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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unter-
redung mit dem Oberstlieutenant und dem Makredsch.
Als ich den letzteren in Erwähnung brachte, zog er die
Brauen finster zusammen, doch hörte er mich ruhig bis zu
Ende an.

"Also der Makredsch ist dabei! O, nun weiß ich,
wem wir das alles zu verdanken haben! Er ist der schlimmste
Feind der Dschesidi; er haßt sie; er ist ihr Vampyr, ihr
Blutsauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung
gegeben, welche zur Handhabe geworden ist, durch diesen
Ueberfall eine Kontribution von uns zu erzwingen. Aber
meine Gesandtschaft, welche nach Stambul gegangen ist,
wird auch zum Anadoli Kasi Askeri *) gehen, um ihm
einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir
Kamek noch geschrieben hat. Beide kannten sich und hatten
sich lieb, und der Pir ist lange Zeit sein Gast gewesen.
Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden und
wird uns Hilfe bringen."

"Das wünsche ich dir von Herzen. Aber wen wirst
du zu dem Kaimakam senden? Ein gewöhnlicher Mann
darf es nicht sein, sonst wird er überlistet."

"Wen ich senden werde, fragest du? Niemand werde
ich senden, keinen Menschen. Nur ich selbst werde mit
ihm sprechen. Ich bin das Haupt der Meinen; er ist
der Anführer der Seinen, und wir beide haben zu ent-
scheiden. Aber ich bin der Sieger, und er ist der Besiegte;
er mag zu mir kommen!"

"So ist es recht!"

"Ich werde ihn hier erwarten. Ich werde ihm freies
Geleit geben; aber wenn er in dreißig Minuten noch
nicht zur Stelle ist, so lasse ich die Beschießung beginnen

*) Oberrichter der asiatischen Türkei.

Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unter-
redung mit dem Oberſtlieutenant und dem Makredſch.
Als ich den letzteren in Erwähnung brachte, zog er die
Brauen finſter zuſammen, doch hörte er mich ruhig bis zu
Ende an.

„Alſo der Makredſch iſt dabei! O, nun weiß ich,
wem wir das alles zu verdanken haben! Er iſt der ſchlimmſte
Feind der Dſcheſidi; er haßt ſie; er iſt ihr Vampyr, ihr
Blutſauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung
gegeben, welche zur Handhabe geworden iſt, durch dieſen
Ueberfall eine Kontribution von uns zu erzwingen. Aber
meine Geſandtſchaft, welche nach Stambul gegangen iſt,
wird auch zum Anadoli Kaſi Askeri *) gehen, um ihm
einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir
Kamek noch geſchrieben hat. Beide kannten ſich und hatten
ſich lieb, und der Pir iſt lange Zeit ſein Gaſt geweſen.
Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterſcheiden und
wird uns Hilfe bringen.“

„Das wünſche ich dir von Herzen. Aber wen wirſt
du zu dem Kaimakam ſenden? Ein gewöhnlicher Mann
darf es nicht ſein, ſonſt wird er überliſtet.“

„Wen ich ſenden werde, frageſt du? Niemand werde
ich ſenden, keinen Menſchen. Nur ich ſelbſt werde mit
ihm ſprechen. Ich bin das Haupt der Meinen; er iſt
der Anführer der Seinen, und wir beide haben zu ent-
ſcheiden. Aber ich bin der Sieger, und er iſt der Beſiegte;
er mag zu mir kommen!“

„So iſt es recht!“

„Ich werde ihn hier erwarten. Ich werde ihm freies
Geleit geben; aber wenn er in dreißig Minuten noch
nicht zur Stelle iſt, ſo laſſe ich die Beſchießung beginnen

*) Oberrichter der aſiatiſchen Türkei.
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[67/0081] Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unter- redung mit dem Oberſtlieutenant und dem Makredſch. Als ich den letzteren in Erwähnung brachte, zog er die Brauen finſter zuſammen, doch hörte er mich ruhig bis zu Ende an. „Alſo der Makredſch iſt dabei! O, nun weiß ich, wem wir das alles zu verdanken haben! Er iſt der ſchlimmſte Feind der Dſcheſidi; er haßt ſie; er iſt ihr Vampyr, ihr Blutſauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung gegeben, welche zur Handhabe geworden iſt, durch dieſen Ueberfall eine Kontribution von uns zu erzwingen. Aber meine Geſandtſchaft, welche nach Stambul gegangen iſt, wird auch zum Anadoli Kaſi Askeri *) gehen, um ihm einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir Kamek noch geſchrieben hat. Beide kannten ſich und hatten ſich lieb, und der Pir iſt lange Zeit ſein Gaſt geweſen. Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterſcheiden und wird uns Hilfe bringen.“ „Das wünſche ich dir von Herzen. Aber wen wirſt du zu dem Kaimakam ſenden? Ein gewöhnlicher Mann darf es nicht ſein, ſonſt wird er überliſtet.“ „Wen ich ſenden werde, frageſt du? Niemand werde ich ſenden, keinen Menſchen. Nur ich ſelbſt werde mit ihm ſprechen. Ich bin das Haupt der Meinen; er iſt der Anführer der Seinen, und wir beide haben zu ent- ſcheiden. Aber ich bin der Sieger, und er iſt der Beſiegte; er mag zu mir kommen!“ „So iſt es recht!“ „Ich werde ihn hier erwarten. Ich werde ihm freies Geleit geben; aber wenn er in dreißig Minuten noch nicht zur Stelle iſt, ſo laſſe ich die Beſchießung beginnen *) Oberrichter der aſiatiſchen Türkei.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/81>, abgerufen am 06.05.2024.