Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

Hier hast du deine Flinte und dein Messer. Und nun
erwarte ich, daß du auf meine Worte hörst."

"Was hast du mir zu sagen?" brummte er höchst
mißmutig.

"Rufe alle deine Berwari zusammen. Sie sollen nicht
eher vorgehen, als bis unsere Besprechung zu Ende ist."

Er blickte mich sehr erstaunt an.

"Weißt du denn nicht, daß wir Lizan überfallen
wollen?" fragte er mich.

"Ich weiß es; aber es geschieht auch später noch zur
rechten Zeit."

"Wenn wir zaudern, so werden die Nasarah über
uns herfallen. Sie wissen, daß wir kommen; sie haben
uns gesehen."

"Eben weil sie es wissen, sendet der Bey mich zu
euch. Sie werden euch nicht überfallen; sie haben sich
über den Zab zurückgezogen und werden die Brücke ver-
teidigen."

"Weißt du dies genau?"

"Ich selbst habe es ihnen angeraten."

Er blickte finster vor sich nieder, und auch aus dem
Kreise rings umher wurde mancher mißbilligende Blick
auf mich geworfen. Dann entschied er sich:

"Herr, ich werde thun, was du verlangst; aber glaube
nicht, daß wir von einem Fremden einen schlechten Rat
annehmen werden!"

"Das thue, wie du willst! Laß einen freien Platz
aussuchen, wo wir Raum genug haben, um die Versamm-
lung überblicken zu können. Die Assiretah *) mögen zur
Beratung kommen, die andern aber sollen den Ort be-
wachen, damit ihr keine Sorge zu haben braucht."

Er gab die nötigen Befehle, und nun kam reges

*) Auserlesene, hervorragende Krieger.

Hier haſt du deine Flinte und dein Meſſer. Und nun
erwarte ich, daß du auf meine Worte hörſt.“

„Was haſt du mir zu ſagen?“ brummte er höchſt
mißmutig.

„Rufe alle deine Berwari zuſammen. Sie ſollen nicht
eher vorgehen, als bis unſere Beſprechung zu Ende iſt.“

Er blickte mich ſehr erſtaunt an.

„Weißt du denn nicht, daß wir Lizan überfallen
wollen?“ fragte er mich.

„Ich weiß es; aber es geſchieht auch ſpäter noch zur
rechten Zeit.“

„Wenn wir zaudern, ſo werden die Naſarah über
uns herfallen. Sie wiſſen, daß wir kommen; ſie haben
uns geſehen.“

„Eben weil ſie es wiſſen, ſendet der Bey mich zu
euch. Sie werden euch nicht überfallen; ſie haben ſich
über den Zab zurückgezogen und werden die Brücke ver-
teidigen.“

„Weißt du dies genau?“

„Ich ſelbſt habe es ihnen angeraten.“

Er blickte finſter vor ſich nieder, und auch aus dem
Kreiſe rings umher wurde mancher mißbilligende Blick
auf mich geworfen. Dann entſchied er ſich:

„Herr, ich werde thun, was du verlangſt; aber glaube
nicht, daß wir von einem Fremden einen ſchlechten Rat
annehmen werden!“

„Das thue, wie du willſt! Laß einen freien Platz
ausſuchen, wo wir Raum genug haben, um die Verſamm-
lung überblicken zu können. Die Aſſiretah *) mögen zur
Beratung kommen, die andern aber ſollen den Ort be-
wachen, damit ihr keine Sorge zu haben braucht.“

Er gab die nötigen Befehle, und nun kam reges

*) Auserleſene, hervorragende Krieger.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0555" n="541"/>
Hier ha&#x017F;t du deine Flinte und dein Me&#x017F;&#x017F;er. Und nun<lb/>
erwarte ich, daß du auf meine Worte hör&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was ha&#x017F;t du mir zu &#x017F;agen?&#x201C; brummte er höch&#x017F;t<lb/>
mißmutig.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Rufe alle deine Berwari zu&#x017F;ammen. Sie &#x017F;ollen nicht<lb/>
eher vorgehen, als bis un&#x017F;ere Be&#x017F;prechung zu Ende i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er blickte mich &#x017F;ehr er&#x017F;taunt an.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weißt du denn nicht, daß wir Lizan überfallen<lb/>
wollen?&#x201C; fragte er mich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich weiß es; aber es ge&#x017F;chieht auch &#x017F;päter noch zur<lb/>
rechten Zeit.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn wir zaudern, &#x017F;o werden die Na&#x017F;arah über<lb/>
uns herfallen. Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß wir kommen; &#x017F;ie haben<lb/>
uns ge&#x017F;ehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eben weil &#x017F;ie es wi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;endet der Bey mich zu<lb/>
euch. Sie werden euch nicht überfallen; &#x017F;ie haben &#x017F;ich<lb/>
über den Zab zurückgezogen und werden die Brücke ver-<lb/>
teidigen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weißt du dies genau?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;elb&#x017F;t habe es ihnen angeraten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er blickte fin&#x017F;ter vor &#x017F;ich nieder, und auch aus dem<lb/>
Krei&#x017F;e rings umher wurde mancher mißbilligende Blick<lb/>
auf mich geworfen. Dann ent&#x017F;chied er &#x017F;ich:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr, ich werde thun, was du verlang&#x017F;t; aber glaube<lb/>
nicht, daß wir von einem Fremden einen &#x017F;chlechten Rat<lb/>
annehmen werden!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das thue, wie du will&#x017F;t! Laß einen freien Platz<lb/>
aus&#x017F;uchen, wo wir Raum genug haben, um die Ver&#x017F;amm-<lb/>
lung überblicken zu können. Die A&#x017F;&#x017F;iretah <note place="foot" n="*)">Auserle&#x017F;ene, hervorragende Krieger.</note> mögen zur<lb/>
Beratung kommen, die andern aber &#x017F;ollen den Ort be-<lb/>
wachen, damit ihr keine Sorge zu haben braucht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er gab die nötigen Befehle, und nun kam reges<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[541/0555] Hier haſt du deine Flinte und dein Meſſer. Und nun erwarte ich, daß du auf meine Worte hörſt.“ „Was haſt du mir zu ſagen?“ brummte er höchſt mißmutig. „Rufe alle deine Berwari zuſammen. Sie ſollen nicht eher vorgehen, als bis unſere Beſprechung zu Ende iſt.“ Er blickte mich ſehr erſtaunt an. „Weißt du denn nicht, daß wir Lizan überfallen wollen?“ fragte er mich. „Ich weiß es; aber es geſchieht auch ſpäter noch zur rechten Zeit.“ „Wenn wir zaudern, ſo werden die Naſarah über uns herfallen. Sie wiſſen, daß wir kommen; ſie haben uns geſehen.“ „Eben weil ſie es wiſſen, ſendet der Bey mich zu euch. Sie werden euch nicht überfallen; ſie haben ſich über den Zab zurückgezogen und werden die Brücke ver- teidigen.“ „Weißt du dies genau?“ „Ich ſelbſt habe es ihnen angeraten.“ Er blickte finſter vor ſich nieder, und auch aus dem Kreiſe rings umher wurde mancher mißbilligende Blick auf mich geworfen. Dann entſchied er ſich: „Herr, ich werde thun, was du verlangſt; aber glaube nicht, daß wir von einem Fremden einen ſchlechten Rat annehmen werden!“ „Das thue, wie du willſt! Laß einen freien Platz ausſuchen, wo wir Raum genug haben, um die Verſamm- lung überblicken zu können. Die Aſſiretah *) mögen zur Beratung kommen, die andern aber ſollen den Ort be- wachen, damit ihr keine Sorge zu haben braucht.“ Er gab die nötigen Befehle, und nun kam reges *) Auserleſene, hervorragende Krieger.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/555
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/555>, abgerufen am 12.05.2024.