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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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Ich war nicht gewohnt, in einem solchen Tone mit
mir reden zu lassen. Auch Mohammed Emin gab mir
unbemerkt einen aufmunternden Wink. Der Rais war
bereits einige Schritte fort; ich trat vor und griff seinem
Pferde in die Zügel.

"Halt! Bleib! Ich bin der Abgesandte des Bey!"
warnte ich ihn mit ernster Stimme.

Ich habe immer gefunden, daß ein furchtloses Wesen,
unterstützt durch ein wenig Leibesstärke, diesen halbwilden
Leuten imponiert. Hier aber schien es, daß ich mich ver-
rechnen sollte; denn der Mann erhob die Faust und
drohte:

"Mensch, die Hand vom Pferde, sonst schlag ich!"

Ich erkannte, daß meine Sendung vollständig ver-
unglückt sei, wenn ich mich nur im geringsten von ihm
einschüchtern ließe. Darum ließ ich wohl mein Pferd
fahren, nicht aber das seinige, und antwortete:

"Ich bin hier an Stelle des Bey von Gumri und
habe zu befehlen; du aber bist nichts als ein kleiner Kiaja *),
der augenblicklich zu gehorchen hat. Steige ab!"

Da riß er die Flinte von der Schulter, faßte sie beim
Laufe und wirbelte sie um den Kopf.

"Ker, seri te tschar tan kim," brüllte er, "ich spalte
dir den Kopf in vier Teile, du Dummkopf!"

"Versuche es, doch zuerst gehorche!" entgegnete ich
lachend.

Mit einem raschen Ruck riß ich sein Pferd auf die
Hinterbeine nieder und schlug dem Tiere dann den Fuß
mit solcher Gewalt an den Bauch, daß es erschrocken
wieder emporprallte. Diese beiden Bewegungen folgten
so schnell aufeinander, daß der Kiaja augenblicklich abge-
schleudert wurde. Ehe er sich erheben konnte, hatte ich

*) Türkischer Dorfschulze.

Ich war nicht gewohnt, in einem ſolchen Tone mit
mir reden zu laſſen. Auch Mohammed Emin gab mir
unbemerkt einen aufmunternden Wink. Der Raïs war
bereits einige Schritte fort; ich trat vor und griff ſeinem
Pferde in die Zügel.

„Halt! Bleib! Ich bin der Abgeſandte des Bey!“
warnte ich ihn mit ernſter Stimme.

Ich habe immer gefunden, daß ein furchtloſes Weſen,
unterſtützt durch ein wenig Leibesſtärke, dieſen halbwilden
Leuten imponiert. Hier aber ſchien es, daß ich mich ver-
rechnen ſollte; denn der Mann erhob die Fauſt und
drohte:

„Menſch, die Hand vom Pferde, ſonſt ſchlag ich!“

Ich erkannte, daß meine Sendung vollſtändig ver-
unglückt ſei, wenn ich mich nur im geringſten von ihm
einſchüchtern ließe. Darum ließ ich wohl mein Pferd
fahren, nicht aber das ſeinige, und antwortete:

„Ich bin hier an Stelle des Bey von Gumri und
habe zu befehlen; du aber biſt nichts als ein kleiner Kiaja *),
der augenblicklich zu gehorchen hat. Steige ab!“

Da riß er die Flinte von der Schulter, faßte ſie beim
Laufe und wirbelte ſie um den Kopf.

„Ker, ſeri te tſchar tan kim,“ brüllte er, „ich ſpalte
dir den Kopf in vier Teile, du Dummkopf!“

„Verſuche es, doch zuerſt gehorche!“ entgegnete ich
lachend.

Mit einem raſchen Ruck riß ich ſein Pferd auf die
Hinterbeine nieder und ſchlug dem Tiere dann den Fuß
mit ſolcher Gewalt an den Bauch, daß es erſchrocken
wieder emporprallte. Dieſe beiden Bewegungen folgten
ſo ſchnell aufeinander, daß der Kiaja augenblicklich abge-
ſchleudert wurde. Ehe er ſich erheben konnte, hatte ich

*) Türkiſcher Dorfſchulze.
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[537/0551] Ich war nicht gewohnt, in einem ſolchen Tone mit mir reden zu laſſen. Auch Mohammed Emin gab mir unbemerkt einen aufmunternden Wink. Der Raïs war bereits einige Schritte fort; ich trat vor und griff ſeinem Pferde in die Zügel. „Halt! Bleib! Ich bin der Abgeſandte des Bey!“ warnte ich ihn mit ernſter Stimme. Ich habe immer gefunden, daß ein furchtloſes Weſen, unterſtützt durch ein wenig Leibesſtärke, dieſen halbwilden Leuten imponiert. Hier aber ſchien es, daß ich mich ver- rechnen ſollte; denn der Mann erhob die Fauſt und drohte: „Menſch, die Hand vom Pferde, ſonſt ſchlag ich!“ Ich erkannte, daß meine Sendung vollſtändig ver- unglückt ſei, wenn ich mich nur im geringſten von ihm einſchüchtern ließe. Darum ließ ich wohl mein Pferd fahren, nicht aber das ſeinige, und antwortete: „Ich bin hier an Stelle des Bey von Gumri und habe zu befehlen; du aber biſt nichts als ein kleiner Kiaja *), der augenblicklich zu gehorchen hat. Steige ab!“ Da riß er die Flinte von der Schulter, faßte ſie beim Laufe und wirbelte ſie um den Kopf. „Ker, ſeri te tſchar tan kim,“ brüllte er, „ich ſpalte dir den Kopf in vier Teile, du Dummkopf!“ „Verſuche es, doch zuerſt gehorche!“ entgegnete ich lachend. Mit einem raſchen Ruck riß ich ſein Pferd auf die Hinterbeine nieder und ſchlug dem Tiere dann den Fuß mit ſolcher Gewalt an den Bauch, daß es erſchrocken wieder emporprallte. Dieſe beiden Bewegungen folgten ſo ſchnell aufeinander, daß der Kiaja augenblicklich abge- ſchleudert wurde. Ehe er ſich erheben konnte, hatte ich *) Türkiſcher Dorfſchulze.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/551>, abgerufen am 23.12.2024.