch Gesetz
oder Verordnung. Für die letztere allein kommt die Frage in Be-
tracht, inwiefern sie rechtlich zulässigerweise von dieser Form Ge-
brauch machen kann. Die Grenzen sind ihr durch das Gesetz, von
welchem sie ihr Recht ableitet, möglicherweise ausdrücklich gesteckt,
jedenfalls sind sie als stillschweigend darin enthalten anzusehen nach dem
Massstab, den die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt auch
dieser besonderen Art von Massregel gegenüber für die Auslegung des
ermächtigenden Gesetzes liefert.

Es handelt sich bei dieser Art von Verbot um eine Über-
wachungsmassregel. Also ist Voraussetzung dafür nicht die Polizei-
widrigkeit, sondern die Möglichkeit einer solchen, die Gefahr der
Störung, die in dem betreffenden Unternehmen liegt. Was in dieser
Beziehung verdächtig ist, das lässt sich nicht abgrenzen. Aus welcher
Art von Lebensäusserung können sich nicht Störungen ergeben? Es
besteht nur eine Gradverschiedenheit. Andererseits ist aber das Ver-
bot mit Erlaubnisvorbehalt die schwerste Art von Eingriff in die
Freiheit, der um der blossen Überwachung willen gemacht werden
kann, und um so schwerer, je mehr die Entbindung vom Verbote,
die Erlaubniserteilung in das freie Ermessen gestellt ist. Bei diesen
Gegensätzen muss die den Äusserungen der Polizeigewalt innewohnende
Bedingung der Verhältnismässigkeit wirksam werden. Ein ge-
wisser Grad von Gefährlichkeit, entsprechend der Schwere der Mass-
regel, ist von dem ermächtigenden Gesetze stillschweigend voraus-
gesetzt. Die Abwägung ist der verordnenden Behörde überlassen;
aber eine offenbare Überschreitung dieses Masses überschreitet auch
das Mass der Ermächtigung, und eine derartige Verordnung müsste
als rechtsungültig angesehen werden4.

3 Eine Musterkarte von verschiedenartigen Bestimmungen der Erlaubnis-
erteilung, wonach sie geschehen muss, geschehen kann, nicht geschehen darf, giebt
Gew.O. § 55 ff. bezüglich des Gewerbebetriebs im Umherziehen.
4 Einen Fall dieser Art hatte O.V.G. 14. Juni 1882 (Samml. IX S. 370) zu
beurteilen. Die Errichtung von Bauten kann unter Polizeierlaubnis gestellt werden,
um die Wahrung gewisser polizeilicher Interessen zu sichern. Eine Polizeiverord-
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 19

§ 21. Die Polizeierlaubnis.
geräumt wird: vom völlig freien Ermessen geht das bis zur einfachen
Anwendung der rechtssatzmäſsigen Bestimmung auf den Einzelfall3.
Auch dieses Äuſserste, die notwendige Erlaubniserteilung, ist nicht
gleichbedeutend mit einer einfachen Anerkennung der Freiheit; vor
die Ausübung der Freiheit ist die Erfüllung einer Formalität gesetzt,
die Erwirkung der Erlaubnis, zur Feststellung, daſs wirklich der Fall
der Freiheit hier vorliegt.

1. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt entsteht durch Gesetz
oder Verordnung. Für die letztere allein kommt die Frage in Be-
tracht, inwiefern sie rechtlich zulässigerweise von dieser Form Ge-
brauch machen kann. Die Grenzen sind ihr durch das Gesetz, von
welchem sie ihr Recht ableitet, möglicherweise ausdrücklich gesteckt,
jedenfalls sind sie als stillschweigend darin enthalten anzusehen nach dem
Maſsstab, den die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt auch
dieser besonderen Art von Maſsregel gegenüber für die Auslegung des
ermächtigenden Gesetzes liefert.

Es handelt sich bei dieser Art von Verbot um eine Über-
wachungsmaſsregel. Also ist Voraussetzung dafür nicht die Polizei-
widrigkeit, sondern die Möglichkeit einer solchen, die Gefahr der
Störung, die in dem betreffenden Unternehmen liegt. Was in dieser
Beziehung verdächtig ist, das läſst sich nicht abgrenzen. Aus welcher
Art von Lebensäuſserung können sich nicht Störungen ergeben? Es
besteht nur eine Gradverschiedenheit. Andererseits ist aber das Ver-
bot mit Erlaubnisvorbehalt die schwerste Art von Eingriff in die
Freiheit, der um der bloſsen Überwachung willen gemacht werden
kann, und um so schwerer, je mehr die Entbindung vom Verbote,
die Erlaubniserteilung in das freie Ermessen gestellt ist. Bei diesen
Gegensätzen muſs die den Äuſserungen der Polizeigewalt innewohnende
Bedingung der Verhältnismäſsigkeit wirksam werden. Ein ge-
wisser Grad von Gefährlichkeit, entsprechend der Schwere der Maſs-
regel, ist von dem ermächtigenden Gesetze stillschweigend voraus-
gesetzt. Die Abwägung ist der verordnenden Behörde überlassen;
aber eine offenbare Überschreitung dieses Maſses überschreitet auch
das Maſs der Ermächtigung, und eine derartige Verordnung müſste
als rechtsungültig angesehen werden4.

3 Eine Musterkarte von verschiedenartigen Bestimmungen der Erlaubnis-
erteilung, wonach sie geschehen muſs, geschehen kann, nicht geschehen darf, giebt
Gew.O. § 55 ff. bezüglich des Gewerbebetriebs im Umherziehen.
4 Einen Fall dieser Art hatte O.V.G. 14. Juni 1882 (Samml. IX S. 370) zu
beurteilen. Die Errichtung von Bauten kann unter Polizeierlaubnis gestellt werden,
um die Wahrung gewisser polizeilicher Interessen zu sichern. Eine Polizeiverord-
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0309" n="289"/><fw place="top" type="header">§ 21. Die Polizeierlaubnis.</fw><lb/>
geräumt wird: vom völlig freien Ermessen geht das bis zur einfachen<lb/>
Anwendung der rechtssatzmä&#x017F;sigen Bestimmung auf den Einzelfall<note place="foot" n="3">Eine Musterkarte von verschiedenartigen Bestimmungen der Erlaubnis-<lb/>
erteilung, wonach sie geschehen mu&#x017F;s, geschehen kann, nicht geschehen darf, giebt<lb/>
Gew.O. § 55 ff. bezüglich des Gewerbebetriebs im Umherziehen.</note>.<lb/>
Auch dieses Äu&#x017F;serste, die notwendige Erlaubniserteilung, ist nicht<lb/>
gleichbedeutend mit einer einfachen Anerkennung der Freiheit; vor<lb/>
die Ausübung der Freiheit ist die Erfüllung einer Formalität gesetzt,<lb/>
die Erwirkung der Erlaubnis, zur Feststellung, da&#x017F;s wirklich der Fall<lb/>
der Freiheit hier vorliegt.</p><lb/>
              <p>1. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt <hi rendition="#g">entsteht</hi> durch Gesetz<lb/>
oder Verordnung. Für die letztere allein kommt die Frage in Be-<lb/>
tracht, inwiefern sie rechtlich zulässigerweise von dieser Form Ge-<lb/>
brauch machen kann. Die Grenzen sind ihr durch das Gesetz, von<lb/>
welchem sie ihr Recht ableitet, möglicherweise ausdrücklich gesteckt,<lb/>
jedenfalls sind sie als stillschweigend darin enthalten anzusehen nach dem<lb/>
Ma&#x017F;sstab, den die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt auch<lb/>
dieser besonderen Art von Ma&#x017F;sregel gegenüber für die Auslegung des<lb/>
ermächtigenden Gesetzes liefert.</p><lb/>
              <p>Es handelt sich bei dieser Art von Verbot um eine Über-<lb/>
wachungsma&#x017F;sregel. Also ist Voraussetzung dafür nicht die Polizei-<lb/>
widrigkeit, sondern die Möglichkeit einer solchen, die Gefahr der<lb/>
Störung, die in dem betreffenden Unternehmen liegt. Was in dieser<lb/>
Beziehung verdächtig ist, das lä&#x017F;st sich nicht abgrenzen. Aus welcher<lb/>
Art von Lebensäu&#x017F;serung können sich nicht Störungen ergeben? Es<lb/>
besteht nur eine Gradverschiedenheit. Andererseits ist aber das Ver-<lb/>
bot mit Erlaubnisvorbehalt die schwerste Art von Eingriff in die<lb/>
Freiheit, der um der blo&#x017F;sen Überwachung willen gemacht werden<lb/>
kann, und um so schwerer, je mehr die Entbindung vom Verbote,<lb/>
die Erlaubniserteilung in das freie Ermessen gestellt ist. Bei diesen<lb/>
Gegensätzen mu&#x017F;s die den Äu&#x017F;serungen der Polizeigewalt innewohnende<lb/>
Bedingung der <hi rendition="#g">Verhältnismä&#x017F;sigkeit</hi> wirksam werden. Ein ge-<lb/>
wisser Grad von Gefährlichkeit, entsprechend der Schwere der Ma&#x017F;s-<lb/>
regel, ist von dem ermächtigenden Gesetze stillschweigend voraus-<lb/>
gesetzt. Die Abwägung ist der verordnenden Behörde überlassen;<lb/>
aber eine offenbare Überschreitung dieses Ma&#x017F;ses überschreitet auch<lb/>
das Ma&#x017F;s der Ermächtigung, und eine derartige Verordnung mü&#x017F;ste<lb/>
als rechtsungültig angesehen werden<note xml:id="seg2pn_69_1" next="#seg2pn_69_2" place="foot" n="4">Einen Fall dieser Art hatte O.V.G. 14. Juni 1882 (Samml. IX S. 370) zu<lb/>
beurteilen. Die Errichtung von Bauten kann unter Polizeierlaubnis gestellt werden,<lb/>
um die Wahrung gewisser polizeilicher Interessen zu sichern. Eine Polizeiverord-</note>.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Binding,</hi> Handbuch. VI. 1: <hi rendition="#g">Otto Mayer,</hi> Verwaltungsr. I. 19</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0309] § 21. Die Polizeierlaubnis. geräumt wird: vom völlig freien Ermessen geht das bis zur einfachen Anwendung der rechtssatzmäſsigen Bestimmung auf den Einzelfall 3. Auch dieses Äuſserste, die notwendige Erlaubniserteilung, ist nicht gleichbedeutend mit einer einfachen Anerkennung der Freiheit; vor die Ausübung der Freiheit ist die Erfüllung einer Formalität gesetzt, die Erwirkung der Erlaubnis, zur Feststellung, daſs wirklich der Fall der Freiheit hier vorliegt. 1. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt entsteht durch Gesetz oder Verordnung. Für die letztere allein kommt die Frage in Be- tracht, inwiefern sie rechtlich zulässigerweise von dieser Form Ge- brauch machen kann. Die Grenzen sind ihr durch das Gesetz, von welchem sie ihr Recht ableitet, möglicherweise ausdrücklich gesteckt, jedenfalls sind sie als stillschweigend darin enthalten anzusehen nach dem Maſsstab, den die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt auch dieser besonderen Art von Maſsregel gegenüber für die Auslegung des ermächtigenden Gesetzes liefert. Es handelt sich bei dieser Art von Verbot um eine Über- wachungsmaſsregel. Also ist Voraussetzung dafür nicht die Polizei- widrigkeit, sondern die Möglichkeit einer solchen, die Gefahr der Störung, die in dem betreffenden Unternehmen liegt. Was in dieser Beziehung verdächtig ist, das läſst sich nicht abgrenzen. Aus welcher Art von Lebensäuſserung können sich nicht Störungen ergeben? Es besteht nur eine Gradverschiedenheit. Andererseits ist aber das Ver- bot mit Erlaubnisvorbehalt die schwerste Art von Eingriff in die Freiheit, der um der bloſsen Überwachung willen gemacht werden kann, und um so schwerer, je mehr die Entbindung vom Verbote, die Erlaubniserteilung in das freie Ermessen gestellt ist. Bei diesen Gegensätzen muſs die den Äuſserungen der Polizeigewalt innewohnende Bedingung der Verhältnismäſsigkeit wirksam werden. Ein ge- wisser Grad von Gefährlichkeit, entsprechend der Schwere der Maſs- regel, ist von dem ermächtigenden Gesetze stillschweigend voraus- gesetzt. Die Abwägung ist der verordnenden Behörde überlassen; aber eine offenbare Überschreitung dieses Maſses überschreitet auch das Maſs der Ermächtigung, und eine derartige Verordnung müſste als rechtsungültig angesehen werden 4. 3 Eine Musterkarte von verschiedenartigen Bestimmungen der Erlaubnis- erteilung, wonach sie geschehen muſs, geschehen kann, nicht geschehen darf, giebt Gew.O. § 55 ff. bezüglich des Gewerbebetriebs im Umherziehen. 4 Einen Fall dieser Art hatte O.V.G. 14. Juni 1882 (Samml. IX S. 370) zu beurteilen. Die Errichtung von Bauten kann unter Polizeierlaubnis gestellt werden, um die Wahrung gewisser polizeilicher Interessen zu sichern. Eine Polizeiverord- Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 19

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/309
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/309>, abgerufen am 21.05.2024.