Wir kamen schnell über die Hochebene zurück, auf welcher wir vorher Rast gehalten hatten. An dem dies- seitigen Rande derselben hielten wir an, und ich zog das Fernrohr aus der Satteltasche, um die unter uns liegen- den Thäler und Abhänge zu betrachten. Ich konnte nichts Besorgnis Erregendes bemerken, und so setzten wir unsern Weg thalabwärts fort. Endlich gelangten wir nach lan- gem Ritt auch an die Stelle, an welcher wir gefangen genommen worden waren. Lindsay wollte nach rechts ab- biegen, weil dorthin Mia und unser Jagdplatz lag, aber ich hielt zaudernd an.
"Wollen wir nicht einmal hier links hinab, Sir?" fragte ich. "Dort sind die Unsrigen überfallen worden. Es ist beinahe notwendig, sich den Kampfplatz anzusehen."
"Wir werden alle in Mia oder Gumri treffen!" ent- gegnete er.
"Gumri liegt nach links. Kommt!"
"Ihr werdet Euch in neue Gefahr begeben, Sir!"
Ich schwenkte ohne weitere Antwort links ab, und er folgte mir ein wenig verdrossen.
Hier sah ich die Wurzel, über welche mein Pferd ge- strauchelt war, und vielleicht achthundert Schritte weiter abwärts fanden wir ein getötetes Pferd daliegen, dem man Sattel und Zaum abgenommen hatte. Der spärliche Graswuchs und das niedrige Gestrüpp war zertreten; auch das mit Blut bespritzte Gestein zeigte, daß hier ein Kampf stattgefunden habe. Die Spuren desselben führten ab- wärts: die Kurden waren geflohen und die Nestorianer ihnen gefolgt. Das regte den Engländer auf. Er dachte nicht mehr an seine vorige Warnung und setzte sein Pferd in Trab.
"Kommt, Sir! Müssen sehen, wie es gegangen ist!" rief er mir zu.
Wir kamen ſchnell über die Hochebene zurück, auf welcher wir vorher Raſt gehalten hatten. An dem dies- ſeitigen Rande derſelben hielten wir an, und ich zog das Fernrohr aus der Satteltaſche, um die unter uns liegen- den Thäler und Abhänge zu betrachten. Ich konnte nichts Beſorgnis Erregendes bemerken, und ſo ſetzten wir unſern Weg thalabwärts fort. Endlich gelangten wir nach lan- gem Ritt auch an die Stelle, an welcher wir gefangen genommen worden waren. Lindſay wollte nach rechts ab- biegen, weil dorthin Mia und unſer Jagdplatz lag, aber ich hielt zaudernd an.
„Wollen wir nicht einmal hier links hinab, Sir?“ fragte ich. „Dort ſind die Unſrigen überfallen worden. Es iſt beinahe notwendig, ſich den Kampfplatz anzuſehen.“
„Wir werden alle in Mia oder Gumri treffen!“ ent- gegnete er.
„Gumri liegt nach links. Kommt!“
„Ihr werdet Euch in neue Gefahr begeben, Sir!“
Ich ſchwenkte ohne weitere Antwort links ab, und er folgte mir ein wenig verdroſſen.
Hier ſah ich die Wurzel, über welche mein Pferd ge- ſtrauchelt war, und vielleicht achthundert Schritte weiter abwärts fanden wir ein getötetes Pferd daliegen, dem man Sattel und Zaum abgenommen hatte. Der ſpärliche Graswuchs und das niedrige Geſtrüpp war zertreten; auch das mit Blut beſpritzte Geſtein zeigte, daß hier ein Kampf ſtattgefunden habe. Die Spuren desſelben führten ab- wärts: die Kurden waren geflohen und die Neſtorianer ihnen gefolgt. Das regte den Engländer auf. Er dachte nicht mehr an ſeine vorige Warnung und ſetzte ſein Pferd in Trab.
„Kommt, Sir! Müſſen ſehen, wie es gegangen iſt!“ rief er mir zu.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0486"n="472"/><p>Wir kamen ſchnell über die Hochebene zurück, auf<lb/>
welcher wir vorher Raſt gehalten hatten. An dem dies-<lb/>ſeitigen Rande derſelben hielten wir an, und ich zog das<lb/>
Fernrohr aus der Satteltaſche, um die unter uns liegen-<lb/>
den Thäler und Abhänge zu betrachten. Ich konnte nichts<lb/>
Beſorgnis Erregendes bemerken, und ſo ſetzten wir unſern<lb/>
Weg thalabwärts fort. Endlich gelangten wir nach lan-<lb/>
gem Ritt auch an die Stelle, an welcher wir gefangen<lb/>
genommen worden waren. Lindſay wollte nach rechts ab-<lb/>
biegen, weil dorthin Mia und unſer Jagdplatz lag, aber<lb/>
ich hielt zaudernd an.</p><lb/><p>„Wollen wir nicht einmal hier links hinab, Sir?“<lb/>
fragte ich. „Dort ſind die Unſrigen überfallen worden. Es<lb/>
iſt beinahe notwendig, ſich den Kampfplatz anzuſehen.“</p><lb/><p>„Wir werden alle in Mia oder Gumri treffen!“ ent-<lb/>
gegnete er.</p><lb/><p>„Gumri liegt nach links. Kommt!“</p><lb/><p>„Ihr werdet Euch in neue Gefahr begeben, Sir!“</p><lb/><p>Ich ſchwenkte ohne weitere Antwort links ab, und<lb/>
er folgte mir ein wenig verdroſſen.</p><lb/><p>Hier ſah ich die Wurzel, über welche mein Pferd ge-<lb/>ſtrauchelt war, und vielleicht achthundert Schritte weiter<lb/>
abwärts fanden wir ein getötetes Pferd daliegen, dem<lb/>
man Sattel und Zaum abgenommen hatte. Der ſpärliche<lb/>
Graswuchs und das niedrige Geſtrüpp war zertreten; auch<lb/>
das mit Blut beſpritzte Geſtein zeigte, daß hier ein Kampf<lb/>ſtattgefunden habe. Die Spuren desſelben führten ab-<lb/>
wärts: die Kurden waren geflohen und die Neſtorianer<lb/>
ihnen gefolgt. Das regte den Engländer auf. Er dachte<lb/>
nicht mehr an ſeine vorige Warnung und ſetzte ſein Pferd<lb/>
in Trab.</p><lb/><p>„Kommt, Sir! Müſſen ſehen, wie es gegangen iſt!“<lb/>
rief er mir zu.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[472/0486]
Wir kamen ſchnell über die Hochebene zurück, auf
welcher wir vorher Raſt gehalten hatten. An dem dies-
ſeitigen Rande derſelben hielten wir an, und ich zog das
Fernrohr aus der Satteltaſche, um die unter uns liegen-
den Thäler und Abhänge zu betrachten. Ich konnte nichts
Beſorgnis Erregendes bemerken, und ſo ſetzten wir unſern
Weg thalabwärts fort. Endlich gelangten wir nach lan-
gem Ritt auch an die Stelle, an welcher wir gefangen
genommen worden waren. Lindſay wollte nach rechts ab-
biegen, weil dorthin Mia und unſer Jagdplatz lag, aber
ich hielt zaudernd an.
„Wollen wir nicht einmal hier links hinab, Sir?“
fragte ich. „Dort ſind die Unſrigen überfallen worden. Es
iſt beinahe notwendig, ſich den Kampfplatz anzuſehen.“
„Wir werden alle in Mia oder Gumri treffen!“ ent-
gegnete er.
„Gumri liegt nach links. Kommt!“
„Ihr werdet Euch in neue Gefahr begeben, Sir!“
Ich ſchwenkte ohne weitere Antwort links ab, und
er folgte mir ein wenig verdroſſen.
Hier ſah ich die Wurzel, über welche mein Pferd ge-
ſtrauchelt war, und vielleicht achthundert Schritte weiter
abwärts fanden wir ein getötetes Pferd daliegen, dem
man Sattel und Zaum abgenommen hatte. Der ſpärliche
Graswuchs und das niedrige Geſtrüpp war zertreten; auch
das mit Blut beſpritzte Geſtein zeigte, daß hier ein Kampf
ſtattgefunden habe. Die Spuren desſelben führten ab-
wärts: die Kurden waren geflohen und die Neſtorianer
ihnen gefolgt. Das regte den Engländer auf. Er dachte
nicht mehr an ſeine vorige Warnung und ſetzte ſein Pferd
in Trab.
„Kommt, Sir! Müſſen ſehen, wie es gegangen iſt!“
rief er mir zu.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/486>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.