dem Statthalter von Amadijah Tribut bezahlt und folg- lich dem Pascha von Mossul und also auch dem Groß- herrn in Stambul unterthänig ist. Der Aelteste eines Dorfes, welches dem Padischah Tribut entrichtet, ist aber nicht ein freier Nezanum, sondern ein türkischer Kiaja. Wenn mich ein freier, tapferer Kurde beleidigt, so fordere ich mit der Waffe Rechenschaft von ihm; denn er ist der Sohn eines Mannes, der vor keinem Menschen sein Knie beugte. Wagt es aber ein türkischer Kiaja, der ein Diener des Mutessarif ist, mich einen Hund zu nennen, so werfe ich ihn vom Pferd herab und gebe ihm die Sohle meines Fußes auf den Leib, damit er die Demut lerne, die er jedem tapfern Manne schuldig ist! Sagt mir, ihr Män- ner: Wer hat den Tribut-Einsammler eines türkischen Dorfes zum Anführer der berühmten Kurden von Ber- wari gemacht?"
Ein lautes Murmeln ließ sich rundum hören. Dann antwortete einer:
"Er selbst."
Ich wandte mich an den Sprecher:
"Kennst du mich?"
"Ja, Emir, die meisten von uns kennen dich."
"Du weißt, daß ich ein Freund und Gast des Bey bin?"
"Wir wissen es!"
"So antworte mir: Gab es unter den Berwari keinen, der würdig gewesen wäre, die Stelle des Bey zu ver- treten?"
"Es giebt ihrer viele," antwortete er stolz; "aber dieser Mann, den du Kiaja nennst, ist oft in Gumri. Er ist ein starker Mann, und da er eine Blutrache mit dem Melek von Lizan hat und wir mit einer langen Wahl keine Zeit verlieren wollten, so haben wir ihm den Befehl übergeben."
dem Statthalter von Amadijah Tribut bezahlt und folg- lich dem Paſcha von Moſſul und alſo auch dem Groß- herrn in Stambul unterthänig iſt. Der Aelteſte eines Dorfes, welches dem Padiſchah Tribut entrichtet, iſt aber nicht ein freier Nezanum, ſondern ein türkiſcher Kiaja. Wenn mich ein freier, tapferer Kurde beleidigt, ſo fordere ich mit der Waffe Rechenſchaft von ihm; denn er iſt der Sohn eines Mannes, der vor keinem Menſchen ſein Knie beugte. Wagt es aber ein türkiſcher Kiaja, der ein Diener des Muteſſarif iſt, mich einen Hund zu nennen, ſo werfe ich ihn vom Pferd herab und gebe ihm die Sohle meines Fußes auf den Leib, damit er die Demut lerne, die er jedem tapfern Manne ſchuldig iſt! Sagt mir, ihr Män- ner: Wer hat den Tribut-Einſammler eines türkiſchen Dorfes zum Anführer der berühmten Kurden von Ber- wari gemacht?“
Ein lautes Murmeln ließ ſich rundum hören. Dann antwortete einer:
„Er ſelbſt.“
Ich wandte mich an den Sprecher:
„Kennſt du mich?“
„Ja, Emir, die meiſten von uns kennen dich.“
„Du weißt, daß ich ein Freund und Gaſt des Bey bin?“
„Wir wiſſen es!“
„So antworte mir: Gab es unter den Berwari keinen, der würdig geweſen wäre, die Stelle des Bey zu ver- treten?“
„Es giebt ihrer viele,“ antwortete er ſtolz; „aber dieſer Mann, den du Kiaja nennſt, iſt oft in Gumri. Er iſt ein ſtarker Mann, und da er eine Blutrache mit dem Melek von Lizan hat und wir mit einer langen Wahl keine Zeit verlieren wollten, ſo haben wir ihm den Befehl übergeben.“
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dem Statthalter von Amadijah Tribut bezahlt und folg-
lich dem Paſcha von Moſſul und alſo auch dem Groß-
herrn in Stambul unterthänig iſt. Der Aelteſte eines
Dorfes, welches dem Padiſchah Tribut entrichtet, iſt aber
nicht ein freier Nezanum, ſondern ein türkiſcher Kiaja.
Wenn mich ein freier, tapferer Kurde beleidigt, ſo fordere
ich mit der Waffe Rechenſchaft von ihm; denn er iſt der
Sohn eines Mannes, der vor keinem Menſchen ſein Knie
beugte. Wagt es aber ein türkiſcher Kiaja, der ein Diener
des Muteſſarif iſt, mich einen Hund zu nennen, ſo werfe
ich ihn vom Pferd herab und gebe ihm die Sohle meines
Fußes auf den Leib, damit er die Demut lerne, die er
jedem tapfern Manne ſchuldig iſt! Sagt mir, ihr Män-
ner: Wer hat den Tribut-Einſammler eines türkiſchen
Dorfes zum Anführer der berühmten Kurden von Ber-
wari gemacht?“
Ein lautes Murmeln ließ ſich rundum hören. Dann
antwortete einer:
„Er ſelbſt.“
Ich wandte mich an den Sprecher:
„Kennſt du mich?“
„Ja, Emir, die meiſten von uns kennen dich.“
„Du weißt, daß ich ein Freund und Gaſt des Bey bin?“
„Wir wiſſen es!“
„So antworte mir: Gab es unter den Berwari keinen,
der würdig geweſen wäre, die Stelle des Bey zu ver-
treten?“
„Es giebt ihrer viele,“ antwortete er ſtolz; „aber
dieſer Mann, den du Kiaja nennſt, iſt oft in Gumri. Er
iſt ein ſtarker Mann, und da er eine Blutrache mit dem
Melek von Lizan hat und wir mit einer langen Wahl
keine Zeit verlieren wollten, ſo haben wir ihm den Befehl
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/553>, abgerufen am 23.12.2024.
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