Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Nein, Effendi. Ich habe mehreren offenbart, wo es
liegt, und diese hätten dir es mitgeteilt."

"Wo ist der Bey?"

"Oben auf der Klippe, von welcher aus man das
Thal am besten überblicken kann. Erlaube, daß ich dich
führe!"

Er nahm das Gewehr über die Schulter und schritt
voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Inter-
esse, hier hinabzublicken auf die Verstecke, hinter denen
die Dschesidi standen, saßen, hockten und lagen, ganz be-
reit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im
vollen Ernste zu beginnen. Hier kam man noch besser als
unten zu der Ueberzeugung, daß die Türken verloren wären,
wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Gegnern einig zu
werden. Hier an derselben Stelle hatte ich mit Ali Bey
gestanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten,
und jetzt, nur wenige Stunden später, stand die kleine
Sekte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen
des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da.

Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felsen
gelangten, der sich ein weniges über den Rand des Thales
hervorstreckte. Hier saß der Bey mit seinem Stabe, wel-
cher nur aus drei barfüßigen Dschesidi bestand. Er kam
mir erfreut entgegen.

"Ich danke dem Allgütigen, der dich gesund und un-
versehrt erhalten hat!" sagte er herzlich. "Ist dir Uebles
begegnet?"

"Nein, sonst hätte ich dir das Zeichen gegeben."

"Komm her!"

Ich stieg ab und folgte ihm auf den Felsen. Man
konnte von hier aus alles deutlich sehen, das Heiligtum,
das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Ver-
schanzung und die beiden Seitenwände des Thales.

II. 5

„Nein, Effendi. Ich habe mehreren offenbart, wo es
liegt, und dieſe hätten dir es mitgeteilt.“

„Wo iſt der Bey?“

„Oben auf der Klippe, von welcher aus man das
Thal am beſten überblicken kann. Erlaube, daß ich dich
führe!“

Er nahm das Gewehr über die Schulter und ſchritt
voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Inter-
eſſe, hier hinabzublicken auf die Verſtecke, hinter denen
die Dſcheſidi ſtanden, ſaßen, hockten und lagen, ganz be-
reit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im
vollen Ernſte zu beginnen. Hier kam man noch beſſer als
unten zu der Ueberzeugung, daß die Türken verloren wären,
wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Gegnern einig zu
werden. Hier an derſelben Stelle hatte ich mit Ali Bey
geſtanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten,
und jetzt, nur wenige Stunden ſpäter, ſtand die kleine
Sekte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen
des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da.

Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felſen
gelangten, der ſich ein weniges über den Rand des Thales
hervorſtreckte. Hier ſaß der Bey mit ſeinem Stabe, wel-
cher nur aus drei barfüßigen Dſcheſidi beſtand. Er kam
mir erfreut entgegen.

„Ich danke dem Allgütigen, der dich geſund und un-
verſehrt erhalten hat!“ ſagte er herzlich. „Iſt dir Uebles
begegnet?“

„Nein, ſonſt hätte ich dir das Zeichen gegeben.“

„Komm her!“

Ich ſtieg ab und folgte ihm auf den Felſen. Man
konnte von hier aus alles deutlich ſehen, das Heiligtum,
das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Ver-
ſchanzung und die beiden Seitenwände des Thales.

II. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0079" n="65"/>
        <p>&#x201E;Nein, Effendi. Ich habe mehreren offenbart, wo es<lb/>
liegt, und die&#x017F;e hätten dir es mitgeteilt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo i&#x017F;t der Bey?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Oben auf der Klippe, von welcher aus man das<lb/>
Thal am be&#x017F;ten überblicken kann. Erlaube, daß ich dich<lb/>
führe!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er nahm das Gewehr über die Schulter und &#x017F;chritt<lb/>
voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Inter-<lb/>
e&#x017F;&#x017F;e, hier hinabzublicken auf die Ver&#x017F;tecke, hinter denen<lb/>
die D&#x017F;che&#x017F;idi &#x017F;tanden, &#x017F;aßen, hockten und lagen, ganz be-<lb/>
reit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im<lb/>
vollen Ern&#x017F;te zu beginnen. Hier kam man noch be&#x017F;&#x017F;er als<lb/>
unten zu der Ueberzeugung, daß die Türken verloren wären,<lb/>
wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Gegnern einig zu<lb/>
werden. Hier an der&#x017F;elben Stelle hatte ich mit Ali Bey<lb/>
ge&#x017F;tanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten,<lb/>
und jetzt, nur wenige Stunden &#x017F;päter, &#x017F;tand die kleine<lb/>
Sekte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen<lb/>
des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da.</p><lb/>
        <p>Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Fel&#x017F;en<lb/>
gelangten, der &#x017F;ich ein weniges über den Rand des Thales<lb/>
hervor&#x017F;treckte. Hier &#x017F;aß der Bey mit &#x017F;einem Stabe, wel-<lb/>
cher nur aus drei barfüßigen D&#x017F;che&#x017F;idi be&#x017F;tand. Er kam<lb/>
mir erfreut entgegen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich danke dem Allgütigen, der dich ge&#x017F;und und un-<lb/>
ver&#x017F;ehrt erhalten hat!&#x201C; &#x017F;agte er herzlich. &#x201E;I&#x017F;t dir Uebles<lb/>
begegnet?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, &#x017F;on&#x017F;t hätte ich dir das Zeichen gegeben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Komm her!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;tieg ab und folgte ihm auf den Fel&#x017F;en. Man<lb/>
konnte von hier aus alles deutlich &#x017F;ehen, das Heiligtum,<lb/>
das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Ver-<lb/>
&#x017F;chanzung und die beiden Seitenwände des Thales.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">II. 5</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0079] „Nein, Effendi. Ich habe mehreren offenbart, wo es liegt, und dieſe hätten dir es mitgeteilt.“ „Wo iſt der Bey?“ „Oben auf der Klippe, von welcher aus man das Thal am beſten überblicken kann. Erlaube, daß ich dich führe!“ Er nahm das Gewehr über die Schulter und ſchritt voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Inter- eſſe, hier hinabzublicken auf die Verſtecke, hinter denen die Dſcheſidi ſtanden, ſaßen, hockten und lagen, ganz be- reit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im vollen Ernſte zu beginnen. Hier kam man noch beſſer als unten zu der Ueberzeugung, daß die Türken verloren wären, wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Gegnern einig zu werden. Hier an derſelben Stelle hatte ich mit Ali Bey geſtanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten, und jetzt, nur wenige Stunden ſpäter, ſtand die kleine Sekte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da. Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felſen gelangten, der ſich ein weniges über den Rand des Thales hervorſtreckte. Hier ſaß der Bey mit ſeinem Stabe, wel- cher nur aus drei barfüßigen Dſcheſidi beſtand. Er kam mir erfreut entgegen. „Ich danke dem Allgütigen, der dich geſund und un- verſehrt erhalten hat!“ ſagte er herzlich. „Iſt dir Uebles begegnet?“ „Nein, ſonſt hätte ich dir das Zeichen gegeben.“ „Komm her!“ Ich ſtieg ab und folgte ihm auf den Felſen. Man konnte von hier aus alles deutlich ſehen, das Heiligtum, das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Ver- ſchanzung und die beiden Seitenwände des Thales. II. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/79
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/79>, abgerufen am 23.12.2024.