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Mayer, Johann Tobias: Vollständiger Lehrbegriff der höhern Analysis. Bd. 1. Göttingen, 1818.

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Erster Theil.
einen Bruch oder auf ein Stück der Einheit kom-
men, welches völlig = o wäre, d. h. die Null
ist nicht das über alle Gränzen Kleine, das un-
endlich Kleine. Die Null oder das Nichts kann
weder eine Grösse, noch eine unendlich kleine
Grösse genannt werden.

XXI. Zwar können wir eine Grösse, durch
beständige Subtraction eines aliquoten Theiles
derselben vermindern, daß Nichts mehr von ihr
übrig bleibt, daß sie verschwindet (evanescit),
aber das heißt nicht eine Grösse ohne Ende ver-
mindern, oder sie unendlich klein werden lassen.
Dadurch daß man diese Begriffe nicht sorgfältig
von einander unterschieden hat, sind in der Ana-
lysis des Unendlichen, die größten Absurditäten
entstanden, z. B. daß Nullen oder Nichtse, wie
würkliche Grössen, noch ein Verhältniß gegen ein-
ander haben können u. dgl., und man hat sogar
die ganze Differenzialrechnung auf eine solche Nul-
lenrechnung gebracht, und dadurch das Princip
derselben, mit Ungereimtheiten und Schwürigkei-
ten überhäuft.

XXII. Soll eine Grösse unendlich klein wer-
den, so darf man sie nicht dergestalt abnehmen
lassen, daß sie endlich Null wird (also durch Sub-

traction),

Erſter Theil.
einen Bruch oder auf ein Stuͤck der Einheit kom-
men, welches voͤllig = o waͤre, d. h. die Null
iſt nicht das uͤber alle Graͤnzen Kleine, das un-
endlich Kleine. Die Null oder das Nichts kann
weder eine Groͤſſe, noch eine unendlich kleine
Groͤſſe genannt werden.

XXI. Zwar koͤnnen wir eine Groͤſſe, durch
beſtaͤndige Subtraction eines aliquoten Theiles
derſelben vermindern, daß Nichts mehr von ihr
uͤbrig bleibt, daß ſie verſchwindet (evaneſcit),
aber das heißt nicht eine Groͤſſe ohne Ende ver-
mindern, oder ſie unendlich klein werden laſſen.
Dadurch daß man dieſe Begriffe nicht ſorgfaͤltig
von einander unterſchieden hat, ſind in der Ana-
lyſis des Unendlichen, die groͤßten Abſurditaͤten
entſtanden, z. B. daß Nullen oder Nichtſe, wie
wuͤrkliche Groͤſſen, noch ein Verhaͤltniß gegen ein-
ander haben koͤnnen u. dgl., und man hat ſogar
die ganze Differenzialrechnung auf eine ſolche Nul-
lenrechnung gebracht, und dadurch das Princip
derſelben, mit Ungereimtheiten und Schwuͤrigkei-
ten uͤberhaͤuft.

XXII. Soll eine Groͤſſe unendlich klein wer-
den, ſo darf man ſie nicht dergeſtalt abnehmen
laſſen, daß ſie endlich Null wird (alſo durch Sub-

traction),
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[44/0062] Erſter Theil. einen Bruch oder auf ein Stuͤck der Einheit kom- men, welches voͤllig = o waͤre, d. h. die Null iſt nicht das uͤber alle Graͤnzen Kleine, das un- endlich Kleine. Die Null oder das Nichts kann weder eine Groͤſſe, noch eine unendlich kleine Groͤſſe genannt werden. XXI. Zwar koͤnnen wir eine Groͤſſe, durch beſtaͤndige Subtraction eines aliquoten Theiles derſelben vermindern, daß Nichts mehr von ihr uͤbrig bleibt, daß ſie verſchwindet (evaneſcit), aber das heißt nicht eine Groͤſſe ohne Ende ver- mindern, oder ſie unendlich klein werden laſſen. Dadurch daß man dieſe Begriffe nicht ſorgfaͤltig von einander unterſchieden hat, ſind in der Ana- lyſis des Unendlichen, die groͤßten Abſurditaͤten entſtanden, z. B. daß Nullen oder Nichtſe, wie wuͤrkliche Groͤſſen, noch ein Verhaͤltniß gegen ein- ander haben koͤnnen u. dgl., und man hat ſogar die ganze Differenzialrechnung auf eine ſolche Nul- lenrechnung gebracht, und dadurch das Princip derſelben, mit Ungereimtheiten und Schwuͤrigkei- ten uͤberhaͤuft. XXII. Soll eine Groͤſſe unendlich klein wer- den, ſo darf man ſie nicht dergeſtalt abnehmen laſſen, daß ſie endlich Null wird (alſo durch Sub- traction),

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Zitationshilfe: Mayer, Johann Tobias: Vollständiger Lehrbegriff der höhern Analysis. Bd. 1. Göttingen, 1818, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_analysis01_1818/62>, abgerufen am 08.05.2024.