"In einer Stunde kann sehr viel gethan und ge- sprochen werden. Bist du bis dahin noch nicht zurück, so werden wir kommen und dich holen!"
Er ging. Der Kommandant machte ein sehr zweifel- haftes Gesicht. Das mannhafte Wesen meines kleinen Halef hatte ihm imponiert.
In dem Vorzimmer seines Selamlüks befanden sich mehrere Beamte und Diener. Er winkte einem der ersteren, welcher mit uns eintrat. Wir setzten uns, aber eine Pfeife erhielt ich nicht.
"Das ist der Mann!" meinte der Mutesselim, indem er auf den Beamten zeigte.
"Was für ein Mann?"
"Der dich gesehen hat."
"Wo?"
"Auf der Gasse, welche zum Gefängnisse führt. Ibrahim, erzähle es!"
Der Beamte sah, daß ich mich auf freiem Fuße be- fand; er warf einen unsichern Blick auf mich und berichtete:
"Ich kam vom Palaste, Herr. Es war sehr spät, als ich meine Thüre öffnete. Eben wollte ich sie wieder schließen, da hörte ich Schritte, die sehr eilig herbeikamen. Es waren zwei Männer, die sehr schnell gingen; der eine zog den andern mit sich fort, und dieser andere hatte keinen Atem. An der Ecke verschwanden sie und gleich darauf hörte ich einen Raben schreien."
"Hast du die beiden Männer erkannt?"
"Nur diesen Effendi. Es war zwar finster, aber ich erkannte ihn an seiner Gestalt."
"Wie war die Gestalt des andern?"
"Kleiner."
"Haben sie dich gesehen?"
„Ich weiß es noch nicht.“
„In einer Stunde kann ſehr viel gethan und ge- ſprochen werden. Biſt du bis dahin noch nicht zurück, ſo werden wir kommen und dich holen!“
Er ging. Der Kommandant machte ein ſehr zweifel- haftes Geſicht. Das mannhafte Weſen meines kleinen Halef hatte ihm imponiert.
In dem Vorzimmer ſeines Selamlüks befanden ſich mehrere Beamte und Diener. Er winkte einem der erſteren, welcher mit uns eintrat. Wir ſetzten uns, aber eine Pfeife erhielt ich nicht.
„Das iſt der Mann!“ meinte der Muteſſelim, indem er auf den Beamten zeigte.
„Was für ein Mann?“
„Der dich geſehen hat.“
„Wo?“
„Auf der Gaſſe, welche zum Gefängniſſe führt. Ibrahim, erzähle es!“
Der Beamte ſah, daß ich mich auf freiem Fuße be- fand; er warf einen unſichern Blick auf mich und berichtete:
„Ich kam vom Palaſte, Herr. Es war ſehr ſpät, als ich meine Thüre öffnete. Eben wollte ich ſie wieder ſchließen, da hörte ich Schritte, die ſehr eilig herbeikamen. Es waren zwei Männer, die ſehr ſchnell gingen; der eine zog den andern mit ſich fort, und dieſer andere hatte keinen Atem. An der Ecke verſchwanden ſie und gleich darauf hörte ich einen Raben ſchreien.“
„Haſt du die beiden Männer erkannt?“
„Nur dieſen Effendi. Es war zwar finſter, aber ich erkannte ihn an ſeiner Geſtalt.“
„Wie war die Geſtalt des andern?“
„Kleiner.“
„Haben ſie dich geſehen?“
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„Ich weiß es noch nicht.“
„In einer Stunde kann ſehr viel gethan und ge-
ſprochen werden. Biſt du bis dahin noch nicht zurück, ſo
werden wir kommen und dich holen!“
Er ging. Der Kommandant machte ein ſehr zweifel-
haftes Geſicht. Das mannhafte Weſen meines kleinen
Halef hatte ihm imponiert.
In dem Vorzimmer ſeines Selamlüks befanden ſich
mehrere Beamte und Diener. Er winkte einem der erſteren,
welcher mit uns eintrat. Wir ſetzten uns, aber eine Pfeife
erhielt ich nicht.
„Das iſt der Mann!“ meinte der Muteſſelim, indem
er auf den Beamten zeigte.
„Was für ein Mann?“
„Der dich geſehen hat.“
„Wo?“
„Auf der Gaſſe, welche zum Gefängniſſe führt.
Ibrahim, erzähle es!“
Der Beamte ſah, daß ich mich auf freiem Fuße be-
fand; er warf einen unſichern Blick auf mich und berichtete:
„Ich kam vom Palaſte, Herr. Es war ſehr ſpät,
als ich meine Thüre öffnete. Eben wollte ich ſie wieder
ſchließen, da hörte ich Schritte, die ſehr eilig herbeikamen.
Es waren zwei Männer, die ſehr ſchnell gingen; der eine
zog den andern mit ſich fort, und dieſer andere hatte
keinen Atem. An der Ecke verſchwanden ſie und gleich
darauf hörte ich einen Raben ſchreien.“
„Haſt du die beiden Männer erkannt?“
„Nur dieſen Effendi. Es war zwar finſter, aber ich
erkannte ihn an ſeiner Geſtalt.“
„Wie war die Geſtalt des andern?“
„Kleiner.“
„Haben ſie dich geſehen?“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/364>, abgerufen am 25.11.2024.
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