und war reich belohnt, wenn es hinter mir erklang: ,Dieser Fremdling kannte keine Furcht; er konnte und wußte mehr als wir und war doch unser Bruder; er ehrte unsern Gott und liebte uns; wir werden ihn nie vergessen, denn er war ein guter Mensch, ein wackerer Gefährte; er war -- -- ein Christ!' Auf diese Weise verkündige ich meinen Glauben. Und sollte ich auch nur einen einzigen Menschen finden, der diesen Glauben achten und vielleicht gar dann lieben lernt, so ist mein Tagewerk nicht umsonst gethan, und ich will irgendwo auf dieser Erde mich von meiner Wanderung gern zur Ruhe legen."
Es entstand eine lange, lange Pause. Wir beide blickten wortlos zur Erde nieder; dann ergriff sie langsam mit beiden Händen meine Rechte.
"Herr," sagte sie, "ich liebe dich!"
Dabei sahen mich die alten Augen so mütterlich innig an, daß ich's nie vergessen werde!
"Mein Sohn," sagte sie, "wenn du dieses Thal ver- lassen hast, so wird mein Auge dich nie wiedersehen, aber Marah Durimeh wird für dich beten und dich segnen, bis dieses Auge geschlossen ist. Du sollst nun auch der einzige sein, der außer den dreien, die um Mitternacht beim Ruh 'i kulyan waren, mein Geheimnis erfährt. Willst du?"
"Wenn Schweigen besser ist, so verzichte ich darauf; doch willst du es mir wirklich und gewiß gern anver- trauen, so nimm meinen Dank dafür."
"Diese drei haben geschworen, nie ein Wort davon zu sagen -- -- --."
"Auch ich werde nie darüber sprechen."
"Zu keinem Menschen?"
"Zu niemand!"
"So sollst du alles hören."
Und nun erzählte sie. Es war eine Geschichte, die
und war reich belohnt, wenn es hinter mir erklang: ‚Dieſer Fremdling kannte keine Furcht; er konnte und wußte mehr als wir und war doch unſer Bruder; er ehrte unſern Gott und liebte uns; wir werden ihn nie vergeſſen, denn er war ein guter Menſch, ein wackerer Gefährte; er war — — ein Chriſt!‘ Auf dieſe Weiſe verkündige ich meinen Glauben. Und ſollte ich auch nur einen einzigen Menſchen finden, der dieſen Glauben achten und vielleicht gar dann lieben lernt, ſo iſt mein Tagewerk nicht umſonſt gethan, und ich will irgendwo auf dieſer Erde mich von meiner Wanderung gern zur Ruhe legen.“
Es entſtand eine lange, lange Pauſe. Wir beide blickten wortlos zur Erde nieder; dann ergriff ſie langſam mit beiden Händen meine Rechte.
„Herr,“ ſagte ſie, „ich liebe dich!“
Dabei ſahen mich die alten Augen ſo mütterlich innig an, daß ich's nie vergeſſen werde!
„Mein Sohn,“ ſagte ſie, „wenn du dieſes Thal ver- laſſen haſt, ſo wird mein Auge dich nie wiederſehen, aber Marah Durimeh wird für dich beten und dich ſegnen, bis dieſes Auge geſchloſſen iſt. Du ſollſt nun auch der einzige ſein, der außer den dreien, die um Mitternacht beim Ruh 'i kulyan waren, mein Geheimnis erfährt. Willſt du?“
„Wenn Schweigen beſſer iſt, ſo verzichte ich darauf; doch willſt du es mir wirklich und gewiß gern anver- trauen, ſo nimm meinen Dank dafür.“
„Dieſe drei haben geſchworen, nie ein Wort davon zu ſagen — — —.“
„Auch ich werde nie darüber ſprechen.“
„Zu keinem Menſchen?“
„Zu niemand!“
„So ſollſt du alles hören.“
Und nun erzählte ſie. Es war eine Geſchichte, die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0650"n="636"/>
und war reich belohnt, wenn es hinter mir erklang: ‚Dieſer<lb/>
Fremdling kannte keine Furcht; er konnte und wußte mehr<lb/>
als wir und war doch unſer Bruder; er ehrte unſern<lb/>
Gott und liebte uns; wir werden ihn nie vergeſſen, denn<lb/>
er war ein guter Menſch, ein wackerer Gefährte; er war<lb/>—— ein Chriſt!‘ Auf dieſe Weiſe verkündige ich meinen<lb/>
Glauben. Und ſollte ich auch nur einen einzigen Menſchen<lb/>
finden, der dieſen Glauben achten und vielleicht gar dann<lb/>
lieben lernt, ſo iſt mein Tagewerk nicht umſonſt gethan,<lb/>
und ich will irgendwo auf dieſer Erde mich von meiner<lb/>
Wanderung gern zur Ruhe legen.“</p><lb/><p>Es entſtand eine lange, lange Pauſe. Wir beide<lb/>
blickten wortlos zur Erde nieder; dann ergriff ſie langſam<lb/>
mit beiden Händen meine Rechte.</p><lb/><p>„Herr,“ſagte ſie, „ich liebe dich!“</p><lb/><p>Dabei ſahen mich die alten Augen ſo mütterlich innig<lb/>
an, daß ich's nie vergeſſen werde!</p><lb/><p>„Mein Sohn,“ſagte ſie, „wenn du dieſes Thal ver-<lb/>
laſſen haſt, ſo wird mein Auge dich nie wiederſehen, aber<lb/>
Marah Durimeh wird für dich beten und dich ſegnen, bis<lb/>
dieſes Auge geſchloſſen iſt. Du ſollſt nun auch der einzige<lb/>ſein, der außer den dreien, die um Mitternacht beim<lb/>
Ruh 'i kulyan waren, mein Geheimnis erfährt. Willſt du?“</p><lb/><p>„Wenn Schweigen beſſer iſt, ſo verzichte ich darauf;<lb/>
doch willſt du es mir wirklich und gewiß gern anver-<lb/>
trauen, ſo nimm meinen Dank dafür.“</p><lb/><p>„Dieſe drei haben geſchworen, nie ein Wort davon<lb/>
zu ſagen ———.“</p><lb/><p>„Auch ich werde nie darüber ſprechen.“</p><lb/><p>„Zu keinem Menſchen?“</p><lb/><p>„Zu niemand!“</p><lb/><p>„So ſollſt du alles hören.“</p><lb/><p>Und nun erzählte ſie. Es war eine Geſchichte, die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[636/0650]
und war reich belohnt, wenn es hinter mir erklang: ‚Dieſer
Fremdling kannte keine Furcht; er konnte und wußte mehr
als wir und war doch unſer Bruder; er ehrte unſern
Gott und liebte uns; wir werden ihn nie vergeſſen, denn
er war ein guter Menſch, ein wackerer Gefährte; er war
— — ein Chriſt!‘ Auf dieſe Weiſe verkündige ich meinen
Glauben. Und ſollte ich auch nur einen einzigen Menſchen
finden, der dieſen Glauben achten und vielleicht gar dann
lieben lernt, ſo iſt mein Tagewerk nicht umſonſt gethan,
und ich will irgendwo auf dieſer Erde mich von meiner
Wanderung gern zur Ruhe legen.“
Es entſtand eine lange, lange Pauſe. Wir beide
blickten wortlos zur Erde nieder; dann ergriff ſie langſam
mit beiden Händen meine Rechte.
„Herr,“ ſagte ſie, „ich liebe dich!“
Dabei ſahen mich die alten Augen ſo mütterlich innig
an, daß ich's nie vergeſſen werde!
„Mein Sohn,“ ſagte ſie, „wenn du dieſes Thal ver-
laſſen haſt, ſo wird mein Auge dich nie wiederſehen, aber
Marah Durimeh wird für dich beten und dich ſegnen, bis
dieſes Auge geſchloſſen iſt. Du ſollſt nun auch der einzige
ſein, der außer den dreien, die um Mitternacht beim
Ruh 'i kulyan waren, mein Geheimnis erfährt. Willſt du?“
„Wenn Schweigen beſſer iſt, ſo verzichte ich darauf;
doch willſt du es mir wirklich und gewiß gern anver-
trauen, ſo nimm meinen Dank dafür.“
„Dieſe drei haben geſchworen, nie ein Wort davon
zu ſagen — — —.“
„Auch ich werde nie darüber ſprechen.“
„Zu keinem Menſchen?“
„Zu niemand!“
„So ſollſt du alles hören.“
Und nun erzählte ſie. Es war eine Geſchichte, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/650>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.