"Nein. Er ist seit gestern nicht in Schohrd gewesen."
"Er ist hier. Komm herein!"
Schon unter der Thür stießen wir auf den Rais, der soeben das Haus verlassen wollte. Er machte ein einigermaßen erstauntes Gesicht, als er seine Tochter erblickte, fragte sie aber doch mit freundlicher Stimme:
"Suchst du mich?"
"Es ist Krieg, und ich habe dich seit gestern nicht gesehen," antwortete sie.
"Aengstige dich nicht; die Feindschaft ist vorüber. Geht zur Frau des Melek; ich habe keine Zeit."
Es schritt hinaus, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon. Ich aber stieg mit den beiden nach oben, wo die Genossen soeben ihre Morgentoilette beendet hatten.
"Heigh-day, wen bringt Ihr da, Master?" fragte Lindsay.
Ich nahm die beiden Frauen bei der Hand und führte sie ihm zu.
"Das sind die beiden Ladies, welche mich aus der Höhle des Löwen befreiten, Sir," antwortete ich. "Diese hier ist Ingdscha, die Perle, und diese andere heißt Ma- dana, die Petersilie."
"Petersilie, hm! Aber diese Perle ist prächtig! Habt recht gehabt, Master! Aber beide brav, alle beide. Werde ihnen ein Geschenk geben, gut bezahlen, sehr gut. Yes!"
Auch die anderen waren erfreut, meinen Besuch kennen zu lernen, und ich darf wohl sagen, daß den beiden Chal- däerinnen sehr viel Achtung und Aufmerksamkeit entgegen- gebracht wurde. Sie blieben da bis Mittag, wo sie das Mahl noch mit uns einnehmen mußten, und dann begleitete ich sie eine Strecke Weges nach Schohrd zu. Als ich von ihnen schied, fragte Ingdscha:
„Nein. Er iſt ſeit geſtern nicht in Schohrd geweſen.“
„Er iſt hier. Komm herein!“
Schon unter der Thür ſtießen wir auf den Raïs, der ſoeben das Haus verlaſſen wollte. Er machte ein einigermaßen erſtauntes Geſicht, als er ſeine Tochter erblickte, fragte ſie aber doch mit freundlicher Stimme:
„Suchſt du mich?“
„Es iſt Krieg, und ich habe dich ſeit geſtern nicht geſehen,“ antwortete ſie.
„Aengſtige dich nicht; die Feindſchaft iſt vorüber. Geht zur Frau des Melek; ich habe keine Zeit.“
Es ſchritt hinaus, ſchwang ſich auf ſein Pferd und ritt davon. Ich aber ſtieg mit den beiden nach oben, wo die Genoſſen ſoeben ihre Morgentoilette beendet hatten.
„Heigh-day, wen bringt Ihr da, Maſter?“ fragte Lindſay.
Ich nahm die beiden Frauen bei der Hand und führte ſie ihm zu.
„Das ſind die beiden Ladies, welche mich aus der Höhle des Löwen befreiten, Sir,“ antwortete ich. „Dieſe hier iſt Ingdſcha, die Perle, und dieſe andere heißt Ma- dana, die Peterſilie.“
„Peterſilie, hm! Aber dieſe Perle iſt prächtig! Habt recht gehabt, Maſter! Aber beide brav, alle beide. Werde ihnen ein Geſchenk geben, gut bezahlen, ſehr gut. Yes!“
Auch die anderen waren erfreut, meinen Beſuch kennen zu lernen, und ich darf wohl ſagen, daß den beiden Chal- däerinnen ſehr viel Achtung und Aufmerkſamkeit entgegen- gebracht wurde. Sie blieben da bis Mittag, wo ſie das Mahl noch mit uns einnehmen mußten, und dann begleitete ich ſie eine Strecke Weges nach Schohrd zu. Als ich von ihnen ſchied, fragte Ingdſcha:
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0641"n="627"/><p>„Nein. Er iſt ſeit geſtern nicht in Schohrd geweſen.“</p><lb/><p>„Er iſt hier. Komm herein!“</p><lb/><p>Schon unter der Thür ſtießen wir auf den Raïs,<lb/>
der ſoeben das Haus verlaſſen wollte. Er machte ein<lb/>
einigermaßen erſtauntes Geſicht, als er ſeine Tochter<lb/>
erblickte, fragte ſie aber doch mit freundlicher Stimme:</p><lb/><p>„Suchſt du mich?“</p><lb/><p>„Es iſt Krieg, und ich habe dich ſeit geſtern nicht<lb/>
geſehen,“ antwortete ſie.</p><lb/><p>„Aengſtige dich nicht; die Feindſchaft iſt vorüber.<lb/>
Geht zur Frau des Melek; ich habe keine Zeit.“</p><lb/><p>Es ſchritt hinaus, ſchwang ſich auf ſein Pferd und<lb/>
ritt davon. Ich aber ſtieg mit den beiden nach oben,<lb/>
wo die Genoſſen ſoeben ihre Morgentoilette beendet<lb/>
hatten.</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">Heigh-day,</hi> wen bringt Ihr da, Maſter?“ fragte<lb/>
Lindſay.</p><lb/><p>Ich nahm die beiden Frauen bei der Hand und führte<lb/>ſie ihm zu.</p><lb/><p>„Das ſind die beiden Ladies, welche mich aus der<lb/>
Höhle des Löwen befreiten, Sir,“ antwortete ich. „Dieſe<lb/>
hier iſt Ingdſcha, die Perle, und dieſe andere heißt Ma-<lb/>
dana, die Peterſilie.“</p><lb/><p>„Peterſilie, hm! Aber dieſe Perle iſt prächtig! Habt<lb/>
recht gehabt, Maſter! Aber beide brav, alle beide. Werde<lb/>
ihnen ein Geſchenk geben, gut bezahlen, ſehr gut. <hirendition="#aq">Yes!</hi>“</p><lb/><p>Auch die anderen waren erfreut, meinen Beſuch kennen<lb/>
zu lernen, und ich darf wohl ſagen, daß den beiden Chal-<lb/>
däerinnen ſehr viel Achtung und Aufmerkſamkeit entgegen-<lb/>
gebracht wurde. Sie blieben da bis Mittag, wo ſie das<lb/>
Mahl noch mit uns einnehmen mußten, und dann begleitete<lb/>
ich ſie eine Strecke Weges nach Schohrd zu. Als ich von<lb/>
ihnen ſchied, fragte Ingdſcha:</p><lb/></div></body></text></TEI>
[627/0641]
„Nein. Er iſt ſeit geſtern nicht in Schohrd geweſen.“
„Er iſt hier. Komm herein!“
Schon unter der Thür ſtießen wir auf den Raïs,
der ſoeben das Haus verlaſſen wollte. Er machte ein
einigermaßen erſtauntes Geſicht, als er ſeine Tochter
erblickte, fragte ſie aber doch mit freundlicher Stimme:
„Suchſt du mich?“
„Es iſt Krieg, und ich habe dich ſeit geſtern nicht
geſehen,“ antwortete ſie.
„Aengſtige dich nicht; die Feindſchaft iſt vorüber.
Geht zur Frau des Melek; ich habe keine Zeit.“
Es ſchritt hinaus, ſchwang ſich auf ſein Pferd und
ritt davon. Ich aber ſtieg mit den beiden nach oben,
wo die Genoſſen ſoeben ihre Morgentoilette beendet
hatten.
„Heigh-day, wen bringt Ihr da, Maſter?“ fragte
Lindſay.
Ich nahm die beiden Frauen bei der Hand und führte
ſie ihm zu.
„Das ſind die beiden Ladies, welche mich aus der
Höhle des Löwen befreiten, Sir,“ antwortete ich. „Dieſe
hier iſt Ingdſcha, die Perle, und dieſe andere heißt Ma-
dana, die Peterſilie.“
„Peterſilie, hm! Aber dieſe Perle iſt prächtig! Habt
recht gehabt, Maſter! Aber beide brav, alle beide. Werde
ihnen ein Geſchenk geben, gut bezahlen, ſehr gut. Yes!“
Auch die anderen waren erfreut, meinen Beſuch kennen
zu lernen, und ich darf wohl ſagen, daß den beiden Chal-
däerinnen ſehr viel Achtung und Aufmerkſamkeit entgegen-
gebracht wurde. Sie blieben da bis Mittag, wo ſie das
Mahl noch mit uns einnehmen mußten, und dann begleitete
ich ſie eine Strecke Weges nach Schohrd zu. Als ich von
ihnen ſchied, fragte Ingdſcha:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/641>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.