Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

es verlassen hatten, machte die Thüre zu und sprang die
dunkle, mir aber nun bekannte Treppe hinauf, um mir
von den Arnauten eine Lampe geben zu lassen. In
einigen Sekunden befand ich mich wieder unten und kehrte
in die Wächterzelle zurück.

"Du warst lange fort, Effendi!" bemerkte der Mutesselim.

"Die Wächter wollten wissen, warum sie eingeschlossen
sind."

"Hättest du ihnen eine Ohrfeige statt einer Antwort
gegeben! Warum hast du uns eingeschlossen?"

"Herr, es war ja ein Gefangener bei euch!"

"Du bist vorsichtig, Emir; du hast recht gethan.
Setze die Lampe her und laß uns beginnen!"

Es verstand sich ganz von selbst, daß der Komman-
dant nicht beabsichtigte, den Gefangenen gegen das Geld
desselben freizugeben. Er wollte das Geld nur durch eine
List an sich bringen, weil er den Widerstand des Makredsch
fürchtete. Aber diese List war eine Hinterlist, eine Treu-
losigkeit und zugleich jedenfalls eine große Unvorsichtig-
keit. Sie beide befanden sich in einem angetrunkenen Zu-
stande; der Makredsch konnte sie überwältigen, ihnen den
Schlüssel abnehmen und entfliehen, ohne daß es den ein-
geriegelten Arnauten möglich gewesen wäre, ihnen beizu-
stehen.

"Nun sage, wie viel Geld du bei dir hast!" begann
der Kommandant.

"Sage mir lieber, wie viel ihr von mir verlangt!"

"Ich kann erst dann eine Summe sagen, wenn ich
weiß, ob du sie auch bezahlen kannst."

"Versuche es einmal!"

"Giebst du dreitausend Piaster?"

"Das ist mir zu viel," meinte der Makredsch zurück-
haltend.

es verlaſſen hatten, machte die Thüre zu und ſprang die
dunkle, mir aber nun bekannte Treppe hinauf, um mir
von den Arnauten eine Lampe geben zu laſſen. In
einigen Sekunden befand ich mich wieder unten und kehrte
in die Wächterzelle zurück.

„Du warſt lange fort, Effendi!“ bemerkte der Muteſſelim.

„Die Wächter wollten wiſſen, warum ſie eingeſchloſſen
ſind.“

„Hätteſt du ihnen eine Ohrfeige ſtatt einer Antwort
gegeben! Warum haſt du uns eingeſchloſſen?“

„Herr, es war ja ein Gefangener bei euch!“

„Du biſt vorſichtig, Emir; du haſt recht gethan.
Setze die Lampe her und laß uns beginnen!“

Es verſtand ſich ganz von ſelbſt, daß der Komman-
dant nicht beabſichtigte, den Gefangenen gegen das Geld
desſelben freizugeben. Er wollte das Geld nur durch eine
Liſt an ſich bringen, weil er den Widerſtand des Makredſch
fürchtete. Aber dieſe Liſt war eine Hinterliſt, eine Treu-
loſigkeit und zugleich jedenfalls eine große Unvorſichtig-
keit. Sie beide befanden ſich in einem angetrunkenen Zu-
ſtande; der Makredſch konnte ſie überwältigen, ihnen den
Schlüſſel abnehmen und entfliehen, ohne daß es den ein-
geriegelten Arnauten möglich geweſen wäre, ihnen beizu-
ſtehen.

„Nun ſage, wie viel Geld du bei dir haſt!“ begann
der Kommandant.

„Sage mir lieber, wie viel ihr von mir verlangt!“

„Ich kann erſt dann eine Summe ſagen, wenn ich
weiß, ob du ſie auch bezahlen kannſt.“

„Verſuche es einmal!“

„Giebſt du dreitauſend Piaſter?“

„Das iſt mir zu viel,“ meinte der Makredſch zurück-
haltend.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0327" n="313"/>
es verla&#x017F;&#x017F;en hatten, machte die Thüre zu und &#x017F;prang die<lb/>
dunkle, mir aber nun bekannte Treppe hinauf, um mir<lb/>
von den Arnauten eine Lampe geben zu la&#x017F;&#x017F;en. In<lb/>
einigen Sekunden befand ich mich wieder unten und kehrte<lb/>
in die Wächterzelle zurück.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du war&#x017F;t lange fort, Effendi!&#x201C; bemerkte der Mute&#x017F;&#x017F;elim.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Wächter wollten wi&#x017F;&#x017F;en, warum &#x017F;ie einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hätte&#x017F;t du ihnen eine Ohrfeige &#x017F;tatt einer Antwort<lb/>
gegeben! Warum ha&#x017F;t du uns einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr, es war ja ein Gefangener bei euch!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t vor&#x017F;ichtig, Emir; du ha&#x017F;t recht gethan.<lb/>
Setze die Lampe her und laß uns beginnen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Es ver&#x017F;tand &#x017F;ich ganz von &#x017F;elb&#x017F;t, daß der Komman-<lb/>
dant nicht beab&#x017F;ichtigte, den Gefangenen gegen das Geld<lb/>
des&#x017F;elben freizugeben. Er wollte das Geld nur durch eine<lb/>
Li&#x017F;t an &#x017F;ich bringen, weil er den Wider&#x017F;tand des Makred&#x017F;ch<lb/>
fürchtete. Aber die&#x017F;e Li&#x017F;t war eine Hinterli&#x017F;t, eine Treu-<lb/>
lo&#x017F;igkeit und zugleich jedenfalls eine große Unvor&#x017F;ichtig-<lb/>
keit. Sie beide befanden &#x017F;ich in einem angetrunkenen Zu-<lb/>
&#x017F;tande; der Makred&#x017F;ch konnte &#x017F;ie überwältigen, ihnen den<lb/>
Schlü&#x017F;&#x017F;el abnehmen und entfliehen, ohne daß es den ein-<lb/>
geriegelten Arnauten möglich gewe&#x017F;en wäre, ihnen beizu-<lb/>
&#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun &#x017F;age, wie viel Geld du bei dir ha&#x017F;t!&#x201C; begann<lb/>
der Kommandant.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sage mir lieber, wie viel ihr von mir verlangt!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich kann er&#x017F;t dann eine Summe &#x017F;agen, wenn ich<lb/>
weiß, ob du &#x017F;ie auch bezahlen kann&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ver&#x017F;uche es einmal!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gieb&#x017F;t du dreitau&#x017F;end Pia&#x017F;ter?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t mir zu viel,&#x201C; meinte der Makred&#x017F;ch zurück-<lb/>
haltend.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0327] es verlaſſen hatten, machte die Thüre zu und ſprang die dunkle, mir aber nun bekannte Treppe hinauf, um mir von den Arnauten eine Lampe geben zu laſſen. In einigen Sekunden befand ich mich wieder unten und kehrte in die Wächterzelle zurück. „Du warſt lange fort, Effendi!“ bemerkte der Muteſſelim. „Die Wächter wollten wiſſen, warum ſie eingeſchloſſen ſind.“ „Hätteſt du ihnen eine Ohrfeige ſtatt einer Antwort gegeben! Warum haſt du uns eingeſchloſſen?“ „Herr, es war ja ein Gefangener bei euch!“ „Du biſt vorſichtig, Emir; du haſt recht gethan. Setze die Lampe her und laß uns beginnen!“ Es verſtand ſich ganz von ſelbſt, daß der Komman- dant nicht beabſichtigte, den Gefangenen gegen das Geld desſelben freizugeben. Er wollte das Geld nur durch eine Liſt an ſich bringen, weil er den Widerſtand des Makredſch fürchtete. Aber dieſe Liſt war eine Hinterliſt, eine Treu- loſigkeit und zugleich jedenfalls eine große Unvorſichtig- keit. Sie beide befanden ſich in einem angetrunkenen Zu- ſtande; der Makredſch konnte ſie überwältigen, ihnen den Schlüſſel abnehmen und entfliehen, ohne daß es den ein- geriegelten Arnauten möglich geweſen wäre, ihnen beizu- ſtehen. „Nun ſage, wie viel Geld du bei dir haſt!“ begann der Kommandant. „Sage mir lieber, wie viel ihr von mir verlangt!“ „Ich kann erſt dann eine Summe ſagen, wenn ich weiß, ob du ſie auch bezahlen kannſt.“ „Verſuche es einmal!“ „Giebſt du dreitauſend Piaſter?“ „Das iſt mir zu viel,“ meinte der Makredſch zurück- haltend.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/327
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/327>, abgerufen am 17.05.2024.