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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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Feuern ziemlich hell erleuchtet, und so war es mir mög-
lich, einen menschlichen Kopf zu erkennen, welcher sich
langsam vom Dache erhob. Dem Kopfe folgte ein Hals,
diesem zwei Schultern, und dann gewahrte ich den
langen Lauf einer Flinte, welcher sich grad nach un-
serem Feuer richtete. Im Nu hatte ich auch meine
Büchse ergriffen und angelegt: droben blitzte ein Schuß,
und fast zu gleicher Zeit krachte unten auch der meinige;
droben erscholl ein Schrei, und unten wurde ein zweiter
ausgestoßen. Dieser letztere Schrei kam zwischen den
Hypotenusen und Katheten des Engländers hervor, welchem
die Kugel des heimtückischen Schützen das Messer samt
dem Bissen vor dem Munde aus der Hand gerissen hatte.

"Zounds!" rief er. "Wer war der Halunke, he?"

Das alles war so ungemein schnell geschehen, daß
niemand den Schuß auf dem Dache hatte aufblitzen sehen.
Einer der nahe lagernden Nestorianer, welcher vielleicht
den Rang eines Unteranführers begleitete, trat herbei.

"Warum schießest du, Chodih?" fragte er.

"Weil ich mich verteidigen muß."

"Wer greift dich an? Ich sehe ja keinen Feind."

"Aber ich habe ihn gesehen," antwortete ich. "Er
lag dort oben auf dem Dache und schoß nach mir."

"Du irrst, Chodih!"

"Ich irre nicht. Es wird der Bruder des Melek
sein, und weil er sich nicht warnen läßt, so habe ich ihn
bestraft."

"Du hast ihn erschossen?" fragte der Mann erschrocken.

"Nein. Ich zielte auf seinen rechten Ellbogen und
bin sicher, ihn dort getroffen zu haben."

"Herr, das ist schlimm für dich! Ich werde sofort
nachsehen."

Die sämtlichen Nestorianer hatten sich von ihren

II. 32

Feuern ziemlich hell erleuchtet, und ſo war es mir mög-
lich, einen menſchlichen Kopf zu erkennen, welcher ſich
langſam vom Dache erhob. Dem Kopfe folgte ein Hals,
dieſem zwei Schultern, und dann gewahrte ich den
langen Lauf einer Flinte, welcher ſich grad nach un-
ſerem Feuer richtete. Im Nu hatte ich auch meine
Büchſe ergriffen und angelegt: droben blitzte ein Schuß,
und faſt zu gleicher Zeit krachte unten auch der meinige;
droben erſcholl ein Schrei, und unten wurde ein zweiter
ausgeſtoßen. Dieſer letztere Schrei kam zwiſchen den
Hypotenuſen und Katheten des Engländers hervor, welchem
die Kugel des heimtückiſchen Schützen das Meſſer ſamt
dem Biſſen vor dem Munde aus der Hand geriſſen hatte.

Zounds!“ rief er. „Wer war der Halunke, he?“

Das alles war ſo ungemein ſchnell geſchehen, daß
niemand den Schuß auf dem Dache hatte aufblitzen ſehen.
Einer der nahe lagernden Neſtorianer, welcher vielleicht
den Rang eines Unteranführers begleitete, trat herbei.

„Warum ſchießeſt du, Chodih?“ fragte er.

„Weil ich mich verteidigen muß.“

„Wer greift dich an? Ich ſehe ja keinen Feind.“

„Aber ich habe ihn geſehen,“ antwortete ich. „Er
lag dort oben auf dem Dache und ſchoß nach mir.“

„Du irrſt, Chodih!“

„Ich irre nicht. Es wird der Bruder des Melek
ſein, und weil er ſich nicht warnen läßt, ſo habe ich ihn
beſtraft.“

„Du haſt ihn erſchoſſen?“ fragte der Mann erſchrocken.

„Nein. Ich zielte auf ſeinen rechten Ellbogen und
bin ſicher, ihn dort getroffen zu haben.“

„Herr, das iſt ſchlimm für dich! Ich werde ſofort
nachſehen.“

Die ſämtlichen Neſtorianer hatten ſich von ihren

II. 32
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[497/0511] Feuern ziemlich hell erleuchtet, und ſo war es mir mög- lich, einen menſchlichen Kopf zu erkennen, welcher ſich langſam vom Dache erhob. Dem Kopfe folgte ein Hals, dieſem zwei Schultern, und dann gewahrte ich den langen Lauf einer Flinte, welcher ſich grad nach un- ſerem Feuer richtete. Im Nu hatte ich auch meine Büchſe ergriffen und angelegt: droben blitzte ein Schuß, und faſt zu gleicher Zeit krachte unten auch der meinige; droben erſcholl ein Schrei, und unten wurde ein zweiter ausgeſtoßen. Dieſer letztere Schrei kam zwiſchen den Hypotenuſen und Katheten des Engländers hervor, welchem die Kugel des heimtückiſchen Schützen das Meſſer ſamt dem Biſſen vor dem Munde aus der Hand geriſſen hatte. „Zounds!“ rief er. „Wer war der Halunke, he?“ Das alles war ſo ungemein ſchnell geſchehen, daß niemand den Schuß auf dem Dache hatte aufblitzen ſehen. Einer der nahe lagernden Neſtorianer, welcher vielleicht den Rang eines Unteranführers begleitete, trat herbei. „Warum ſchießeſt du, Chodih?“ fragte er. „Weil ich mich verteidigen muß.“ „Wer greift dich an? Ich ſehe ja keinen Feind.“ „Aber ich habe ihn geſehen,“ antwortete ich. „Er lag dort oben auf dem Dache und ſchoß nach mir.“ „Du irrſt, Chodih!“ „Ich irre nicht. Es wird der Bruder des Melek ſein, und weil er ſich nicht warnen läßt, ſo habe ich ihn beſtraft.“ „Du haſt ihn erſchoſſen?“ fragte der Mann erſchrocken. „Nein. Ich zielte auf ſeinen rechten Ellbogen und bin ſicher, ihn dort getroffen zu haben.“ „Herr, das iſt ſchlimm für dich! Ich werde ſofort nachſehen.“ Die ſämtlichen Neſtorianer hatten ſich von ihren II. 32

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/511>, abgerufen am 23.12.2024.