Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich werde mich wohl hüten; aber sage diesem Manne,
daß er sich ja nicht rühren und ja kein Wort sprechen
soll, sonst ist er verloren."

"Du kannst ihn doch nicht während der ganzen Nacht
hier liegen lassen!"

"Die Leiche werde ich dir übergeben; aber dieser
Lebende bleibt mein."

"Warum soll er hier bleiben?"

"Wenn noch jemand wagt, dieses Haus oder diesen
Hof zu betreten, so wird er von dem Hunde zerrissen.
Dieser Mann bleibt als Geisel hier."

"Und ich verlange ihn!" sagte der Nezanum barsch.

"Und ich behalte ihn!" lautete meine Antwort.

"Ich bin Nezanum und gebiete es dir!"

"Laß das Gebieten bleiben! Willst du die Leiche
mitnehmen oder nicht?"

"Ich nehme beide, den Toten und den Lebendigen!"

"Ich will nicht grausam sein, sondern dir versprechen,
daß dieser Mann nicht in dieser unbequemen Lage bleiben
soll. Ich werde ihn mit herunter in die Stube nehmen.
Aber jeder Angriff gegen uns würde seinen Tod zur
Folge haben!"

Er legte die Hand auf meinen Arm und sagte ernst:

"Schon dieser eine hier, welchen der Hund erwürgt
hat, fordert euern Tod. Oder kennen die Tschermaki die
Blutrache nicht?"

"Was redest du von Blutrache? Ein Hund hat
einen Dieb erbissen. Das ist kein Fall, welcher die Blut-
rache herausfordert!"

"Er fordert sie, denn Blut ist geflossen, und euer
Tier hat es vergossen."

"Und wenn es so wäre, so geht es dich nichts an. Du
hast selbst zu mir gesagt, daß diese Diebe Fremdlinge sind."

„Ich werde mich wohl hüten; aber ſage dieſem Manne,
daß er ſich ja nicht rühren und ja kein Wort ſprechen
ſoll, ſonſt iſt er verloren.“

„Du kannſt ihn doch nicht während der ganzen Nacht
hier liegen laſſen!“

„Die Leiche werde ich dir übergeben; aber dieſer
Lebende bleibt mein.“

„Warum ſoll er hier bleiben?“

„Wenn noch jemand wagt, dieſes Haus oder dieſen
Hof zu betreten, ſo wird er von dem Hunde zerriſſen.
Dieſer Mann bleibt als Geiſel hier.“

„Und ich verlange ihn!“ ſagte der Nezanum barſch.

„Und ich behalte ihn!“ lautete meine Antwort.

„Ich bin Nezanum und gebiete es dir!“

„Laß das Gebieten bleiben! Willſt du die Leiche
mitnehmen oder nicht?“

„Ich nehme beide, den Toten und den Lebendigen!“

„Ich will nicht grauſam ſein, ſondern dir verſprechen,
daß dieſer Mann nicht in dieſer unbequemen Lage bleiben
ſoll. Ich werde ihn mit herunter in die Stube nehmen.
Aber jeder Angriff gegen uns würde ſeinen Tod zur
Folge haben!“

Er legte die Hand auf meinen Arm und ſagte ernſt:

„Schon dieſer eine hier, welchen der Hund erwürgt
hat, fordert euern Tod. Oder kennen die Tſchermaki die
Blutrache nicht?“

„Was redeſt du von Blutrache? Ein Hund hat
einen Dieb erbiſſen. Das iſt kein Fall, welcher die Blut-
rache herausfordert!“

„Er fordert ſie, denn Blut iſt gefloſſen, und euer
Tier hat es vergoſſen.“

„Und wenn es ſo wäre, ſo geht es dich nichts an. Du
haſt ſelbſt zu mir geſagt, daß dieſe Diebe Fremdlinge ſind.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0411" n="397"/>
        <p>&#x201E;Ich werde mich wohl hüten; aber &#x017F;age die&#x017F;em Manne,<lb/>
daß er &#x017F;ich ja nicht rühren und ja kein Wort &#x017F;prechen<lb/>
&#x017F;oll, &#x017F;on&#x017F;t i&#x017F;t er verloren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du kann&#x017F;t ihn doch nicht während der ganzen Nacht<lb/>
hier liegen la&#x017F;&#x017F;en!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Leiche werde ich dir übergeben; aber die&#x017F;er<lb/>
Lebende bleibt mein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum &#x017F;oll er hier bleiben?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn noch jemand wagt, die&#x017F;es Haus oder die&#x017F;en<lb/>
Hof zu betreten, &#x017F;o wird er von dem Hunde zerri&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Die&#x017F;er Mann bleibt als Gei&#x017F;el hier.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und ich verlange ihn!&#x201C; &#x017F;agte der Nezanum bar&#x017F;ch.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und ich behalte ihn!&#x201C; lautete meine Antwort.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bin Nezanum und gebiete es dir!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Laß das Gebieten bleiben! Will&#x017F;t du die Leiche<lb/>
mitnehmen oder nicht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich nehme beide, den Toten und den Lebendigen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich will nicht grau&#x017F;am &#x017F;ein, &#x017F;ondern dir ver&#x017F;prechen,<lb/>
daß die&#x017F;er Mann nicht in die&#x017F;er unbequemen Lage bleiben<lb/>
&#x017F;oll. Ich werde ihn mit herunter in die Stube nehmen.<lb/>
Aber jeder Angriff gegen uns würde &#x017F;einen Tod zur<lb/>
Folge haben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er legte die Hand auf meinen Arm und &#x017F;agte ern&#x017F;t:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schon die&#x017F;er eine hier, welchen der Hund erwürgt<lb/>
hat, fordert euern Tod. Oder kennen die T&#x017F;chermaki die<lb/>
Blutrache nicht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was rede&#x017F;t du von Blutrache? Ein Hund hat<lb/>
einen Dieb erbi&#x017F;&#x017F;en. Das i&#x017F;t kein Fall, welcher die Blut-<lb/>
rache herausfordert!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er fordert &#x017F;ie, denn Blut i&#x017F;t geflo&#x017F;&#x017F;en, und euer<lb/>
Tier hat es vergo&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und wenn es &#x017F;o wäre, &#x017F;o geht es dich nichts an. Du<lb/>
ha&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t zu mir ge&#x017F;agt, daß die&#x017F;e Diebe Fremdlinge &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0411] „Ich werde mich wohl hüten; aber ſage dieſem Manne, daß er ſich ja nicht rühren und ja kein Wort ſprechen ſoll, ſonſt iſt er verloren.“ „Du kannſt ihn doch nicht während der ganzen Nacht hier liegen laſſen!“ „Die Leiche werde ich dir übergeben; aber dieſer Lebende bleibt mein.“ „Warum ſoll er hier bleiben?“ „Wenn noch jemand wagt, dieſes Haus oder dieſen Hof zu betreten, ſo wird er von dem Hunde zerriſſen. Dieſer Mann bleibt als Geiſel hier.“ „Und ich verlange ihn!“ ſagte der Nezanum barſch. „Und ich behalte ihn!“ lautete meine Antwort. „Ich bin Nezanum und gebiete es dir!“ „Laß das Gebieten bleiben! Willſt du die Leiche mitnehmen oder nicht?“ „Ich nehme beide, den Toten und den Lebendigen!“ „Ich will nicht grauſam ſein, ſondern dir verſprechen, daß dieſer Mann nicht in dieſer unbequemen Lage bleiben ſoll. Ich werde ihn mit herunter in die Stube nehmen. Aber jeder Angriff gegen uns würde ſeinen Tod zur Folge haben!“ Er legte die Hand auf meinen Arm und ſagte ernſt: „Schon dieſer eine hier, welchen der Hund erwürgt hat, fordert euern Tod. Oder kennen die Tſchermaki die Blutrache nicht?“ „Was redeſt du von Blutrache? Ein Hund hat einen Dieb erbiſſen. Das iſt kein Fall, welcher die Blut- rache herausfordert!“ „Er fordert ſie, denn Blut iſt gefloſſen, und euer Tier hat es vergoſſen.“ „Und wenn es ſo wäre, ſo geht es dich nichts an. Du haſt ſelbſt zu mir geſagt, daß dieſe Diebe Fremdlinge ſind.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/411
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/411>, abgerufen am 19.05.2024.