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Mayer, Adolf: Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. In: Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, VI, 7. Heidelberg, 1881.

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A. Mayer:
das Zuwenig der gelehrten Thätigkeit Schaden bringt. Weil
unter ihnen wissenschaftliche Jnstitute und Hülfskräfte eine
Hauptrolle spielen, deswegen sind die genannten Schädigungen
von weit größerem Einfluß auf die Gebiete der experimentiren-
den Naturforschung, und zugleich läßt sich leicht begreifen, daß
dieselben bei unveränderter Organisation der Universitäten erst in
diesem Jahrhundert in mehr akuter Form zu Tage getreten sind,
weil eben diese Wissenschaften erst seit den letzten 50 Jahren
ihre fruchtbare Entwickelung erlangt haben. Die Bibliotheken,
beinahe das einzige wissenschaftliche Hülfsmittel der anderen
Wissenschaften und der gelehrten Arbeit vor dieser Zeit, sind
seit undenklicher Zeit in humanster Weise der gesammten Körper-
schaft der hohen Schule, ja darüber hinaus zur unbeschränkten
Verfügung gewesen.

Untersuchen wir also, wie die bestehenden Ungleichheiten
dieser oder jener Art auf die wissenschaftliche Arbeit wirken
müssen. Behalten wir dabei im Auge, daß wir es mit Menschen
zu thun haben, die menschlich, d. h. gebrechlich organisirt sind;
und haben wir es hier auch mit Auserwählten des Geistes zu
thun, so ist doch wenigstens Mittelmäßigkeit des Charakters
ihr menschlich Erbtheil. Die Versagung aller ehrenden Aus-
zeichnungen wirkt auf die meisten Geister ebenso deprimirend,
das Fehlen guter experimenteller Hülfsmittel erschwert so sehr
die exakte Arbeit, als umgekehrt die überreiche und gar die
lobhudelnde Anerkennung den ärgsten Feind ernster wissen-
schaftlicher Arbeit großfüttert -- die Eitelkeit, und als anderer-
seits der Luxus überreich dotirter Jnstitute die frische Energie
des Schaffens lahmlegt. Auf beiden Seiten geht zugleich der
richtige Maßstab für den Werth der eigenen Leistung verloren.
Auch hier wie auf dem ökonomischen Gebiete sind es gewisse mitt-
lere Verhältnisse, welche die sittlichen Kräfte des Menschen im


A. Mayer:
das Zuwenig der gelehrten Thätigkeit Schaden bringt. Weil
unter ihnen wiſſenſchaftliche Jnſtitute und Hülfskräfte eine
Hauptrolle ſpielen, deswegen ſind die genannten Schädigungen
von weit größerem Einfluß auf die Gebiete der experimentiren-
den Naturforſchung, und zugleich läßt ſich leicht begreifen, daß
dieſelben bei unveränderter Organiſation der Univerſitäten erſt in
dieſem Jahrhundert in mehr akuter Form zu Tage getreten ſind,
weil eben dieſe Wiſſenſchaften erſt ſeit den letzten 50 Jahren
ihre fruchtbare Entwickelung erlangt haben. Die Bibliotheken,
beinahe das einzige wiſſenſchaftliche Hülfsmittel der anderen
Wiſſenſchaften und der gelehrten Arbeit vor dieſer Zeit, ſind
ſeit undenklicher Zeit in humanſter Weiſe der geſammten Körper-
ſchaft der hohen Schule, ja darüber hinaus zur unbeſchränkten
Verfügung geweſen.

Unterſuchen wir alſo, wie die beſtehenden Ungleichheiten
dieſer oder jener Art auf die wiſſenſchaftliche Arbeit wirken
müſſen. Behalten wir dabei im Auge, daß wir es mit Menſchen
zu thun haben, die menſchlich, d. h. gebrechlich organiſirt ſind;
und haben wir es hier auch mit Auserwählten des Geiſtes zu
thun, ſo iſt doch wenigſtens Mittelmäßigkeit des Charakters
ihr menſchlich Erbtheil. Die Verſagung aller ehrenden Aus-
zeichnungen wirkt auf die meiſten Geiſter ebenſo deprimirend,
das Fehlen guter experimenteller Hülfsmittel erſchwert ſo ſehr
die exakte Arbeit, als umgekehrt die überreiche und gar die
lobhudelnde Anerkennung den ärgſten Feind ernſter wiſſen-
ſchaftlicher Arbeit großfüttert — die Eitelkeit, und als anderer-
ſeits der Luxus überreich dotirter Jnſtitute die friſche Energie
des Schaffens lahmlegt. Auf beiden Seiten geht zugleich der
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[176 [16]/0018] A. Mayer: das Zuwenig der gelehrten Thätigkeit Schaden bringt. Weil unter ihnen wiſſenſchaftliche Jnſtitute und Hülfskräfte eine Hauptrolle ſpielen, deswegen ſind die genannten Schädigungen von weit größerem Einfluß auf die Gebiete der experimentiren- den Naturforſchung, und zugleich läßt ſich leicht begreifen, daß dieſelben bei unveränderter Organiſation der Univerſitäten erſt in dieſem Jahrhundert in mehr akuter Form zu Tage getreten ſind, weil eben dieſe Wiſſenſchaften erſt ſeit den letzten 50 Jahren ihre fruchtbare Entwickelung erlangt haben. Die Bibliotheken, beinahe das einzige wiſſenſchaftliche Hülfsmittel der anderen Wiſſenſchaften und der gelehrten Arbeit vor dieſer Zeit, ſind ſeit undenklicher Zeit in humanſter Weiſe der geſammten Körper- ſchaft der hohen Schule, ja darüber hinaus zur unbeſchränkten Verfügung geweſen. Unterſuchen wir alſo, wie die beſtehenden Ungleichheiten dieſer oder jener Art auf die wiſſenſchaftliche Arbeit wirken müſſen. Behalten wir dabei im Auge, daß wir es mit Menſchen zu thun haben, die menſchlich, d. h. gebrechlich organiſirt ſind; und haben wir es hier auch mit Auserwählten des Geiſtes zu thun, ſo iſt doch wenigſtens Mittelmäßigkeit des Charakters ihr menſchlich Erbtheil. Die Verſagung aller ehrenden Aus- zeichnungen wirkt auf die meiſten Geiſter ebenſo deprimirend, das Fehlen guter experimenteller Hülfsmittel erſchwert ſo ſehr die exakte Arbeit, als umgekehrt die überreiche und gar die lobhudelnde Anerkennung den ärgſten Feind ernſter wiſſen- ſchaftlicher Arbeit großfüttert — die Eitelkeit, und als anderer- ſeits der Luxus überreich dotirter Jnſtitute die friſche Energie des Schaffens lahmlegt. Auf beiden Seiten geht zugleich der richtige Maßſtab für den Werth der eigenen Leiſtung verloren. Auch hier wie auf dem ökonomiſchen Gebiete ſind es gewiſſe mitt- lere Verhältniſſe, welche die ſittlichen Kräfte des Menſchen im

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Zitationshilfe: Mayer, Adolf: Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. In: Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, VI, 7. Heidelberg, 1881, S. 176 [16]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_kapitalismus_1881/18>, abgerufen am 22.11.2024.