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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
der Form, dass Verurteilung oder Freisprechung von der Gültigkeit
eines Verwaltungsaktes abhängt. Inwiefern ist die öffentlich-
rechtliche Vorfrage
für die Zuständigkeit von Einfluss?

In diesem Punkte liegt der Hauptgegensatz zwischen der deutschen
und der französischen Art der Zuständigkeitsabgrenzung. Wenn man
die letztere vielfach nachzuahmen gesucht hat, so hat man nicht be-
rücksichtigt, dass sie gewachsen ist auf ganz besonderen Voraus-
setzungen, die bei uns nicht gegeben sind. Unter dem Eindruck der
alten Kämpfe zwischen der königlichen Verwaltung und den Parla-
menten entstand jenes scharfe Verbot, das auch jede mittelbare Ein-
wirkung der Gerichte ausschliessen soll. Es wird ausgedrückt als eine
Unantastbarkeit des Verwaltungsaktes für die Gerichte. Sie dürfen
nicht machen, was diesem zukommt, selbstverständlich; das ist schon
in ihrer allgemeinen Beschränkung auf civilrechtliche Sachen ent-
halten. Sie dürfen aber auch bei Erledigung solcher Sachen ihre
Entscheidung nicht gründen auf die Beurteilung eines Verwaltungs-
aktes nach seiner Gültigkeit und dem Umfang seiner Wirkung, noch
auf eine Auslegung seines zweifelhaft gewordenen Inhalts. Sobald es
auf etwas derartiges ankommt, hat das Gericht sein Verfahren auszu-
setzen und zu warten, bis im Verwaltungswege oder Verwaltungs-
rechtswege die Vorfrage ins Reine gebracht ist; wo nicht, so über-
schreitet es seine Zuständigkeit11.

In Deutschland hat eine derartige Feindseligkeit zwischen Justiz
und Verwaltung nie bestanden. Das gelehrte Berufsbeamtentum
herrscht gleichmässig hüben und drüben. Das Verhältnis zwischen
Gericht und Verwaltungsbehörde ist einfach durch die gleichen Regeln
bestimmt, wie das zwischen Gericht und Gericht: keine Behörde soll
ordnen wollen, was der anderen zu ordnen vorbehalten ist, und
jede soll gelten lassen, was die andere in ihrer Zuständigkeit ge-
ordnet hat
. In diesen zwei Sätzen ist auch die Bedeutung der
Vorfrage entschieden12.

Weder für das Gericht noch für die Verwaltung bildet es eine
Schranke ihrer Thätigkeit, wenn die Vorfrage einem anderen Rechts-
gebiete angehört, als dem einem jeden vorzugsweise bestimmten. Ihre
Zuständigkeit in der Sache selbst vorausgesetzt, sind beide berufen,
alle Arten von Recht zu würdigen, das dabei in Betracht kommt. Sie
sprechen damit vielleicht eine Ansicht aus über eine Frage, deren

11 Theorie des Franz. V.R. S. 92 ff.; vgl. oben § 5 S. 55 ff.
12 v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 674 ff; Lippmann in Annalen 1885
S. 457. Besondere Zuständigkeiten zur Nachprüfung des fremden Aktes können
ausserdem verliehen sein; das ist eine Sache für sich.

§ 16. Zuständigkeit der Civilgerichte.
der Form, daſs Verurteilung oder Freisprechung von der Gültigkeit
eines Verwaltungsaktes abhängt. Inwiefern ist die öffentlich-
rechtliche Vorfrage
für die Zuständigkeit von Einfluſs?

In diesem Punkte liegt der Hauptgegensatz zwischen der deutschen
und der französischen Art der Zuständigkeitsabgrenzung. Wenn man
die letztere vielfach nachzuahmen gesucht hat, so hat man nicht be-
rücksichtigt, daſs sie gewachsen ist auf ganz besonderen Voraus-
setzungen, die bei uns nicht gegeben sind. Unter dem Eindruck der
alten Kämpfe zwischen der königlichen Verwaltung und den Parla-
menten entstand jenes scharfe Verbot, das auch jede mittelbare Ein-
wirkung der Gerichte ausschlieſsen soll. Es wird ausgedrückt als eine
Unantastbarkeit des Verwaltungsaktes für die Gerichte. Sie dürfen
nicht machen, was diesem zukommt, selbstverständlich; das ist schon
in ihrer allgemeinen Beschränkung auf civilrechtliche Sachen ent-
halten. Sie dürfen aber auch bei Erledigung solcher Sachen ihre
Entscheidung nicht gründen auf die Beurteilung eines Verwaltungs-
aktes nach seiner Gültigkeit und dem Umfang seiner Wirkung, noch
auf eine Auslegung seines zweifelhaft gewordenen Inhalts. Sobald es
auf etwas derartiges ankommt, hat das Gericht sein Verfahren auszu-
setzen und zu warten, bis im Verwaltungswege oder Verwaltungs-
rechtswege die Vorfrage ins Reine gebracht ist; wo nicht, so über-
schreitet es seine Zuständigkeit11.

In Deutschland hat eine derartige Feindseligkeit zwischen Justiz
und Verwaltung nie bestanden. Das gelehrte Berufsbeamtentum
herrscht gleichmäſsig hüben und drüben. Das Verhältnis zwischen
Gericht und Verwaltungsbehörde ist einfach durch die gleichen Regeln
bestimmt, wie das zwischen Gericht und Gericht: keine Behörde soll
ordnen wollen, was der anderen zu ordnen vorbehalten ist, und
jede soll gelten lassen, was die andere in ihrer Zuständigkeit ge-
ordnet hat
. In diesen zwei Sätzen ist auch die Bedeutung der
Vorfrage entschieden12.

Weder für das Gericht noch für die Verwaltung bildet es eine
Schranke ihrer Thätigkeit, wenn die Vorfrage einem anderen Rechts-
gebiete angehört, als dem einem jeden vorzugsweise bestimmten. Ihre
Zuständigkeit in der Sache selbst vorausgesetzt, sind beide berufen,
alle Arten von Recht zu würdigen, das dabei in Betracht kommt. Sie
sprechen damit vielleicht eine Ansicht aus über eine Frage, deren

11 Theorie des Franz. V.R. S. 92 ff.; vgl. oben § 5 S. 55 ff.
12 v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 674 ff; Lippmann in Annalen 1885
S. 457. Besondere Zuständigkeiten zur Nachprüfung des fremden Aktes können
auſserdem verliehen sein; das ist eine Sache für sich.
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[217/0237] § 16. Zuständigkeit der Civilgerichte. der Form, daſs Verurteilung oder Freisprechung von der Gültigkeit eines Verwaltungsaktes abhängt. Inwiefern ist die öffentlich- rechtliche Vorfrage für die Zuständigkeit von Einfluſs? In diesem Punkte liegt der Hauptgegensatz zwischen der deutschen und der französischen Art der Zuständigkeitsabgrenzung. Wenn man die letztere vielfach nachzuahmen gesucht hat, so hat man nicht be- rücksichtigt, daſs sie gewachsen ist auf ganz besonderen Voraus- setzungen, die bei uns nicht gegeben sind. Unter dem Eindruck der alten Kämpfe zwischen der königlichen Verwaltung und den Parla- menten entstand jenes scharfe Verbot, das auch jede mittelbare Ein- wirkung der Gerichte ausschlieſsen soll. Es wird ausgedrückt als eine Unantastbarkeit des Verwaltungsaktes für die Gerichte. Sie dürfen nicht machen, was diesem zukommt, selbstverständlich; das ist schon in ihrer allgemeinen Beschränkung auf civilrechtliche Sachen ent- halten. Sie dürfen aber auch bei Erledigung solcher Sachen ihre Entscheidung nicht gründen auf die Beurteilung eines Verwaltungs- aktes nach seiner Gültigkeit und dem Umfang seiner Wirkung, noch auf eine Auslegung seines zweifelhaft gewordenen Inhalts. Sobald es auf etwas derartiges ankommt, hat das Gericht sein Verfahren auszu- setzen und zu warten, bis im Verwaltungswege oder Verwaltungs- rechtswege die Vorfrage ins Reine gebracht ist; wo nicht, so über- schreitet es seine Zuständigkeit 11. In Deutschland hat eine derartige Feindseligkeit zwischen Justiz und Verwaltung nie bestanden. Das gelehrte Berufsbeamtentum herrscht gleichmäſsig hüben und drüben. Das Verhältnis zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde ist einfach durch die gleichen Regeln bestimmt, wie das zwischen Gericht und Gericht: keine Behörde soll ordnen wollen, was der anderen zu ordnen vorbehalten ist, und jede soll gelten lassen, was die andere in ihrer Zuständigkeit ge- ordnet hat. In diesen zwei Sätzen ist auch die Bedeutung der Vorfrage entschieden 12. Weder für das Gericht noch für die Verwaltung bildet es eine Schranke ihrer Thätigkeit, wenn die Vorfrage einem anderen Rechts- gebiete angehört, als dem einem jeden vorzugsweise bestimmten. Ihre Zuständigkeit in der Sache selbst vorausgesetzt, sind beide berufen, alle Arten von Recht zu würdigen, das dabei in Betracht kommt. Sie sprechen damit vielleicht eine Ansicht aus über eine Frage, deren 11 Theorie des Franz. V.R. S. 92 ff.; vgl. oben § 5 S. 55 ff. 12 v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 674 ff; Lippmann in Annalen 1885 S. 457. Besondere Zuständigkeiten zur Nachprüfung des fremden Aktes können auſserdem verliehen sein; das ist eine Sache für sich.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/237>, abgerufen am 02.05.2024.