"Nein, das trifft nicht wunderbar, sondern das ist so einfach und natürlich, daß ich über die Kleinheit deiner Gedanken erschrecke! Ich werde ganz besorgt um dich! Du hattest den Schlüssel, und niemand konnte heraus das mußtest du wissen. Ich bin mit dem Agha nach Hause gegangen, und zwar durch die Gasse, in welcher jener Mann wohnt; das wußtest du auch. Und auf eine Erzählung hin, die nur geeignet wäre, mich zu recht- fertigen, willst du mich verurteilen? Ich war dein Freund. Ich gab dir Geschenke; ich führte den Makredsch, dessen Festnehmung dir Ehre und Beförderung in Aussicht stellt, in deine Hände; ich gab dir Arzenei, um deine Seele zu erfreuen und das alles dankst du dadurch, daß du mich in das Gefängnis stecken willst. Geh! Ich werde irre an dir! Und was ebenso schlimm ist: du wirfst dein Miß- trauen sogar auf den Agha der Arnauten, dessen Treue du kennst, und der für dich kämpfen würde, selbst wenn er dabei das Leben verlieren müßte!"
Da richtete sich Selim Agha um einige Zoll höher auf.
"Ja, das ist wahr!" beteuerte er, indem er an seinen Säbel schlug und die Augen rollen ließ. "Mein Leben gehört dir, Herr. Ich gebe es für dich hin!"
Das war zu viel der Beweise. Der Kommandant reichte mir die Hand und bat:
"Verzeihe, Emir! Du bist gerechtfertigt, und ich werde in deiner Wohnung nicht nachsuchen lassen!"
"Du wirst suchen lassen. Ich verlange es nun selbst!"
"Es ist ja unnötig geworden!"
"Ich bestehe aber auf meinem Verlangen."
Der Mutesselim erhob sich und ging hinaus.
"Effendi, ich danke dir, daß du mich von seinem Ver- dachte gereinigt hast!" sagte nun der Agha.
„Emir, das trifft ja wunderbar!“ antwortete er.
„Nein, das trifft nicht wunderbar, ſondern das iſt ſo einfach und natürlich, daß ich über die Kleinheit deiner Gedanken erſchrecke! Ich werde ganz beſorgt um dich! Du hatteſt den Schlüſſel, und niemand konnte heraus das mußteſt du wiſſen. Ich bin mit dem Agha nach Hauſe gegangen, und zwar durch die Gaſſe, in welcher jener Mann wohnt; das wußteſt du auch. Und auf eine Erzählung hin, die nur geeignet wäre, mich zu recht- fertigen, willſt du mich verurteilen? Ich war dein Freund. Ich gab dir Geſchenke; ich führte den Makredſch, deſſen Feſtnehmung dir Ehre und Beförderung in Ausſicht ſtellt, in deine Hände; ich gab dir Arzenei, um deine Seele zu erfreuen und das alles dankſt du dadurch, daß du mich in das Gefängnis ſtecken willſt. Geh! Ich werde irre an dir! Und was ebenſo ſchlimm iſt: du wirfſt dein Miß- trauen ſogar auf den Agha der Arnauten, deſſen Treue du kennſt, und der für dich kämpfen würde, ſelbſt wenn er dabei das Leben verlieren müßte!“
Da richtete ſich Selim Agha um einige Zoll höher auf.
„Ja, das iſt wahr!“ beteuerte er, indem er an ſeinen Säbel ſchlug und die Augen rollen ließ. „Mein Leben gehört dir, Herr. Ich gebe es für dich hin!“
Das war zu viel der Beweiſe. Der Kommandant reichte mir die Hand und bat:
„Verzeihe, Emir! Du biſt gerechtfertigt, und ich werde in deiner Wohnung nicht nachſuchen laſſen!“
„Du wirſt ſuchen laſſen. Ich verlange es nun ſelbſt!“
„Es iſt ja unnötig geworden!“
„Ich beſtehe aber auf meinem Verlangen.“
Der Muteſſelim erhob ſich und ging hinaus.
„Effendi, ich danke dir, daß du mich von ſeinem Ver- dachte gereinigt haſt!“ ſagte nun der Agha.
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„Emir, das trifft ja wunderbar!“ antwortete er.
„Nein, das trifft nicht wunderbar, ſondern das iſt
ſo einfach und natürlich, daß ich über die Kleinheit deiner
Gedanken erſchrecke! Ich werde ganz beſorgt um dich!
Du hatteſt den Schlüſſel, und niemand konnte heraus
das mußteſt du wiſſen. Ich bin mit dem Agha nach
Hauſe gegangen, und zwar durch die Gaſſe, in welcher
jener Mann wohnt; das wußteſt du auch. Und auf eine
Erzählung hin, die nur geeignet wäre, mich zu recht-
fertigen, willſt du mich verurteilen? Ich war dein Freund.
Ich gab dir Geſchenke; ich führte den Makredſch, deſſen
Feſtnehmung dir Ehre und Beförderung in Ausſicht ſtellt,
in deine Hände; ich gab dir Arzenei, um deine Seele zu
erfreuen und das alles dankſt du dadurch, daß du mich
in das Gefängnis ſtecken willſt. Geh! Ich werde irre an
dir! Und was ebenſo ſchlimm iſt: du wirfſt dein Miß-
trauen ſogar auf den Agha der Arnauten, deſſen Treue
du kennſt, und der für dich kämpfen würde, ſelbſt wenn
er dabei das Leben verlieren müßte!“
Da richtete ſich Selim Agha um einige Zoll höher auf.
„Ja, das iſt wahr!“ beteuerte er, indem er an ſeinen
Säbel ſchlug und die Augen rollen ließ. „Mein Leben
gehört dir, Herr. Ich gebe es für dich hin!“
Das war zu viel der Beweiſe. Der Kommandant
reichte mir die Hand und bat:
„Verzeihe, Emir! Du biſt gerechtfertigt, und ich werde
in deiner Wohnung nicht nachſuchen laſſen!“
„Du wirſt ſuchen laſſen. Ich verlange es nun ſelbſt!“
„Es iſt ja unnötig geworden!“
„Ich beſtehe aber auf meinem Verlangen.“
Der Muteſſelim erhob ſich und ging hinaus.
„Effendi, ich danke dir, daß du mich von ſeinem Ver-
dachte gereinigt haſt!“ ſagte nun der Agha.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/366>, abgerufen am 25.11.2024.
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