Die Versammlung hörte diesen Vorträgen mit größter Aufmerksamkeit zu, mir aber war es sehr lieb, als sie zu Ende waren und wir uns zur Ruhe begeben konnten. Zu diesem Zweck führte uns der Bey in eine große Stube, an deren Wänden rundum Diwans standen, die uns zum Lager dienen sollten. Da in diesem Raume gar nichts Merkwürdiges zu sehen war, so wunderte ich mich über die gespannten Blicke, mit denen der Bey uns beobachtete. Es waren ganz die Blicke eines Menschen, der er- wartet, daß man bei ihm eine außerordentliche Entdeckung machen und bewundern werde. Endlich erkannte ich aus der so oft wiederkehrenden Richtung seiner Augen den Gegenstand, den wir entdecken und bewundern sollten, und natürlich brach ich sofort in das größtmögliche Er- staunen aus:
"Was ist das! Oh, Bey, mit welch einem großen Reichtum hat Allah dich gesegnet! Deine Schätze sind größer als diejenigen des Bey von Rewandoz oder des Beherrschers von Dschulamerik!"
"Was meinst du, Emir" fragte er mit einer gewissen Koketterie.
"Ich meine das kostbare Dscham *), mit welchem du deinen Palast geschmückt hast."
"Ja, es ist sehr selten und teuer," antwortete er mit stolzer Bescheidenheit.
"Von wem hast du es?"
"Ich kaufte es von einem Israel **), der es aus Mossul brachte, um es dem Schah von Persien zu ver- ehren."
Es wäre unhöflich gewesen, nach dem Preise zu fragen. Der Jude hatte das Märchen vom persischen Schah erfunden und den Bey jedenfalls ganz tüchtig ge-
*) Fensterglas.
**) Juden.
Die Verſammlung hörte dieſen Vorträgen mit größter Aufmerkſamkeit zu, mir aber war es ſehr lieb, als ſie zu Ende waren und wir uns zur Ruhe begeben konnten. Zu dieſem Zweck führte uns der Bey in eine große Stube, an deren Wänden rundum Diwans ſtanden, die uns zum Lager dienen ſollten. Da in dieſem Raume gar nichts Merkwürdiges zu ſehen war, ſo wunderte ich mich über die geſpannten Blicke, mit denen der Bey uns beobachtete. Es waren ganz die Blicke eines Menſchen, der er- wartet, daß man bei ihm eine außerordentliche Entdeckung machen und bewundern werde. Endlich erkannte ich aus der ſo oft wiederkehrenden Richtung ſeiner Augen den Gegenſtand, den wir entdecken und bewundern ſollten, und natürlich brach ich ſofort in das größtmögliche Er- ſtaunen aus:
„Was iſt das! Oh, Bey, mit welch einem großen Reichtum hat Allah dich geſegnet! Deine Schätze ſind größer als diejenigen des Bey von Rewandoz oder des Beherrſchers von Dſchulamerik!“
„Was meinſt du, Emir“ fragte er mit einer gewiſſen Koketterie.
„Ich meine das koſtbare Dſcham *), mit welchem du deinen Palaſt geſchmückt haſt.“
„Ja, es iſt ſehr ſelten und teuer,“ antwortete er mit ſtolzer Beſcheidenheit.
„Von wem haſt du es?“
„Ich kaufte es von einem Israel **), der es aus Moſſul brachte, um es dem Schah von Perſien zu ver- ehren.“
Es wäre unhöflich geweſen, nach dem Preiſe zu fragen. Der Jude hatte das Märchen vom perſiſchen Schah erfunden und den Bey jedenfalls ganz tüchtig ge-
*) Fenſterglas.
**) Juden.
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Die Verſammlung hörte dieſen Vorträgen mit größter
Aufmerkſamkeit zu, mir aber war es ſehr lieb, als ſie zu
Ende waren und wir uns zur Ruhe begeben konnten. Zu
dieſem Zweck führte uns der Bey in eine große Stube,
an deren Wänden rundum Diwans ſtanden, die uns zum
Lager dienen ſollten. Da in dieſem Raume gar nichts
Merkwürdiges zu ſehen war, ſo wunderte ich mich über
die geſpannten Blicke, mit denen der Bey uns beobachtete.
Es waren ganz die Blicke eines Menſchen, der er-
wartet, daß man bei ihm eine außerordentliche Entdeckung
machen und bewundern werde. Endlich erkannte ich aus
der ſo oft wiederkehrenden Richtung ſeiner Augen den
Gegenſtand, den wir entdecken und bewundern ſollten,
und natürlich brach ich ſofort in das größtmögliche Er-
ſtaunen aus:
„Was iſt das! Oh, Bey, mit welch einem großen
Reichtum hat Allah dich geſegnet! Deine Schätze ſind
größer als diejenigen des Bey von Rewandoz oder des
Beherrſchers von Dſchulamerik!“
„Was meinſt du, Emir“ fragte er mit einer gewiſſen
Koketterie.
„Ich meine das koſtbare Dſcham *), mit welchem du
deinen Palaſt geſchmückt haſt.“
„Ja, es iſt ſehr ſelten und teuer,“ antwortete er mit
ſtolzer Beſcheidenheit.
„Von wem haſt du es?“
„Ich kaufte es von einem Israel **), der es aus
Moſſul brachte, um es dem Schah von Perſien zu ver-
ehren.“
Es wäre unhöflich geweſen, nach dem Preiſe zu
fragen. Der Jude hatte das Märchen vom perſiſchen
Schah erfunden und den Bey jedenfalls ganz tüchtig ge-
*) Fenſterglas.
**) Juden.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/452>, abgerufen am 25.11.2024.
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