Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite


er soll es ja nicht wieder thun, sonst werden seine Töchter
weinen, seine Söhne klagen, und seine Freunde trauern!"

"Ist er nicht tot?"

"Nein. Beim nächsten Male aber wird er tot sein."

"Herr, du bereitest deinen Feinden Aerger und deinen
Freunden Sorge. Wie soll ich dich schützen, wenn du
dich nach immerwährendem Kampfe sehnst?"

"Sage dies dem Rais, denn es ist sehr wahrschein-
lich, daß du zu schwach bist, ihn vor meinem Arme zu
beschützen. Erlaubst du ihm, mich zu beleidigen, so gieb
nicht mir die Schuld, wenn ich ihn Anstand lehre."

"Herr, gehe fort; er kommt jetzt wieder zu sich!"

"Soll ich vor einem Manne fliehen, den ich nieder-
geschlagen habe?"

"Er wird dich töten!"

"Pah! Ich werde keine Hand zu rühren brauchen.
Passe auf!"

Meine Gefährten hatten von ihrer offenen Wohnung
aus den ganzen Vorgang mit angesehen. Ich winkte
ihnen mit dem Auge, und sie wußten, was ich von ihnen
begehrte.

Man hatte den Kopf des Rais mit Wasser gewaschen.
Jetzt richtete er sich langsam empor. Auf einen Faust-
kampf durfte ich es nicht ankommen lassen, denn sowohl
mein Arm, mit dem ich seinen Hieb pariert hatte, als
auch meine rechte Hand war in den wenigen Augenblicken
ganz beträchtlich angeschwollen; ich mußte froh sein, daß
mir dieser Goliath nicht den Arm zerschmettert hatte. --
Jetzt erblickte er mich, und mit einem heiseren Wutschrei
stürzte er auf mich zu. Der Melek suchte ihn zu halten;
auch einige andere griffen zu, aber er war stärker als sie
und rang sich los. Jetzt wandte ich das Gesicht nach
dem Hause hin und rief ihm zu:


er ſoll es ja nicht wieder thun, ſonſt werden ſeine Töchter
weinen, ſeine Söhne klagen, und ſeine Freunde trauern!“

„Iſt er nicht tot?“

„Nein. Beim nächſten Male aber wird er tot ſein.“

„Herr, du bereiteſt deinen Feinden Aerger und deinen
Freunden Sorge. Wie ſoll ich dich ſchützen, wenn du
dich nach immerwährendem Kampfe ſehnſt?“

„Sage dies dem Raïs, denn es iſt ſehr wahrſchein-
lich, daß du zu ſchwach biſt, ihn vor meinem Arme zu
beſchützen. Erlaubſt du ihm, mich zu beleidigen, ſo gieb
nicht mir die Schuld, wenn ich ihn Anſtand lehre.“

„Herr, gehe fort; er kommt jetzt wieder zu ſich!“

„Soll ich vor einem Manne fliehen, den ich nieder-
geſchlagen habe?“

„Er wird dich töten!“

„Pah! Ich werde keine Hand zu rühren brauchen.
Paſſe auf!“

Meine Gefährten hatten von ihrer offenen Wohnung
aus den ganzen Vorgang mit angeſehen. Ich winkte
ihnen mit dem Auge, und ſie wußten, was ich von ihnen
begehrte.

Man hatte den Kopf des Raïs mit Waſſer gewaſchen.
Jetzt richtete er ſich langſam empor. Auf einen Fauſt-
kampf durfte ich es nicht ankommen laſſen, denn ſowohl
mein Arm, mit dem ich ſeinen Hieb pariert hatte, als
auch meine rechte Hand war in den wenigen Augenblicken
ganz beträchtlich angeſchwollen; ich mußte froh ſein, daß
mir dieſer Goliath nicht den Arm zerſchmettert hatte. —
Jetzt erblickte er mich, und mit einem heiſeren Wutſchrei
ſtürzte er auf mich zu. Der Melek ſuchte ihn zu halten;
auch einige andere griffen zu, aber er war ſtärker als ſie
und rang ſich los. Jetzt wandte ich das Geſicht nach
dem Hauſe hin und rief ihm zu:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0535" n="521"/><lb/>
er &#x017F;oll es ja nicht wieder thun, &#x017F;on&#x017F;t werden &#x017F;eine Töchter<lb/>
weinen, &#x017F;eine Söhne klagen, und &#x017F;eine Freunde trauern!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t er nicht tot?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Beim näch&#x017F;ten Male aber wird er tot &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr, du bereite&#x017F;t deinen Feinden Aerger und deinen<lb/>
Freunden Sorge. Wie &#x017F;oll ich dich &#x017F;chützen, wenn du<lb/>
dich nach immerwährendem Kampfe &#x017F;ehn&#x017F;t?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sage dies dem Raïs, denn es i&#x017F;t &#x017F;ehr wahr&#x017F;chein-<lb/>
lich, daß du zu &#x017F;chwach bi&#x017F;t, ihn vor meinem Arme zu<lb/>
be&#x017F;chützen. Erlaub&#x017F;t du ihm, mich zu beleidigen, &#x017F;o gieb<lb/>
nicht mir die Schuld, wenn ich ihn An&#x017F;tand lehre.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr, gehe fort; er kommt jetzt wieder zu &#x017F;ich!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Soll ich vor einem Manne fliehen, den ich nieder-<lb/>
ge&#x017F;chlagen habe?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er wird dich töten!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Pah! Ich werde keine Hand zu rühren brauchen.<lb/>
Pa&#x017F;&#x017F;e auf!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Meine Gefährten hatten von ihrer offenen Wohnung<lb/>
aus den ganzen Vorgang mit ange&#x017F;ehen. Ich winkte<lb/>
ihnen mit dem Auge, und &#x017F;ie wußten, was ich von ihnen<lb/>
begehrte.</p><lb/>
        <p>Man hatte den Kopf des Raïs mit Wa&#x017F;&#x017F;er gewa&#x017F;chen.<lb/>
Jetzt richtete er &#x017F;ich lang&#x017F;am empor. Auf einen Fau&#x017F;t-<lb/>
kampf durfte ich es nicht ankommen la&#x017F;&#x017F;en, denn &#x017F;owohl<lb/>
mein Arm, mit dem ich &#x017F;einen Hieb pariert hatte, als<lb/>
auch meine rechte Hand war in den wenigen Augenblicken<lb/>
ganz beträchtlich ange&#x017F;chwollen; ich mußte froh &#x017F;ein, daß<lb/>
mir die&#x017F;er Goliath nicht den Arm zer&#x017F;chmettert hatte. &#x2014;<lb/>
Jetzt erblickte er mich, und mit einem hei&#x017F;eren Wut&#x017F;chrei<lb/>
&#x017F;türzte er auf mich zu. Der Melek &#x017F;uchte ihn zu halten;<lb/>
auch einige andere griffen zu, aber er war &#x017F;tärker als &#x017F;ie<lb/>
und rang &#x017F;ich los. Jetzt wandte ich das Ge&#x017F;icht nach<lb/>
dem Hau&#x017F;e hin und rief ihm zu:</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[521/0535] er ſoll es ja nicht wieder thun, ſonſt werden ſeine Töchter weinen, ſeine Söhne klagen, und ſeine Freunde trauern!“ „Iſt er nicht tot?“ „Nein. Beim nächſten Male aber wird er tot ſein.“ „Herr, du bereiteſt deinen Feinden Aerger und deinen Freunden Sorge. Wie ſoll ich dich ſchützen, wenn du dich nach immerwährendem Kampfe ſehnſt?“ „Sage dies dem Raïs, denn es iſt ſehr wahrſchein- lich, daß du zu ſchwach biſt, ihn vor meinem Arme zu beſchützen. Erlaubſt du ihm, mich zu beleidigen, ſo gieb nicht mir die Schuld, wenn ich ihn Anſtand lehre.“ „Herr, gehe fort; er kommt jetzt wieder zu ſich!“ „Soll ich vor einem Manne fliehen, den ich nieder- geſchlagen habe?“ „Er wird dich töten!“ „Pah! Ich werde keine Hand zu rühren brauchen. Paſſe auf!“ Meine Gefährten hatten von ihrer offenen Wohnung aus den ganzen Vorgang mit angeſehen. Ich winkte ihnen mit dem Auge, und ſie wußten, was ich von ihnen begehrte. Man hatte den Kopf des Raïs mit Waſſer gewaſchen. Jetzt richtete er ſich langſam empor. Auf einen Fauſt- kampf durfte ich es nicht ankommen laſſen, denn ſowohl mein Arm, mit dem ich ſeinen Hieb pariert hatte, als auch meine rechte Hand war in den wenigen Augenblicken ganz beträchtlich angeſchwollen; ich mußte froh ſein, daß mir dieſer Goliath nicht den Arm zerſchmettert hatte. — Jetzt erblickte er mich, und mit einem heiſeren Wutſchrei ſtürzte er auf mich zu. Der Melek ſuchte ihn zu halten; auch einige andere griffen zu, aber er war ſtärker als ſie und rang ſich los. Jetzt wandte ich das Geſicht nach dem Hauſe hin und rief ihm zu:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/535
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/535>, abgerufen am 11.05.2024.