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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
bloss dasjenige Merkmal der Civilrechtspflege sein, welches überall
vorhanden ist, wo Verwaltungsrechtspflege vorliegt, und nirgends vor-
handen ist, als da, wo sie vorliegt.

I. Die Civilrechtspflege hat zu ihrem ordentlichen Gegenstande
die Entscheidung eines Rechtsstreites. Das Urteil bestimmt,
was zwischen den Parteien Rechtens sein soll, indem es ausspricht,
was für sie schon Rechtens ist. Es sagt lediglich, was das Gesetz
für diesen Fall gewollt hat, als die viva vox legis. Dadurch macht
es zugleich die bereits bestehenden subjektiven Rechte erkenn-
bar und stattet sie aus mit der zur Erzwingung nötigen Bestimmt-
heit. Feststellung ist sein Kern4. Das Wort Rechtsprechung,
welches als gleichbedeutend mit streitiger Rechtspflege gebraucht wird,
bezeichnet gerade diese Seite davon auf das treffendste5.

Unsere Wissenschaft ist nun ganz unverkennbar von dem Ge-
danken beherrscht, dass die Aufgabe der Verwaltungsrechtspflege not-
wendig in dieser Weise bestimmt sei, dass es zu ihrem Wesen gehöre,
einen derartigen Inhalt zu haben.

Die Verwaltungsrechtspflege hat sich zur Zeit der Kämpfe über
ihre Zulässigkeit damit eingeführt, dass sie gerade nur ein Mittel sei,
um das subjektive Recht zu schützen6. In den üblichen Begriffs-
bestimmungen, mit welchen die Lehre davon eingeleitet zu werden
pflegt, steht jetzt noch der Schutz des subjektiven Rechts als ihr
wesentlicher Zweck und Daseinsgrund obenan7.

Freilich hat man sich bei näherem Zusehen nicht verhehlen können,
dass es mit dem subjektiven Rechte auf dem Gebiete der Verwaltung
eine zweifelhafte Sache ist und dass man, um dem wirklichen Umfang
der Verwaltungsrechtspflege zu genügen, gar manches geschützte
Interesse als ein Recht durchgehen lassen muss, das man mit gutem

4 A. S. Schultze, Privatrecht und Prozess S. 219.
5 Bernatzik, Rechtskraft S. 63.
6 K. v. Pfizer, Grenzen zwischen Verw.- und Civil-Justiz S. 8, 30, 107; der-
selbe, Zulässigkeit der Verw.-Justiz S. 21 ff. Vor allem wird die administrativ-
kontentiöse Sache, die Parteistreitigkeit des öffentlichen Rechts in den Vordergrund
geschoben als der Normalfall, für welchen doch auch die Gegner eine Verwaltungs-
rechtspflege als möglich zugeben müssen: Goenner, Entw. eines Gesetzbuchs über
d. gerichtl. Verfahren I S. 14, II S. 56 ff.; v. Weiler, Verw. und Justiz S. 24;
Poehlmann, Wesen der sog. adm. kont. Sachen S. 3, S. 34; Oppenhoff,
Ressortverh. S. 80.
7 G. Meyer, V.R. I S. 46 Note 2: "Die herrschende Meinung geht davon
aus, dass die Verwaltungsrechtsgerichtsbarkeit lediglich zum Schutze subjektiver
Rechte berufen sei". Ebenso Gluth, in Arch. f. öff. R. III S. 570 und Note 5,
woselbst auch reichliche Litteraturangabe.
11*

§ 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung.
bloſs dasjenige Merkmal der Civilrechtspflege sein, welches überall
vorhanden ist, wo Verwaltungsrechtspflege vorliegt, und nirgends vor-
handen ist, als da, wo sie vorliegt.

I. Die Civilrechtspflege hat zu ihrem ordentlichen Gegenstande
die Entscheidung eines Rechtsstreites. Das Urteil bestimmt,
was zwischen den Parteien Rechtens sein soll, indem es ausspricht,
was für sie schon Rechtens ist. Es sagt lediglich, was das Gesetz
für diesen Fall gewollt hat, als die viva vox legis. Dadurch macht
es zugleich die bereits bestehenden subjektiven Rechte erkenn-
bar und stattet sie aus mit der zur Erzwingung nötigen Bestimmt-
heit. Feststellung ist sein Kern4. Das Wort Rechtsprechung,
welches als gleichbedeutend mit streitiger Rechtspflege gebraucht wird,
bezeichnet gerade diese Seite davon auf das treffendste5.

Unsere Wissenschaft ist nun ganz unverkennbar von dem Ge-
danken beherrscht, daſs die Aufgabe der Verwaltungsrechtspflege not-
wendig in dieser Weise bestimmt sei, daſs es zu ihrem Wesen gehöre,
einen derartigen Inhalt zu haben.

Die Verwaltungsrechtspflege hat sich zur Zeit der Kämpfe über
ihre Zulässigkeit damit eingeführt, daſs sie gerade nur ein Mittel sei,
um das subjektive Recht zu schützen6. In den üblichen Begriffs-
bestimmungen, mit welchen die Lehre davon eingeleitet zu werden
pflegt, steht jetzt noch der Schutz des subjektiven Rechts als ihr
wesentlicher Zweck und Daseinsgrund obenan7.

Freilich hat man sich bei näherem Zusehen nicht verhehlen können,
daſs es mit dem subjektiven Rechte auf dem Gebiete der Verwaltung
eine zweifelhafte Sache ist und daſs man, um dem wirklichen Umfang
der Verwaltungsrechtspflege zu genügen, gar manches geschützte
Interesse als ein Recht durchgehen lassen muſs, das man mit gutem

4 A. S. Schultze, Privatrecht und Prozeſs S. 219.
5 Bernatzik, Rechtskraft S. 63.
6 K. v. Pfizer, Grenzen zwischen Verw.- und Civil-Justiz S. 8, 30, 107; der-
selbe, Zulässigkeit der Verw.-Justiz S. 21 ff. Vor allem wird die administrativ-
kontentiöse Sache, die Parteistreitigkeit des öffentlichen Rechts in den Vordergrund
geschoben als der Normalfall, für welchen doch auch die Gegner eine Verwaltungs-
rechtspflege als möglich zugeben müssen: Goenner, Entw. eines Gesetzbuchs über
d. gerichtl. Verfahren I S. 14, II S. 56 ff.; v. Weiler, Verw. und Justiz S. 24;
Poehlmann, Wesen der sog. adm. kont. Sachen S. 3, S. 34; Oppenhoff,
Ressortverh. S. 80.
7 G. Meyer, V.R. I S. 46 Note 2: „Die herrschende Meinung geht davon
aus, daſs die Verwaltungsrechtsgerichtsbarkeit lediglich zum Schutze subjektiver
Rechte berufen sei“. Ebenso Gluth, in Arch. f. öff. R. III S. 570 und Note 5,
woselbst auch reichliche Litteraturangabe.
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[163/0183] § 13. Die Verwaltungsrechtspflege; Voraussetzungen und Wirkung. bloſs dasjenige Merkmal der Civilrechtspflege sein, welches überall vorhanden ist, wo Verwaltungsrechtspflege vorliegt, und nirgends vor- handen ist, als da, wo sie vorliegt. I. Die Civilrechtspflege hat zu ihrem ordentlichen Gegenstande die Entscheidung eines Rechtsstreites. Das Urteil bestimmt, was zwischen den Parteien Rechtens sein soll, indem es ausspricht, was für sie schon Rechtens ist. Es sagt lediglich, was das Gesetz für diesen Fall gewollt hat, als die viva vox legis. Dadurch macht es zugleich die bereits bestehenden subjektiven Rechte erkenn- bar und stattet sie aus mit der zur Erzwingung nötigen Bestimmt- heit. Feststellung ist sein Kern 4. Das Wort Rechtsprechung, welches als gleichbedeutend mit streitiger Rechtspflege gebraucht wird, bezeichnet gerade diese Seite davon auf das treffendste 5. Unsere Wissenschaft ist nun ganz unverkennbar von dem Ge- danken beherrscht, daſs die Aufgabe der Verwaltungsrechtspflege not- wendig in dieser Weise bestimmt sei, daſs es zu ihrem Wesen gehöre, einen derartigen Inhalt zu haben. Die Verwaltungsrechtspflege hat sich zur Zeit der Kämpfe über ihre Zulässigkeit damit eingeführt, daſs sie gerade nur ein Mittel sei, um das subjektive Recht zu schützen 6. In den üblichen Begriffs- bestimmungen, mit welchen die Lehre davon eingeleitet zu werden pflegt, steht jetzt noch der Schutz des subjektiven Rechts als ihr wesentlicher Zweck und Daseinsgrund obenan 7. Freilich hat man sich bei näherem Zusehen nicht verhehlen können, daſs es mit dem subjektiven Rechte auf dem Gebiete der Verwaltung eine zweifelhafte Sache ist und daſs man, um dem wirklichen Umfang der Verwaltungsrechtspflege zu genügen, gar manches geschützte Interesse als ein Recht durchgehen lassen muſs, das man mit gutem 4 A. S. Schultze, Privatrecht und Prozeſs S. 219. 5 Bernatzik, Rechtskraft S. 63. 6 K. v. Pfizer, Grenzen zwischen Verw.- und Civil-Justiz S. 8, 30, 107; der- selbe, Zulässigkeit der Verw.-Justiz S. 21 ff. Vor allem wird die administrativ- kontentiöse Sache, die Parteistreitigkeit des öffentlichen Rechts in den Vordergrund geschoben als der Normalfall, für welchen doch auch die Gegner eine Verwaltungs- rechtspflege als möglich zugeben müssen: Goenner, Entw. eines Gesetzbuchs über d. gerichtl. Verfahren I S. 14, II S. 56 ff.; v. Weiler, Verw. und Justiz S. 24; Poehlmann, Wesen der sog. adm. kont. Sachen S. 3, S. 34; Oppenhoff, Ressortverh. S. 80. 7 G. Meyer, V.R. I S. 46 Note 2: „Die herrschende Meinung geht davon aus, daſs die Verwaltungsrechtsgerichtsbarkeit lediglich zum Schutze subjektiver Rechte berufen sei“. Ebenso Gluth, in Arch. f. öff. R. III S. 570 und Note 5, woselbst auch reichliche Litteraturangabe. 11*

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/183>, abgerufen am 30.04.2024.