Verharrst du aber in deiner Verstocktheit, so giebt es keine andere Gesellschaft für dich, als meinen Hund!"
"Chodih, du wirst es doch erfahren," antwortete er nun. "Ja, ich bin der Sohn des Nezanum."
"Was suchtet ihr in diesem Hause?" fuhr ich in dem Verhöre fort.
"Die Pferde!"
"Wie wolltet ihr sie fortbringen?"
"Wir hätten euch eingeriegelt und die beiden Thüren geöffnet; dann waren die Pferde unser."
Dieses Geständnis war gar nicht genug beschämend für ihn, denn bei den Kurden gilt der Pferdediebstahl ebenso wie der offene räuberische Ueberfall für eine ritter- liche That.
"Wer ist der Tote, welcher oben liegt?"
"Der Besitzer dieses Hauses."
"Sehr klug! Er mußte vorangehen, weil er die Schliche am besten kannte. Aber warum bist grad du ihm gefolgt? Es waren doch noch andere und stärkere Männer vorhanden!"
"Der Hengst, welchen du rittest, Chodih, sollte meinem Vater gehören, und ich mußte dafür sorgen, daß kein anderer ihn beim Zügel ergriff; denn wer ein Pferd zu- erst ergreift, hat das Recht darauf."
"Also dein Vater hat selbst den Diebstahl anbefohlen? Dein Vater, welcher mir die Gastfreundschaft zusagte!"
"Er hat sie dir zugesagt, aber ihr seid dennoch nicht unsere Gäste."
"Warum nicht?" fragte ich verwundert.
"Ihr wohnt allein in diesem Hause. Wo habt ihr den Wirt, dessen Gast ihr seid? Hättet ihr verlangt, daß der Besitzer dieser Wohnung in derselben bleiben solle, so wäret ihr unsere Gäste gewesen."
II. 26
Verharrſt du aber in deiner Verſtocktheit, ſo giebt es keine andere Geſellſchaft für dich, als meinen Hund!“
„Chodih, du wirſt es doch erfahren,“ antwortete er nun. „Ja, ich bin der Sohn des Nezanum.“
„Was ſuchtet ihr in dieſem Hauſe?“ fuhr ich in dem Verhöre fort.
„Die Pferde!“
„Wie wolltet ihr ſie fortbringen?“
„Wir hätten euch eingeriegelt und die beiden Thüren geöffnet; dann waren die Pferde unſer.“
Dieſes Geſtändnis war gar nicht genug beſchämend für ihn, denn bei den Kurden gilt der Pferdediebſtahl ebenſo wie der offene räuberiſche Ueberfall für eine ritter- liche That.
„Wer iſt der Tote, welcher oben liegt?“
„Der Beſitzer dieſes Hauſes.“
„Sehr klug! Er mußte vorangehen, weil er die Schliche am beſten kannte. Aber warum biſt grad du ihm gefolgt? Es waren doch noch andere und ſtärkere Männer vorhanden!“
„Der Hengſt, welchen du ritteſt, Chodih, ſollte meinem Vater gehören, und ich mußte dafür ſorgen, daß kein anderer ihn beim Zügel ergriff; denn wer ein Pferd zu- erſt ergreift, hat das Recht darauf.“
„Alſo dein Vater hat ſelbſt den Diebſtahl anbefohlen? Dein Vater, welcher mir die Gaſtfreundſchaft zuſagte!“
„Er hat ſie dir zugeſagt, aber ihr ſeid dennoch nicht unſere Gäſte.“
„Warum nicht?“ fragte ich verwundert.
„Ihr wohnt allein in dieſem Hauſe. Wo habt ihr den Wirt, deſſen Gaſt ihr ſeid? Hättet ihr verlangt, daß der Beſitzer dieſer Wohnung in derſelben bleiben ſolle, ſo wäret ihr unſere Gäſte geweſen.“
II. 26
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Verharrſt du aber in deiner Verſtocktheit, ſo giebt es keine
andere Geſellſchaft für dich, als meinen Hund!“
„Chodih, du wirſt es doch erfahren,“ antwortete er
nun. „Ja, ich bin der Sohn des Nezanum.“
„Was ſuchtet ihr in dieſem Hauſe?“ fuhr ich in
dem Verhöre fort.
„Die Pferde!“
„Wie wolltet ihr ſie fortbringen?“
„Wir hätten euch eingeriegelt und die beiden Thüren
geöffnet; dann waren die Pferde unſer.“
Dieſes Geſtändnis war gar nicht genug beſchämend
für ihn, denn bei den Kurden gilt der Pferdediebſtahl
ebenſo wie der offene räuberiſche Ueberfall für eine ritter-
liche That.
„Wer iſt der Tote, welcher oben liegt?“
„Der Beſitzer dieſes Hauſes.“
„Sehr klug! Er mußte vorangehen, weil er die
Schliche am beſten kannte. Aber warum biſt grad du
ihm gefolgt? Es waren doch noch andere und ſtärkere
Männer vorhanden!“
„Der Hengſt, welchen du ritteſt, Chodih, ſollte meinem
Vater gehören, und ich mußte dafür ſorgen, daß kein
anderer ihn beim Zügel ergriff; denn wer ein Pferd zu-
erſt ergreift, hat das Recht darauf.“
„Alſo dein Vater hat ſelbſt den Diebſtahl anbefohlen?
Dein Vater, welcher mir die Gaſtfreundſchaft zuſagte!“
„Er hat ſie dir zugeſagt, aber ihr ſeid dennoch nicht
unſere Gäſte.“
„Warum nicht?“ fragte ich verwundert.
„Ihr wohnt allein in dieſem Hauſe. Wo habt ihr
den Wirt, deſſen Gaſt ihr ſeid? Hättet ihr verlangt, daß
der Beſitzer dieſer Wohnung in derſelben bleiben ſolle,
ſo wäret ihr unſere Gäſte geweſen.“
II. 26
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/415>, abgerufen am 26.11.2024.
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