"Das wird der Ruh 'i kulyan bestimmen. Jetzt aber setzt euch herzu. Wir wollen unser Mahl beginnen."
Ich mußte diese Bitte noch einige Male wiederholen, ehe sie erfüllt wurde. Halef hatte bisher gar nicht ge- sprochen, sondern nur immer das schöne Mädchen beobachtet.
Jetzt stieß mein kleiner Diener einen Seufzer aus und meinte in arabischer Sprache:
"Sihdi, du hast recht!"
"Womit?"
"Selbst wenn ich ein Pascha wäre, ich paßte nicht zu ihr. Nimm du sie, Sihdi! Sie ist schöner als alle, die ich gesehen habe."
"Es wird hier schon ein Jüngling sein, den sie lieb hat."
"Frage sie einmal!"
"Das geht nicht, mein kleiner Hadschi Halef; das würde sehr unhöflich und zudringlich sein."
Ingdscha hatte wohl bemerkt, daß von ihr die Rede war; darum sagte ich zu ihr:
"Dieser Mann ist bereits ein guter Bekannter von dir."
"Wie meinst du das, Emir?"
"Es ist der Diener, von dem dir Marah Duri- meh erzählt hat. Die andern haben alle geglaubt, daß ich ermordet worden sei, und nur er allein hat es ge- wagt, mir nachzufolgen."
"Er ist ein kleiner, aber ein treuer und mutiger Mann," meinte sie mit einem Blick der Anerkennung auf ihn.
"Was sagte sie von mir?" fragte er, da er diesen Blick ganz wohl bemerkt hatte.
"Sie sagte, du seist ein sehr treuer und mutiger Mann."
"Sage ihr, sie sei ein sehr schönes und gutes Mäd- chen, und es sei sehr schade, daß ich so klein und kein Pascha bin."
„Das wird der Ruh 'i kulyan beſtimmen. Jetzt aber ſetzt euch herzu. Wir wollen unſer Mahl beginnen.“
Ich mußte dieſe Bitte noch einige Male wiederholen, ehe ſie erfüllt wurde. Halef hatte bisher gar nicht ge- ſprochen, ſondern nur immer das ſchöne Mädchen beobachtet.
Jetzt ſtieß mein kleiner Diener einen Seufzer aus und meinte in arabiſcher Sprache:
„Sihdi, du haſt recht!“
„Womit?“
„Selbſt wenn ich ein Paſcha wäre, ich paßte nicht zu ihr. Nimm du ſie, Sihdi! Sie iſt ſchöner als alle, die ich geſehen habe.“
„Es wird hier ſchon ein Jüngling ſein, den ſie lieb hat.“
„Frage ſie einmal!“
„Das geht nicht, mein kleiner Hadſchi Halef; das würde ſehr unhöflich und zudringlich ſein.“
Ingdſcha hatte wohl bemerkt, daß von ihr die Rede war; darum ſagte ich zu ihr:
„Dieſer Mann iſt bereits ein guter Bekannter von dir.“
„Wie meinſt du das, Emir?“
„Es iſt der Diener, von dem dir Marah Duri- meh erzählt hat. Die andern haben alle geglaubt, daß ich ermordet worden ſei, und nur er allein hat es ge- wagt, mir nachzufolgen.“
„Er iſt ein kleiner, aber ein treuer und mutiger Mann,“ meinte ſie mit einem Blick der Anerkennung auf ihn.
„Was ſagte ſie von mir?“ fragte er, da er dieſen Blick ganz wohl bemerkt hatte.
„Sie ſagte, du ſeiſt ein ſehr treuer und mutiger Mann.“
„Sage ihr, ſie ſei ein ſehr ſchönes und gutes Mäd- chen, und es ſei ſehr ſchade, daß ich ſo klein und kein Paſcha bin.“
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„Das wird der Ruh 'i kulyan beſtimmen. Jetzt aber
ſetzt euch herzu. Wir wollen unſer Mahl beginnen.“
Ich mußte dieſe Bitte noch einige Male wiederholen,
ehe ſie erfüllt wurde. Halef hatte bisher gar nicht ge-
ſprochen, ſondern nur immer das ſchöne Mädchen beobachtet.
Jetzt ſtieß mein kleiner Diener einen Seufzer aus
und meinte in arabiſcher Sprache:
„Sihdi, du haſt recht!“
„Womit?“
„Selbſt wenn ich ein Paſcha wäre, ich paßte nicht
zu ihr. Nimm du ſie, Sihdi! Sie iſt ſchöner als alle,
die ich geſehen habe.“
„Es wird hier ſchon ein Jüngling ſein, den ſie lieb hat.“
„Frage ſie einmal!“
„Das geht nicht, mein kleiner Hadſchi Halef; das
würde ſehr unhöflich und zudringlich ſein.“
Ingdſcha hatte wohl bemerkt, daß von ihr die Rede
war; darum ſagte ich zu ihr:
„Dieſer Mann iſt bereits ein guter Bekannter von dir.“
„Wie meinſt du das, Emir?“
„Es iſt der Diener, von dem dir Marah Duri-
meh erzählt hat. Die andern haben alle geglaubt, daß
ich ermordet worden ſei, und nur er allein hat es ge-
wagt, mir nachzufolgen.“
„Er iſt ein kleiner, aber ein treuer und mutiger
Mann,“ meinte ſie mit einem Blick der Anerkennung auf ihn.
„Was ſagte ſie von mir?“ fragte er, da er dieſen
Blick ganz wohl bemerkt hatte.
„Sie ſagte, du ſeiſt ein ſehr treuer und mutiger
Mann.“
„Sage ihr, ſie ſei ein ſehr ſchönes und gutes Mäd-
chen, und es ſei ſehr ſchade, daß ich ſo klein und kein
Paſcha bin.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/598>, abgerufen am 26.11.2024.
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