Spieß, welcher noch tiefer eindrang, als der erste. Das jetzt wütende Tier erhob sich und versuchte, den Schaft abzubrechen, während die beiden anderen Reiter von neuem auf dasselbe eindrangen.
"Soll ich jetzt, Sir?" rief mir Lindsay zu.
"Ja, macht der Qual ein Ende!"
"So haltet mein Pferd."
Er ritt, da wir dem Bären ausgewichen und dabei auseinander gekommen waren, wieder auf mich zu, stieg ab und übergab mir das Pferd. Schon wollte er sich abwenden, da prasselten die Zweige nieder und es er- schien ein zweiter Bär. Es war die Bärin, welche nur langsam zwischen den Büschen hervortrat, weil ein schutz- bedürftiges Junges bei ihr war. Sie war größer als das Männchen, und ihr zorniges Brummen konnte schon mehr ein Brüllen genannt werden. Es war ein nicht ungefährlicher Augenblick: dort der Bär, hier die Bärin, und wir zwischen ihnen. Aber die Kaltblütigkeit meines Master Fowling-Bull kam nicht aus der Fassung.
"Die Bärin, Sir?" fragte er mich.
"Gewiß!"
"Well! Werde galant sein. Die Dame hat den Vorzug!"
Er nickte vergnügt, schob sich den Turban aus der Stirn und schritt mit angelegter Büchse auf die Bärin zu. Diese sah den Feind kommen, zog das Junge zwischen ihre Hinterbeine und erhob sich, um den Nahenden mit ihren Vorderpranken zu empfangen. Dieser trat bis auf drei Schritte zu ihr heran, hielt ihr die Mündung des Gewehres so ruhig, als ob er auf ein Bild schieße, vor den Kopf und drückte ab.
"Zurück!" warnte ich ihn.
Es war unnötig, denn er war sofort auf die Seite
Spieß, welcher noch tiefer eindrang, als der erſte. Das jetzt wütende Tier erhob ſich und verſuchte, den Schaft abzubrechen, während die beiden anderen Reiter von neuem auf dasſelbe eindrangen.
„Soll ich jetzt, Sir?“ rief mir Lindſay zu.
„Ja, macht der Qual ein Ende!“
„So haltet mein Pferd.“
Er ritt, da wir dem Bären ausgewichen und dabei auseinander gekommen waren, wieder auf mich zu, ſtieg ab und übergab mir das Pferd. Schon wollte er ſich abwenden, da praſſelten die Zweige nieder und es er- ſchien ein zweiter Bär. Es war die Bärin, welche nur langſam zwiſchen den Büſchen hervortrat, weil ein ſchutz- bedürftiges Junges bei ihr war. Sie war größer als das Männchen, und ihr zorniges Brummen konnte ſchon mehr ein Brüllen genannt werden. Es war ein nicht ungefährlicher Augenblick: dort der Bär, hier die Bärin, und wir zwiſchen ihnen. Aber die Kaltblütigkeit meines Maſter Fowling-Bull kam nicht aus der Faſſung.
„Die Bärin, Sir?“ fragte er mich.
„Gewiß!“
„Well! Werde galant ſein. Die Dame hat den Vorzug!“
Er nickte vergnügt, ſchob ſich den Turban aus der Stirn und ſchritt mit angelegter Büchſe auf die Bärin zu. Dieſe ſah den Feind kommen, zog das Junge zwiſchen ihre Hinterbeine und erhob ſich, um den Nahenden mit ihren Vorderpranken zu empfangen. Dieſer trat bis auf drei Schritte zu ihr heran, hielt ihr die Mündung des Gewehres ſo ruhig, als ob er auf ein Bild ſchieße, vor den Kopf und drückte ab.
„Zurück!“ warnte ich ihn.
Es war unnötig, denn er war ſofort auf die Seite
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Spieß, welcher noch tiefer eindrang, als der erſte. Das
jetzt wütende Tier erhob ſich und verſuchte, den Schaft
abzubrechen, während die beiden anderen Reiter von
neuem auf dasſelbe eindrangen.
„Soll ich jetzt, Sir?“ rief mir Lindſay zu.
„Ja, macht der Qual ein Ende!“
„So haltet mein Pferd.“
Er ritt, da wir dem Bären ausgewichen und dabei
auseinander gekommen waren, wieder auf mich zu, ſtieg
ab und übergab mir das Pferd. Schon wollte er ſich
abwenden, da praſſelten die Zweige nieder und es er-
ſchien ein zweiter Bär. Es war die Bärin, welche nur
langſam zwiſchen den Büſchen hervortrat, weil ein ſchutz-
bedürftiges Junges bei ihr war. Sie war größer als
das Männchen, und ihr zorniges Brummen konnte ſchon
mehr ein Brüllen genannt werden. Es war ein nicht
ungefährlicher Augenblick: dort der Bär, hier die Bärin,
und wir zwiſchen ihnen. Aber die Kaltblütigkeit meines
Maſter Fowling-Bull kam nicht aus der Faſſung.
„Die Bärin, Sir?“ fragte er mich.
„Gewiß!“
„Well! Werde galant ſein. Die Dame hat den
Vorzug!“
Er nickte vergnügt, ſchob ſich den Turban aus der
Stirn und ſchritt mit angelegter Büchſe auf die Bärin
zu. Dieſe ſah den Feind kommen, zog das Junge zwiſchen
ihre Hinterbeine und erhob ſich, um den Nahenden mit
ihren Vorderpranken zu empfangen. Dieſer trat bis auf
drei Schritte zu ihr heran, hielt ihr die Mündung des
Gewehres ſo ruhig, als ob er auf ein Bild ſchieße, vor
den Kopf und drückte ab.
„Zurück!“ warnte ich ihn.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/461>, abgerufen am 25.11.2024.
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