Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

anzugreifen, der wird uns und unsere Waffen kennen
lernen."

"Wir fürchten sie nicht, denn wir sind euch überlegen."

"So lange mein Wort uns bindet; sonst aber nicht."

"Ihr werdet uns sofort eure Gewehre geben müssen,
damit ihr nicht ferneren Schaden damit anrichtet."

"Und was wird dann geschehen?"

"Ich will über die andern zu Gerichte sitzen; dich
aber werde ich meinem Bruder überlassen. Du hast sein
Blut vergossen; also gehört das deinige nun ihm."

"Sind die Chaldani *) Christen oder Barbaren?"

"Das geht dich nichts an! Gieb deine Waffen ab!"

Seine ganze Schar hatte einen weiten Kreis um uns
geschlossen, und es war jedes Wort zu hören, welches von
uns beiden gesprochen wurde. Bei seinem letzten Befehle
griff er nach meiner Büchse.

Ich warf Sir Lindsay einige englische und den
andern einige arabische Worte zu, und dann fuhr ich
gegen den Melek fort:

"So betrachtest du uns von jetzt an als Gefangene?"

Als er bejahte, erwiderte ich:

"Du Unvorsichtiger! Glaubst du wirklich, daß wir
euch fürchten müssen? Wer die Hand gegen einen Emir
aus Germanistan erhebt, der erhebt sie doch nur gegen
sich selbst. Wisse, nicht ich bin dein Gefangener, sondern
du bist der meinige!"

Bei diesen Worten faßte ich ihn mit der Linken beim
Genick und drückte ihm den Hals so fest zusammen, daß
ihm sofort die Arme schlaff herniederhingen, und zugleich
bildeten die Gefährten mit nach auswärts gerichteten
schußfertigen Waffen einen Kreis um mich. Dies geschah
so schnell und unerwartet, daß die Nestorianer ganz sprach-

*) So nennen sich die Nestorianer Kurdistans am liebsten.

anzugreifen, der wird uns und unſere Waffen kennen
lernen.“

„Wir fürchten ſie nicht, denn wir ſind euch überlegen.“

„So lange mein Wort uns bindet; ſonſt aber nicht.“

„Ihr werdet uns ſofort eure Gewehre geben müſſen,
damit ihr nicht ferneren Schaden damit anrichtet.“

„Und was wird dann geſchehen?“

„Ich will über die andern zu Gerichte ſitzen; dich
aber werde ich meinem Bruder überlaſſen. Du haſt ſein
Blut vergoſſen; alſo gehört das deinige nun ihm.“

„Sind die Chaldani *) Chriſten oder Barbaren?“

„Das geht dich nichts an! Gieb deine Waffen ab!“

Seine ganze Schar hatte einen weiten Kreis um uns
geſchloſſen, und es war jedes Wort zu hören, welches von
uns beiden geſprochen wurde. Bei ſeinem letzten Befehle
griff er nach meiner Büchſe.

Ich warf Sir Lindſay einige engliſche und den
andern einige arabiſche Worte zu, und dann fuhr ich
gegen den Melek fort:

„So betrachteſt du uns von jetzt an als Gefangene?“

Als er bejahte, erwiderte ich:

„Du Unvorſichtiger! Glaubſt du wirklich, daß wir
euch fürchten müſſen? Wer die Hand gegen einen Emir
aus Germaniſtan erhebt, der erhebt ſie doch nur gegen
ſich ſelbſt. Wiſſe, nicht ich bin dein Gefangener, ſondern
du biſt der meinige!“

Bei dieſen Worten faßte ich ihn mit der Linken beim
Genick und drückte ihm den Hals ſo feſt zuſammen, daß
ihm ſofort die Arme ſchlaff herniederhingen, und zugleich
bildeten die Gefährten mit nach auswärts gerichteten
ſchußfertigen Waffen einen Kreis um mich. Dies geſchah
ſo ſchnell und unerwartet, daß die Neſtorianer ganz ſprach-

*) So nennen ſich die Neſtorianer Kurdiſtans am liebſten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0514" n="500"/>
anzugreifen, der wird uns und un&#x017F;ere Waffen kennen<lb/>
lernen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir fürchten &#x017F;ie nicht, denn wir &#x017F;ind euch überlegen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So lange mein Wort uns bindet; &#x017F;on&#x017F;t aber nicht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ihr werdet uns &#x017F;ofort eure Gewehre geben mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
damit ihr nicht ferneren Schaden damit anrichtet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und was wird dann ge&#x017F;chehen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich will über die andern zu Gerichte &#x017F;itzen; dich<lb/>
aber werde ich meinem Bruder überla&#x017F;&#x017F;en. Du ha&#x017F;t &#x017F;ein<lb/>
Blut vergo&#x017F;&#x017F;en; al&#x017F;o gehört das deinige nun ihm.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sind die Chaldani <note place="foot" n="*)">So nennen &#x017F;ich die Ne&#x017F;torianer Kurdi&#x017F;tans am lieb&#x017F;ten.</note> Chri&#x017F;ten oder Barbaren?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das geht dich nichts an! Gieb deine Waffen ab!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Seine ganze Schar hatte einen weiten Kreis um uns<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und es war jedes Wort zu hören, welches von<lb/>
uns beiden ge&#x017F;prochen wurde. Bei &#x017F;einem letzten Befehle<lb/>
griff er nach meiner Büch&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Ich warf Sir Lind&#x017F;ay einige engli&#x017F;che und den<lb/>
andern einige arabi&#x017F;che Worte zu, und dann fuhr ich<lb/>
gegen den Melek fort:</p><lb/>
        <p>&#x201E;So betrachte&#x017F;t du uns von jetzt an als Gefangene?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Als er bejahte, erwiderte ich:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du Unvor&#x017F;ichtiger! Glaub&#x017F;t du wirklich, daß wir<lb/>
euch fürchten mü&#x017F;&#x017F;en? Wer die Hand gegen einen Emir<lb/>
aus Germani&#x017F;tan erhebt, der erhebt &#x017F;ie doch nur gegen<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Wi&#x017F;&#x017F;e, nicht ich bin dein Gefangener, &#x017F;ondern<lb/>
du bi&#x017F;t der meinige!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bei die&#x017F;en Worten faßte ich ihn mit der Linken beim<lb/>
Genick und drückte ihm den Hals &#x017F;o fe&#x017F;t zu&#x017F;ammen, daß<lb/>
ihm &#x017F;ofort die Arme &#x017F;chlaff herniederhingen, und zugleich<lb/>
bildeten die Gefährten mit nach auswärts gerichteten<lb/>
&#x017F;chußfertigen Waffen einen Kreis um mich. Dies ge&#x017F;chah<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chnell und unerwartet, daß die Ne&#x017F;torianer ganz &#x017F;prach-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[500/0514] anzugreifen, der wird uns und unſere Waffen kennen lernen.“ „Wir fürchten ſie nicht, denn wir ſind euch überlegen.“ „So lange mein Wort uns bindet; ſonſt aber nicht.“ „Ihr werdet uns ſofort eure Gewehre geben müſſen, damit ihr nicht ferneren Schaden damit anrichtet.“ „Und was wird dann geſchehen?“ „Ich will über die andern zu Gerichte ſitzen; dich aber werde ich meinem Bruder überlaſſen. Du haſt ſein Blut vergoſſen; alſo gehört das deinige nun ihm.“ „Sind die Chaldani *) Chriſten oder Barbaren?“ „Das geht dich nichts an! Gieb deine Waffen ab!“ Seine ganze Schar hatte einen weiten Kreis um uns geſchloſſen, und es war jedes Wort zu hören, welches von uns beiden geſprochen wurde. Bei ſeinem letzten Befehle griff er nach meiner Büchſe. Ich warf Sir Lindſay einige engliſche und den andern einige arabiſche Worte zu, und dann fuhr ich gegen den Melek fort: „So betrachteſt du uns von jetzt an als Gefangene?“ Als er bejahte, erwiderte ich: „Du Unvorſichtiger! Glaubſt du wirklich, daß wir euch fürchten müſſen? Wer die Hand gegen einen Emir aus Germaniſtan erhebt, der erhebt ſie doch nur gegen ſich ſelbſt. Wiſſe, nicht ich bin dein Gefangener, ſondern du biſt der meinige!“ Bei dieſen Worten faßte ich ihn mit der Linken beim Genick und drückte ihm den Hals ſo feſt zuſammen, daß ihm ſofort die Arme ſchlaff herniederhingen, und zugleich bildeten die Gefährten mit nach auswärts gerichteten ſchußfertigen Waffen einen Kreis um mich. Dies geſchah ſo ſchnell und unerwartet, daß die Neſtorianer ganz ſprach- *) So nennen ſich die Neſtorianer Kurdiſtans am liebſten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/514
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/514>, abgerufen am 23.12.2024.