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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Es ist nicht wahr! Nur dein Hund sollte erschossen
werden."

"Wer hat dies befohlen? Etwa du selbst?"

"Nein. Ich wußte nichts davon. Aber, Chodih,
nun seid ihr alle verloren. Du hast eines Hundes wegen
auf meinen Bruder geschossen!"

"Ich habe das Recht, einen jeden niederzuschießen,
der meinen Hund töten will, und von diesem Rechte
werde ich auch ferner Gebrauch machen; das merke dir.
Wie aber will dein Bruder beweisen, daß er nicht mich,
sondern meinen Hund töten wollte?"

"Er sagt es."

"So ist er ein sehr schlechter Schütze, denn er hat
nicht den Hund, sondern diesen Emir aus Inglistan ge-
troffen."

"Er hat wirklich nur den Hund gemeint. Es giebt
keinen Menschen, der des Abends seiner Kugel sicher ist."

"Das ist keine Entschuldigung für eine so heimtückische
That. Die Kugel ist vier Schritte entfernt an dem Tiere
vorübergegangen; eine Handbreit höher, so wäre dieser
Emir eine Leiche gewesen. Uebrigens giebt es Leute,
welche auch des Nachts sicher schießen; das werde ich dir
beweisen. Ich habe nach dem rechten Ellbogen deines
Bruders gezielt, und sicher habe ich ihm denselben zer-
schmettert, obgleich ich weniger Zeit zum Zielen hatte,
als er selbst."

Er nickte grimmig.

"Du hast ihm den Arm genommen; du wirst's mit
deinem Leben bezahlen!"

"Höre, Melek, und sei froh, daß ich nicht nach seinem
Kopfe zielte, welcher viel leichter als der Arm zu treffen
war! Ich sehne mich nicht nach Menschenblut, denn ich
bin ein Christ; aber wer es wagt, mich oder die Meinen

„Es iſt nicht wahr! Nur dein Hund ſollte erſchoſſen
werden.“

„Wer hat dies befohlen? Etwa du ſelbſt?“

„Nein. Ich wußte nichts davon. Aber, Chodih,
nun ſeid ihr alle verloren. Du haſt eines Hundes wegen
auf meinen Bruder geſchoſſen!“

„Ich habe das Recht, einen jeden niederzuſchießen,
der meinen Hund töten will, und von dieſem Rechte
werde ich auch ferner Gebrauch machen; das merke dir.
Wie aber will dein Bruder beweiſen, daß er nicht mich,
ſondern meinen Hund töten wollte?“

„Er ſagt es.“

„So iſt er ein ſehr ſchlechter Schütze, denn er hat
nicht den Hund, ſondern dieſen Emir aus Ingliſtan ge-
troffen.“

„Er hat wirklich nur den Hund gemeint. Es giebt
keinen Menſchen, der des Abends ſeiner Kugel ſicher iſt.“

„Das iſt keine Entſchuldigung für eine ſo heimtückiſche
That. Die Kugel iſt vier Schritte entfernt an dem Tiere
vorübergegangen; eine Handbreit höher, ſo wäre dieſer
Emir eine Leiche geweſen. Uebrigens giebt es Leute,
welche auch des Nachts ſicher ſchießen; das werde ich dir
beweiſen. Ich habe nach dem rechten Ellbogen deines
Bruders gezielt, und ſicher habe ich ihm denſelben zer-
ſchmettert, obgleich ich weniger Zeit zum Zielen hatte,
als er ſelbſt.“

Er nickte grimmig.

„Du haſt ihm den Arm genommen; du wirſt's mit
deinem Leben bezahlen!“

„Höre, Melek, und ſei froh, daß ich nicht nach ſeinem
Kopfe zielte, welcher viel leichter als der Arm zu treffen
war! Ich ſehne mich nicht nach Menſchenblut, denn ich
bin ein Chriſt; aber wer es wagt, mich oder die Meinen

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[499/0513] „Es iſt nicht wahr! Nur dein Hund ſollte erſchoſſen werden.“ „Wer hat dies befohlen? Etwa du ſelbſt?“ „Nein. Ich wußte nichts davon. Aber, Chodih, nun ſeid ihr alle verloren. Du haſt eines Hundes wegen auf meinen Bruder geſchoſſen!“ „Ich habe das Recht, einen jeden niederzuſchießen, der meinen Hund töten will, und von dieſem Rechte werde ich auch ferner Gebrauch machen; das merke dir. Wie aber will dein Bruder beweiſen, daß er nicht mich, ſondern meinen Hund töten wollte?“ „Er ſagt es.“ „So iſt er ein ſehr ſchlechter Schütze, denn er hat nicht den Hund, ſondern dieſen Emir aus Ingliſtan ge- troffen.“ „Er hat wirklich nur den Hund gemeint. Es giebt keinen Menſchen, der des Abends ſeiner Kugel ſicher iſt.“ „Das iſt keine Entſchuldigung für eine ſo heimtückiſche That. Die Kugel iſt vier Schritte entfernt an dem Tiere vorübergegangen; eine Handbreit höher, ſo wäre dieſer Emir eine Leiche geweſen. Uebrigens giebt es Leute, welche auch des Nachts ſicher ſchießen; das werde ich dir beweiſen. Ich habe nach dem rechten Ellbogen deines Bruders gezielt, und ſicher habe ich ihm denſelben zer- ſchmettert, obgleich ich weniger Zeit zum Zielen hatte, als er ſelbſt.“ Er nickte grimmig. „Du haſt ihm den Arm genommen; du wirſt's mit deinem Leben bezahlen!“ „Höre, Melek, und ſei froh, daß ich nicht nach ſeinem Kopfe zielte, welcher viel leichter als der Arm zu treffen war! Ich ſehne mich nicht nach Menſchenblut, denn ich bin ein Chriſt; aber wer es wagt, mich oder die Meinen

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/513>, abgerufen am 11.05.2024.