Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. Gewissen nicht so nennen kann. Daher der Satz sich mit immergrösserer Entschiedenheit vordrängt, dass die Verwaltungsrechtspflege auch bloss dem objektiven Rechte dienen kann, der aufrecht zu erhaltenden Rechtsordnung, wobei es dahin gestellt bleibt, was man alles zu dieser rechnen mag8. Alles läuft schliesslich hinaus auf den verhältnismässig umfassen- Man spricht von einem Ermessen auch bei der gewöhnlichen 8 G. Meyer, V.R. II S. 46, v. Stengel in Wörterbuch II S. 714 erkennen darin eine weitere Aufgabe, welche der Verwaltungsrechtspflege noch übertragen sein kann, vielleicht "über ihre natürlichen Grenzen hinaus". -- Eine Vereinigung beider Gesichtspunkte finden andere darin, dass sie nach dem Vorgange Jherings überall ein subjektives Recht annehmen, wo durch die Rechtsordnung Interessen ge- schützt sind, ein subjektives Recht, wenn nicht des Unterthanen, so doch des Staates: v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 79; Leuthold in Annalen 1884 S. 495 ff.; Loening, V.R. S. 796 ff. -- Eine dritte Partei stellt die ganze Auf- gabe der Verwaltungsrechtspflege ausschliesslich auf den Schutz der Rechtsordnung; Gneist, Rechtsstaat S. 270. 271; Bornhak, Preuss. St.R. II S. 407. Diese Rechts- ordnung selbst wird dabei freilich in sehr weitem Sinne genommen und umfasst keineswegs bloss Rechtssätze; vgl. oben § 12 Note 2. 9 v. Lehmayer in Grünh. Ztschft. IV S. 752; Seydel, Bayr. St.R. II S. 440.
Bernatzik, Rechtskraft S. 37, berichtet das wenigstens als die gewöhnliche Mei- nung. -- Wenn die Gesetzgebung, wozu sie ja im stande ist, die Verwaltungsrechts- pflege auf reine Rechtsprechung beschränken will, so drückt sie das gern so aus, dass bestimmt wird: die Verwaltungsgerichte seien in "Ermessensfragen" nicht zu- ständig. So Österr. Ges. über Errichtung eines V.G.H. v. 22. Okt. 1875 § 3 lit. c; Bayr. Ges. v. 4. Aug. 1878 Art. 13 Ziff. 3; vgl. auch Württemb. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 13 Abs. 2. Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. Gewissen nicht so nennen kann. Daher der Satz sich mit immergröſserer Entschiedenheit vordrängt, daſs die Verwaltungsrechtspflege auch bloſs dem objektiven Rechte dienen kann, der aufrecht zu erhaltenden Rechtsordnung, wobei es dahin gestellt bleibt, was man alles zu dieser rechnen mag8. Alles läuft schlieſslich hinaus auf den verhältnismäſsig umfassen- Man spricht von einem Ermessen auch bei der gewöhnlichen 8 G. Meyer, V.R. II S. 46, v. Stengel in Wörterbuch II S. 714 erkennen darin eine weitere Aufgabe, welche der Verwaltungsrechtspflege noch übertragen sein kann, vielleicht „über ihre natürlichen Grenzen hinaus“. — Eine Vereinigung beider Gesichtspunkte finden andere darin, daſs sie nach dem Vorgange Jherings überall ein subjektives Recht annehmen, wo durch die Rechtsordnung Interessen ge- schützt sind, ein subjektives Recht, wenn nicht des Unterthanen, so doch des Staates: v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 79; Leuthold in Annalen 1884 S. 495 ff.; Loening, V.R. S. 796 ff. — Eine dritte Partei stellt die ganze Auf- gabe der Verwaltungsrechtspflege ausschlieſslich auf den Schutz der Rechtsordnung; Gneist, Rechtsstaat S. 270. 271; Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 407. Diese Rechts- ordnung selbst wird dabei freilich in sehr weitem Sinne genommen und umfaſst keineswegs bloſs Rechtssätze; vgl. oben § 12 Note 2. 9 v. Lehmayer in Grünh. Ztschft. IV S. 752; Seydel, Bayr. St.R. II S. 440.
Bernatzik, Rechtskraft S. 37, berichtet das wenigstens als die gewöhnliche Mei- nung. — Wenn die Gesetzgebung, wozu sie ja im stande ist, die Verwaltungsrechts- pflege auf reine Rechtsprechung beschränken will, so drückt sie das gern so aus, daſs bestimmt wird: die Verwaltungsgerichte seien in „Ermessensfragen“ nicht zu- ständig. So Österr. Ges. über Errichtung eines V.G.H. v. 22. Okt. 1875 § 3 lit. c; Bayr. Ges. v. 4. Aug. 1878 Art. 13 Ziff. 3; vgl. auch Württemb. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 13 Abs. 2. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0184" n="164"/><fw place="top" type="header">Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.</fw><lb/> Gewissen nicht so nennen kann. Daher der Satz sich mit immer<lb/> gröſserer Entschiedenheit vordrängt, daſs die Verwaltungsrechtspflege<lb/> auch bloſs dem <hi rendition="#g">objektiven Rechte</hi> dienen kann, der aufrecht zu<lb/> erhaltenden <hi rendition="#g">Rechtsordnung,</hi> wobei es dahin gestellt bleibt, was<lb/> man alles zu dieser rechnen mag<note place="foot" n="8">G. <hi rendition="#g">Meyer,</hi> V.R. II S. 46, v. <hi rendition="#g">Stengel</hi> in Wörterbuch II S. 714 erkennen<lb/> darin eine weitere Aufgabe, welche der Verwaltungsrechtspflege noch übertragen<lb/> sein kann, vielleicht „über ihre natürlichen Grenzen hinaus“. — Eine Vereinigung<lb/> beider Gesichtspunkte finden andere darin, daſs sie nach dem Vorgange Jherings<lb/> überall ein subjektives Recht annehmen, wo durch die Rechtsordnung Interessen ge-<lb/> schützt sind, ein subjektives Recht, wenn nicht des Unterthanen, so doch des<lb/> Staates: v. <hi rendition="#g">Sarwey,</hi> Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 79; <hi rendition="#g">Leuthold</hi> in Annalen 1884<lb/> S. 495 ff.; <hi rendition="#g">Loening,</hi> V.R. S. 796 ff. — Eine dritte Partei stellt die ganze Auf-<lb/> gabe der Verwaltungsrechtspflege ausschlieſslich auf den Schutz der Rechtsordnung;<lb/><hi rendition="#g">Gneist,</hi> Rechtsstaat S. 270. 271; <hi rendition="#g">Bornhak,</hi> Preuſs. St.R. II S. 407. Diese Rechts-<lb/> ordnung selbst wird dabei freilich in sehr weitem Sinne genommen und umfaſst<lb/> keineswegs bloſs Rechtssätze; vgl. oben § 12 Note 2.</note>.</p><lb/> <p>Alles läuft schlieſslich hinaus auf den verhältnismäſsig umfassen-<lb/> deren Begriff der Rechtsprechung. Wenn nur ausgesprochen werden<lb/> soll, was im Einzelfall Rechtens ist, so kann ein subjektives Recht<lb/> dafür die Grundlage geben oder das anzuwendende objektive Recht,<lb/> vielleicht auch ein auszulegendes Rechtsgeschäft oder sonst was den<lb/> Ausspruch rechtlich bindet. Alles muſs genügen, um den Begriff der<lb/> Rechtsprechung und damit die angenommene Bedingung für das Vor-<lb/> handensein einer Verwaltungsrechtspflege zu erfüllen. Der Gedanke<lb/> findet üblicher Weise seinen Ausdruck von der Kehrseite: den Gegen-<lb/> satz einer derartigen Gebundenheit bezeichnet man als ein der Be-<lb/> hörde zustehendes freies Ermessen und kommt dann ganz folgerichtig<lb/> zu dem Satze: <hi rendition="#g">Akte des freien Ermessens können nicht<lb/> Gegenstand der Verwaltungsrechtspflege sein</hi><note place="foot" n="9">v. <hi rendition="#g">Lehmayer</hi> in Grünh. Ztschft. IV S. 752; <hi rendition="#g">Seydel,</hi> Bayr. St.R. II S. 440.<lb/><hi rendition="#g">Bernatzik,</hi> Rechtskraft S. 37, berichtet das wenigstens als die gewöhnliche Mei-<lb/> nung. — Wenn die Gesetzgebung, wozu sie ja im stande ist, die Verwaltungsrechts-<lb/> pflege auf reine Rechtsprechung beschränken will, so drückt sie das gern so aus,<lb/> daſs bestimmt wird: die Verwaltungsgerichte seien in „Ermessensfragen“ nicht zu-<lb/> ständig. So Österr. Ges. über Errichtung eines V.G.H. v. 22. Okt. 1875 § 3 lit. c;<lb/> Bayr. Ges. v. 4. Aug. 1878 Art. 13 Ziff. 3; vgl. auch Württemb. Ges. v. 16. Dez.<lb/> 1876 Art. 13 Abs. 2.</note>.</p><lb/> <p>Man spricht von einem Ermessen auch bei der gewöhnlichen<lb/> Rechtsprechungsthätigkeit des Civilgerichts. Wenn es sagen soll, was<lb/> das Gesetz für den Einzelfall gewollt hat, muſs es diesen Willen den<lb/> Umständen <hi rendition="#g">anpassen</hi> können; und das ist gegenüber der unab-<lb/> sehbaren Mannigfaltigkeit derselben nur möglich, wenn ihm dabei ein<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0184]
Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Gewissen nicht so nennen kann. Daher der Satz sich mit immer
gröſserer Entschiedenheit vordrängt, daſs die Verwaltungsrechtspflege
auch bloſs dem objektiven Rechte dienen kann, der aufrecht zu
erhaltenden Rechtsordnung, wobei es dahin gestellt bleibt, was
man alles zu dieser rechnen mag 8.
Alles läuft schlieſslich hinaus auf den verhältnismäſsig umfassen-
deren Begriff der Rechtsprechung. Wenn nur ausgesprochen werden
soll, was im Einzelfall Rechtens ist, so kann ein subjektives Recht
dafür die Grundlage geben oder das anzuwendende objektive Recht,
vielleicht auch ein auszulegendes Rechtsgeschäft oder sonst was den
Ausspruch rechtlich bindet. Alles muſs genügen, um den Begriff der
Rechtsprechung und damit die angenommene Bedingung für das Vor-
handensein einer Verwaltungsrechtspflege zu erfüllen. Der Gedanke
findet üblicher Weise seinen Ausdruck von der Kehrseite: den Gegen-
satz einer derartigen Gebundenheit bezeichnet man als ein der Be-
hörde zustehendes freies Ermessen und kommt dann ganz folgerichtig
zu dem Satze: Akte des freien Ermessens können nicht
Gegenstand der Verwaltungsrechtspflege sein 9.
Man spricht von einem Ermessen auch bei der gewöhnlichen
Rechtsprechungsthätigkeit des Civilgerichts. Wenn es sagen soll, was
das Gesetz für den Einzelfall gewollt hat, muſs es diesen Willen den
Umständen anpassen können; und das ist gegenüber der unab-
sehbaren Mannigfaltigkeit derselben nur möglich, wenn ihm dabei ein
8 G. Meyer, V.R. II S. 46, v. Stengel in Wörterbuch II S. 714 erkennen
darin eine weitere Aufgabe, welche der Verwaltungsrechtspflege noch übertragen
sein kann, vielleicht „über ihre natürlichen Grenzen hinaus“. — Eine Vereinigung
beider Gesichtspunkte finden andere darin, daſs sie nach dem Vorgange Jherings
überall ein subjektives Recht annehmen, wo durch die Rechtsordnung Interessen ge-
schützt sind, ein subjektives Recht, wenn nicht des Unterthanen, so doch des
Staates: v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 79; Leuthold in Annalen 1884
S. 495 ff.; Loening, V.R. S. 796 ff. — Eine dritte Partei stellt die ganze Auf-
gabe der Verwaltungsrechtspflege ausschlieſslich auf den Schutz der Rechtsordnung;
Gneist, Rechtsstaat S. 270. 271; Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 407. Diese Rechts-
ordnung selbst wird dabei freilich in sehr weitem Sinne genommen und umfaſst
keineswegs bloſs Rechtssätze; vgl. oben § 12 Note 2.
9 v. Lehmayer in Grünh. Ztschft. IV S. 752; Seydel, Bayr. St.R. II S. 440.
Bernatzik, Rechtskraft S. 37, berichtet das wenigstens als die gewöhnliche Mei-
nung. — Wenn die Gesetzgebung, wozu sie ja im stande ist, die Verwaltungsrechts-
pflege auf reine Rechtsprechung beschränken will, so drückt sie das gern so aus,
daſs bestimmt wird: die Verwaltungsgerichte seien in „Ermessensfragen“ nicht zu-
ständig. So Österr. Ges. über Errichtung eines V.G.H. v. 22. Okt. 1875 § 3 lit. c;
Bayr. Ges. v. 4. Aug. 1878 Art. 13 Ziff. 3; vgl. auch Württemb. Ges. v. 16. Dez.
1876 Art. 13 Abs. 2.
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