wir transportiert werden. Wo liegt die Schlucht, in der uns das Unglück passierte?"
"Grad hinter uns."
"Dort steht die Sonne; wir reiten also Ostsüdost. Gefällt es Euch noch so in Kurdistan wie vorhin, als Ihr die Bären getroffen hattet?"
"Hm! Ein miserables Land zuweilen! Wer sind diese Leute?"
"Es sind Nestorianer."
"Vortreffliche christliche Sekte! Nicht, Sir?"
"Sie sind von den Kurden oft mit einer solchen un- menschlichen Grausamkeit behandelt worden, daß man sich nicht wundern darf, wenn sie einmal Vergeltung üben."
"Konnten aber damit warten bis zu einer andern Zeit! Was ist nun zu thun, Sir?"
"Nichts, wenigstens jetzt."
"Nicht fliehen?"
"In dem Zustande, in welchem wir uns befinden?"
"Hm! War ein schöner Anzug! Wunderschön! Nun ist er fort! In Gumri werden wir andere Kleider er- halten."
"Das wäre das wenigste. Aber ohne mein Pferd und meine Waffen fliehe ich nicht. Wie steht es mit Eurem Gelde?" fragte ich.
"Fort! Und das Eurige?"
"Fort! Es war übrigens nicht sehr viel," lautete meine Antwort.
"Schöne Wirtschaft, Sir! Was glaubt Ihr, daß sie mit uns thun werden?"
"In Lebensgefahr befinden wir uns nicht. Sie wer- den uns früher oder später entlassen. Aber ob wir unser Eigentum zurückerhalten, das ist sehr zu bezweifeln."
"Laßt Ihr Eure Waffen im Stich?"
wir transportiert werden. Wo liegt die Schlucht, in der uns das Unglück paſſierte?“
„Grad hinter uns.“
„Dort ſteht die Sonne; wir reiten alſo Oſtſüdoſt. Gefällt es Euch noch ſo in Kurdiſtan wie vorhin, als Ihr die Bären getroffen hattet?“
„Hm! Ein miſerables Land zuweilen! Wer ſind dieſe Leute?“
„Es ſind Neſtorianer.“
„Vortreffliche chriſtliche Sekte! Nicht, Sir?“
„Sie ſind von den Kurden oft mit einer ſolchen un- menſchlichen Grauſamkeit behandelt worden, daß man ſich nicht wundern darf, wenn ſie einmal Vergeltung üben.“
„Konnten aber damit warten bis zu einer andern Zeit! Was iſt nun zu thun, Sir?“
„Nichts, wenigſtens jetzt.“
„Nicht fliehen?“
„In dem Zuſtande, in welchem wir uns befinden?“
„Hm! War ein ſchöner Anzug! Wunderſchön! Nun iſt er fort! In Gumri werden wir andere Kleider er- halten.“
„Das wäre das wenigſte. Aber ohne mein Pferd und meine Waffen fliehe ich nicht. Wie ſteht es mit Eurem Gelde?“ fragte ich.
„Fort! Und das Eurige?“
„Fort! Es war übrigens nicht ſehr viel,“ lautete meine Antwort.
„Schöne Wirtſchaft, Sir! Was glaubt Ihr, daß ſie mit uns thun werden?“
„In Lebensgefahr befinden wir uns nicht. Sie wer- den uns früher oder ſpäter entlaſſen. Aber ob wir unſer Eigentum zurückerhalten, das iſt ſehr zu bezweifeln.“
„Laßt Ihr Eure Waffen im Stich?“
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[457/0471]
wir transportiert werden. Wo liegt die Schlucht, in der
uns das Unglück paſſierte?“
„Grad hinter uns.“
„Dort ſteht die Sonne; wir reiten alſo Oſtſüdoſt.
Gefällt es Euch noch ſo in Kurdiſtan wie vorhin, als
Ihr die Bären getroffen hattet?“
„Hm! Ein miſerables Land zuweilen! Wer ſind dieſe
Leute?“
„Es ſind Neſtorianer.“
„Vortreffliche chriſtliche Sekte! Nicht, Sir?“
„Sie ſind von den Kurden oft mit einer ſolchen un-
menſchlichen Grauſamkeit behandelt worden, daß man ſich
nicht wundern darf, wenn ſie einmal Vergeltung üben.“
„Konnten aber damit warten bis zu einer andern
Zeit! Was iſt nun zu thun, Sir?“
„Nichts, wenigſtens jetzt.“
„Nicht fliehen?“
„In dem Zuſtande, in welchem wir uns befinden?“
„Hm! War ein ſchöner Anzug! Wunderſchön! Nun
iſt er fort! In Gumri werden wir andere Kleider er-
halten.“
„Das wäre das wenigſte. Aber ohne mein Pferd
und meine Waffen fliehe ich nicht. Wie ſteht es mit Eurem
Gelde?“ fragte ich.
„Fort! Und das Eurige?“
„Fort! Es war übrigens nicht ſehr viel,“ lautete
meine Antwort.
„Schöne Wirtſchaft, Sir! Was glaubt Ihr, daß ſie
mit uns thun werden?“
„In Lebensgefahr befinden wir uns nicht. Sie wer-
den uns früher oder ſpäter entlaſſen. Aber ob wir unſer
Eigentum zurückerhalten, das iſt ſehr zu bezweifeln.“
„Laßt Ihr Eure Waffen im Stich?“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/471>, abgerufen am 25.11.2024.
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