zermarterte mir vergebens den Kopf, um eine Art und Weise, wie die Flucht gelingen könne, zu ersinnen. Da störte mich die Stimme der holden Madana auf. Sie war ein Weib; warum sollte sie so lange schweigen!
"Willst du essen?" fragte sie mich.
"Nein."
"Trinken?"
"Nein."
Das Gespräch war zu Ende, aber die duftende Peter- silie kam herbeigekrochen, ließ sich in der unmittelbaren Nähe meiner armen Nase häuslich nieder und nahm dann den von mir verschmähten Scherben auf ihren Schoß. Ich sah, daß sie mit allen fünf Fingern der rechten Hand in das geheimnisvolle Amalgam langte und dann den zahnlosen Mund wie eine schwarzlederne Reisetasche aus- einanderklappte -- ich schloß die Augen. Eine Zeitlang hörte ich ein mächtiges Geknatsch; sodann vernahm ich jenes sanfte, zärtliche Streichen, welches entsteht, wenn die Zunge als Wischtuch gebraucht wird, und endlich erklang ein langes, zufriedenes Grunzen, welches ganz hörbar aus einer wonnetrunkenen Menschenseele kam. O Petersilie, du Würze des Lebens, warum duftest du nicht draußen im Freien!
Nach langer Zeit erst öffnete ich die Augen wieder. Mein Schirm und Schutz saß noch immer vor mir und hielt die Augen forschend auf mich gerichtet. In diesen Augen schimmerte ein wenig Mitleid und viel Neugierde.
"Wer bist du?" fragte sie mich.
"Weißt du es nicht?" antwortete ich.
"Nein. Du bist ein Moslem?"
"Ich bin ein Christ."
"Ein Christ und gefangen? Du bist kein Berwari- Kurde?"
zermarterte mir vergebens den Kopf, um eine Art und Weiſe, wie die Flucht gelingen könne, zu erſinnen. Da ſtörte mich die Stimme der holden Madana auf. Sie war ein Weib; warum ſollte ſie ſo lange ſchweigen!
„Willſt du eſſen?“ fragte ſie mich.
„Nein.“
„Trinken?“
„Nein.“
Das Geſpräch war zu Ende, aber die duftende Peter- ſilie kam herbeigekrochen, ließ ſich in der unmittelbaren Nähe meiner armen Naſe häuslich nieder und nahm dann den von mir verſchmähten Scherben auf ihren Schoß. Ich ſah, daß ſie mit allen fünf Fingern der rechten Hand in das geheimnisvolle Amalgam langte und dann den zahnloſen Mund wie eine ſchwarzlederne Reiſetaſche aus- einanderklappte — ich ſchloß die Augen. Eine Zeitlang hörte ich ein mächtiges Geknatſch; ſodann vernahm ich jenes ſanfte, zärtliche Streichen, welches entſteht, wenn die Zunge als Wiſchtuch gebraucht wird, und endlich erklang ein langes, zufriedenes Grunzen, welches ganz hörbar aus einer wonnetrunkenen Menſchenſeele kam. O Peterſilie, du Würze des Lebens, warum dufteſt du nicht draußen im Freien!
Nach langer Zeit erſt öffnete ich die Augen wieder. Mein Schirm und Schutz ſaß noch immer vor mir und hielt die Augen forſchend auf mich gerichtet. In dieſen Augen ſchimmerte ein wenig Mitleid und viel Neugierde.
„Wer biſt du?“ fragte ſie mich.
„Weißt du es nicht?“ antwortete ich.
„Nein. Du biſt ein Moslem?“
„Ich bin ein Chriſt.“
„Ein Chriſt und gefangen? Du biſt kein Berwari- Kurde?“
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zermarterte mir vergebens den Kopf, um eine Art und
Weiſe, wie die Flucht gelingen könne, zu erſinnen. Da
ſtörte mich die Stimme der holden Madana auf. Sie
war ein Weib; warum ſollte ſie ſo lange ſchweigen!
„Willſt du eſſen?“ fragte ſie mich.
„Nein.“
„Trinken?“
„Nein.“
Das Geſpräch war zu Ende, aber die duftende Peter-
ſilie kam herbeigekrochen, ließ ſich in der unmittelbaren
Nähe meiner armen Naſe häuslich nieder und nahm dann
den von mir verſchmähten Scherben auf ihren Schoß.
Ich ſah, daß ſie mit allen fünf Fingern der rechten Hand
in das geheimnisvolle Amalgam langte und dann den
zahnloſen Mund wie eine ſchwarzlederne Reiſetaſche aus-
einanderklappte — ich ſchloß die Augen. Eine Zeitlang
hörte ich ein mächtiges Geknatſch; ſodann vernahm ich
jenes ſanfte, zärtliche Streichen, welches entſteht, wenn die
Zunge als Wiſchtuch gebraucht wird, und endlich erklang
ein langes, zufriedenes Grunzen, welches ganz hörbar aus
einer wonnetrunkenen Menſchenſeele kam. O Peterſilie,
du Würze des Lebens, warum dufteſt du nicht draußen
im Freien!
Nach langer Zeit erſt öffnete ich die Augen wieder.
Mein Schirm und Schutz ſaß noch immer vor mir und
hielt die Augen forſchend auf mich gerichtet. In dieſen
Augen ſchimmerte ein wenig Mitleid und viel Neugierde.
„Wer biſt du?“ fragte ſie mich.
„Weißt du es nicht?“ antwortete ich.
„Nein. Du biſt ein Moslem?“
„Ich bin ein Chriſt.“
„Ein Chriſt und gefangen? Du biſt kein Berwari-
Kurde?“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/574>, abgerufen am 28.11.2024.
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