Es dauerte eine geraume Weile, ehe wir an dem Lärmen merkten, daß sich die Treiber in Bewegung ge- setzt hatten. Dann erscholl lautes Bellen und Halla-Rufen. Das Bellen näherte sich schnell, das Rufen etwas lang- samer. Nach einigen Minuten verkündete uns ein lautes Geheul, daß einer der Hunde verwundet worden sei. Nun krachten Schüsse, und die Meute fiel mit verdoppelter Stärke ein.
"Paß auf, Emir!" warnte der Bey. "Jetzt wird der Bär kommen."
Er hatte richtig vermutet. Es knackte in dem nahen Unterholze, und ein schwarzer Bär erschien. Es war kein Goliath; ein guter Schuß mußte ihn töten. Bei unserm Anblick blieb er stehen, um sich gemächlich zu überlegen, was unter so mißlichen Umständen zu thun sei. Ein halb- lautes Brummen verriet seinen Verdruß, und seine Aeug- lein blitzten mißmutig zu uns herüber. Der Bey ließ ihm keine Zeit. Da wo wir hielten, standen die Bäume lichter, so daß man sich zu Pferde genügend bewegen konte. Er ritt auf das Tier zu, schwang einen seiner Spieße und warf ihn dem Bären in den Pelz, wo er stecken blieb. Dann aber riß er sein aus Furcht vor dem Bären zitterndes Pferd herum.
"Fliehe, Emir!" rief er mir noch zu, dann sauste er zwischen mir und dem Engländer hindurch.
Der Bär stieß ein lautes schmerzliches Brummen aus, suchte den Spieß von sich abzuschütteln, und da ihm dies nicht gelang, so rannte er dem Bey nach. Sofort brachen die beiden nächsten Nachbarn von uns hinter ihm her und warfen bereits von weitem ihre Spieße, von denen nur einer traf, aber ohne stecken zu bleiben. Sofort wandte sich der Bär nach ihnen. Der Bey merkte dies, kehrte um, ritt wieder auf ihn zu und warf den zweiten
Es dauerte eine geraume Weile, ehe wir an dem Lärmen merkten, daß ſich die Treiber in Bewegung ge- ſetzt hatten. Dann erſcholl lautes Bellen und Halla-Rufen. Das Bellen näherte ſich ſchnell, das Rufen etwas lang- ſamer. Nach einigen Minuten verkündete uns ein lautes Geheul, daß einer der Hunde verwundet worden ſei. Nun krachten Schüſſe, und die Meute fiel mit verdoppelter Stärke ein.
„Paß auf, Emir!“ warnte der Bey. „Jetzt wird der Bär kommen.“
Er hatte richtig vermutet. Es knackte in dem nahen Unterholze, und ein ſchwarzer Bär erſchien. Es war kein Goliath; ein guter Schuß mußte ihn töten. Bei unſerm Anblick blieb er ſtehen, um ſich gemächlich zu überlegen, was unter ſo mißlichen Umſtänden zu thun ſei. Ein halb- lautes Brummen verriet ſeinen Verdruß, und ſeine Aeug- lein blitzten mißmutig zu uns herüber. Der Bey ließ ihm keine Zeit. Da wo wir hielten, ſtanden die Bäume lichter, ſo daß man ſich zu Pferde genügend bewegen konte. Er ritt auf das Tier zu, ſchwang einen ſeiner Spieße und warf ihn dem Bären in den Pelz, wo er ſtecken blieb. Dann aber riß er ſein aus Furcht vor dem Bären zitterndes Pferd herum.
„Fliehe, Emir!“ rief er mir noch zu, dann ſauſte er zwiſchen mir und dem Engländer hindurch.
Der Bär ſtieß ein lautes ſchmerzliches Brummen aus, ſuchte den Spieß von ſich abzuſchütteln, und da ihm dies nicht gelang, ſo rannte er dem Bey nach. Sofort brachen die beiden nächſten Nachbarn von uns hinter ihm her und warfen bereits von weitem ihre Spieße, von denen nur einer traf, aber ohne ſtecken zu bleiben. Sofort wandte ſich der Bär nach ihnen. Der Bey merkte dies, kehrte um, ritt wieder auf ihn zu und warf den zweiten
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Es dauerte eine geraume Weile, ehe wir an dem
Lärmen merkten, daß ſich die Treiber in Bewegung ge-
ſetzt hatten. Dann erſcholl lautes Bellen und Halla-Rufen.
Das Bellen näherte ſich ſchnell, das Rufen etwas lang-
ſamer. Nach einigen Minuten verkündete uns ein lautes
Geheul, daß einer der Hunde verwundet worden ſei.
Nun krachten Schüſſe, und die Meute fiel mit verdoppelter
Stärke ein.
„Paß auf, Emir!“ warnte der Bey. „Jetzt wird
der Bär kommen.“
Er hatte richtig vermutet. Es knackte in dem nahen
Unterholze, und ein ſchwarzer Bär erſchien. Es war kein
Goliath; ein guter Schuß mußte ihn töten. Bei unſerm
Anblick blieb er ſtehen, um ſich gemächlich zu überlegen,
was unter ſo mißlichen Umſtänden zu thun ſei. Ein halb-
lautes Brummen verriet ſeinen Verdruß, und ſeine Aeug-
lein blitzten mißmutig zu uns herüber. Der Bey ließ
ihm keine Zeit. Da wo wir hielten, ſtanden die Bäume
lichter, ſo daß man ſich zu Pferde genügend bewegen konte.
Er ritt auf das Tier zu, ſchwang einen ſeiner Spieße
und warf ihn dem Bären in den Pelz, wo er ſtecken blieb.
Dann aber riß er ſein aus Furcht vor dem Bären
zitterndes Pferd herum.
„Fliehe, Emir!“ rief er mir noch zu, dann ſauſte er
zwiſchen mir und dem Engländer hindurch.
Der Bär ſtieß ein lautes ſchmerzliches Brummen aus,
ſuchte den Spieß von ſich abzuſchütteln, und da ihm dies
nicht gelang, ſo rannte er dem Bey nach. Sofort brachen
die beiden nächſten Nachbarn von uns hinter ihm her
und warfen bereits von weitem ihre Spieße, von denen
nur einer traf, aber ohne ſtecken zu bleiben. Sofort
wandte ſich der Bär nach ihnen. Der Bey merkte dies,
kehrte um, ritt wieder auf ihn zu und warf den zweiten
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/460>, abgerufen am 25.11.2024.
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