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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.

Ebenso wird der Verwaltungsakt überall ohne weiteres zur Wirk-
samkeit gelangen können, wo die Zumutung, die er dem Einzelnen
macht, nicht als in den Vorbehalt des Gesetzes fallender Eingriff er-
scheint wegen eines bereits bestehenden Verhältnisses, das er nur
geltend macht, sei es ein besonderes Rechtsverhältnis, sei es ein Ge-
waltverhältnis allgemeinerer Natur, dem der Betroffene schon unter-
worfen ist (unten § 9 Note 13).

2. Die Wirkung des Urteils ist ähnlich der des Rechtssatzes. Es
giebt dem, für welchen es ergangen ist, eine rechtliche Bestimmtheit
der öffentlichen Gewalt gegenüber für das, was er soll und darf, und
bindet die Justiz, demgemäss zu verfahren, in Vollstreckungshand-
lungen wie in etwa weiter in dieser Sache ergehenden Urteilen. Ab-
weichung davon zu seinem Nachteil ist ein Unrecht gegen ihn.

In gleicher Weise bestimmt der Verwaltungsakt den Unterthanen,
über den er erlassen wird; nur dass der Inhalt dieser Bestimmung
hier unendlich viel mannigfaltiger ist. Statt des einfachen Gezwungen-
werden-Sollens oder Durch-Zwang-Geschütztwerden-Sollens, dessen
näherer Inhalt immer nur die gegenüberstehende Privatpartei angeht,
werden hier alle Besonderheiten unmittelbar Inhalt des öffentlich-
rechtlichen Verhältnisses zum Staate: der Betroffene soll ihm gegen-
über thun oder unterlassen oder thun dürfen, zahlen, bezahlt er-
halten, Dienste leisten, Eigentum verlieren, Nutzungen haben6.
Überall ist zugleich die öffentliche Gewalt gebunden zur Vollziehung
d. h. zur Aufrechterhaltung und Durchführung des also Bestimmten,
so lange der Verwaltungsakt in Kraft besteht und nicht eine be-
sondere Befugnis wirksam wird, um seine Wirkung zu durchkreuzen.

Bedingt ist diese Wirkung in mannigfacher Weise durch die recht-
lichen Schranken und Gebundenheiten, welchen der Verwaltungsakt
selbst unterliegt. Aber diese Bedingtheit ist von der gleichen recht-
lichen Natur, wie die entsprechende des civilgerichtlichen Urteils.
Das Urteil, welches das Gesetz verletzt, ist ungültig und soll auf-
gehoben werden. Bis das geschehen ist, muss es als wirksam be-
handelt werden. Die obrigkeitliche Gewalt, die in ihm erscheint, be-
zeugt sich immer zunächst als rechtmässig. Das Gleiche gilt vom
Verwaltungsakt. Die Ungültigkeit ist nur ein Grund der Unwirksam-
erklärung, aber kein Grund der Unwirksamkeit; die Unwirksam-

6 Über die Versuche, die Verwaltungsakte nach diesem Inhalte einzuteilen,
vgl. unten § 11 Note 1.
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§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.

Ebenso wird der Verwaltungsakt überall ohne weiteres zur Wirk-
samkeit gelangen können, wo die Zumutung, die er dem Einzelnen
macht, nicht als in den Vorbehalt des Gesetzes fallender Eingriff er-
scheint wegen eines bereits bestehenden Verhältnisses, das er nur
geltend macht, sei es ein besonderes Rechtsverhältnis, sei es ein Ge-
waltverhältnis allgemeinerer Natur, dem der Betroffene schon unter-
worfen ist (unten § 9 Note 13).

2. Die Wirkung des Urteils ist ähnlich der des Rechtssatzes. Es
giebt dem, für welchen es ergangen ist, eine rechtliche Bestimmtheit
der öffentlichen Gewalt gegenüber für das, was er soll und darf, und
bindet die Justiz, demgemäſs zu verfahren, in Vollstreckungshand-
lungen wie in etwa weiter in dieser Sache ergehenden Urteilen. Ab-
weichung davon zu seinem Nachteil ist ein Unrecht gegen ihn.

In gleicher Weise bestimmt der Verwaltungsakt den Unterthanen,
über den er erlassen wird; nur daſs der Inhalt dieser Bestimmung
hier unendlich viel mannigfaltiger ist. Statt des einfachen Gezwungen-
werden-Sollens oder Durch-Zwang-Geschütztwerden-Sollens, dessen
näherer Inhalt immer nur die gegenüberstehende Privatpartei angeht,
werden hier alle Besonderheiten unmittelbar Inhalt des öffentlich-
rechtlichen Verhältnisses zum Staate: der Betroffene soll ihm gegen-
über thun oder unterlassen oder thun dürfen, zahlen, bezahlt er-
halten, Dienste leisten, Eigentum verlieren, Nutzungen haben6.
Überall ist zugleich die öffentliche Gewalt gebunden zur Vollziehung
d. h. zur Aufrechterhaltung und Durchführung des also Bestimmten,
so lange der Verwaltungsakt in Kraft besteht und nicht eine be-
sondere Befugnis wirksam wird, um seine Wirkung zu durchkreuzen.

Bedingt ist diese Wirkung in mannigfacher Weise durch die recht-
lichen Schranken und Gebundenheiten, welchen der Verwaltungsakt
selbst unterliegt. Aber diese Bedingtheit ist von der gleichen recht-
lichen Natur, wie die entsprechende des civilgerichtlichen Urteils.
Das Urteil, welches das Gesetz verletzt, ist ungültig und soll auf-
gehoben werden. Bis das geschehen ist, muſs es als wirksam be-
handelt werden. Die obrigkeitliche Gewalt, die in ihm erscheint, be-
zeugt sich immer zunächst als rechtmäſsig. Das Gleiche gilt vom
Verwaltungsakt. Die Ungültigkeit ist nur ein Grund der Unwirksam-
erklärung, aber kein Grund der Unwirksamkeit; die Unwirksam-

6 Über die Versuche, die Verwaltungsakte nach diesem Inhalte einzuteilen,
vgl. unten § 11 Note 1.
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[99/0119] § 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes. Ebenso wird der Verwaltungsakt überall ohne weiteres zur Wirk- samkeit gelangen können, wo die Zumutung, die er dem Einzelnen macht, nicht als in den Vorbehalt des Gesetzes fallender Eingriff er- scheint wegen eines bereits bestehenden Verhältnisses, das er nur geltend macht, sei es ein besonderes Rechtsverhältnis, sei es ein Ge- waltverhältnis allgemeinerer Natur, dem der Betroffene schon unter- worfen ist (unten § 9 Note 13). 2. Die Wirkung des Urteils ist ähnlich der des Rechtssatzes. Es giebt dem, für welchen es ergangen ist, eine rechtliche Bestimmtheit der öffentlichen Gewalt gegenüber für das, was er soll und darf, und bindet die Justiz, demgemäſs zu verfahren, in Vollstreckungshand- lungen wie in etwa weiter in dieser Sache ergehenden Urteilen. Ab- weichung davon zu seinem Nachteil ist ein Unrecht gegen ihn. In gleicher Weise bestimmt der Verwaltungsakt den Unterthanen, über den er erlassen wird; nur daſs der Inhalt dieser Bestimmung hier unendlich viel mannigfaltiger ist. Statt des einfachen Gezwungen- werden-Sollens oder Durch-Zwang-Geschütztwerden-Sollens, dessen näherer Inhalt immer nur die gegenüberstehende Privatpartei angeht, werden hier alle Besonderheiten unmittelbar Inhalt des öffentlich- rechtlichen Verhältnisses zum Staate: der Betroffene soll ihm gegen- über thun oder unterlassen oder thun dürfen, zahlen, bezahlt er- halten, Dienste leisten, Eigentum verlieren, Nutzungen haben 6. Überall ist zugleich die öffentliche Gewalt gebunden zur Vollziehung d. h. zur Aufrechterhaltung und Durchführung des also Bestimmten, so lange der Verwaltungsakt in Kraft besteht und nicht eine be- sondere Befugnis wirksam wird, um seine Wirkung zu durchkreuzen. Bedingt ist diese Wirkung in mannigfacher Weise durch die recht- lichen Schranken und Gebundenheiten, welchen der Verwaltungsakt selbst unterliegt. Aber diese Bedingtheit ist von der gleichen recht- lichen Natur, wie die entsprechende des civilgerichtlichen Urteils. Das Urteil, welches das Gesetz verletzt, ist ungültig und soll auf- gehoben werden. Bis das geschehen ist, muſs es als wirksam be- handelt werden. Die obrigkeitliche Gewalt, die in ihm erscheint, be- zeugt sich immer zunächst als rechtmäſsig. Das Gleiche gilt vom Verwaltungsakt. Die Ungültigkeit ist nur ein Grund der Unwirksam- erklärung, aber kein Grund der Unwirksamkeit; die Unwirksam- 6 Über die Versuche, die Verwaltungsakte nach diesem Inhalte einzuteilen, vgl. unten § 11 Note 1. 7*

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/119>, abgerufen am 02.05.2024.