Magen umgedreht; du willst immer mit dem Kopfe nach unten. Erlaubst du, daß wir gehen?"
"Wenn es dein Wille ist, den Gefangenen zu be- suchen, so darf ich dich in der Erfüllung deiner Pflicht nicht hindern."
"So gehen wir. Wir danken dir für das Gute, das du uns heute schmecken ließest. Wirst du bald wieder Medizin bereiten?"
"Sobald du es wünschest."
"Die heiße ist noch besser als die kalte, aber sie geht dem Menschen durch Mark und Bein und schiebt ihm die Knochen ineinander. Allah behüte dich und gebe dir eine gute Ruhe!"
Er ging auf den Agha zu und nahm ihn beim Arme.
Sie gingen ab und ich folgte ihnen. An der Treppe blieben sie stehen.
"Selim Agha, steige du zuerst hinunter!"
"Herr, diese Ehre gebührt ja dir!"
"Ich bin nicht stolz; das weißt du ja."
Der Agha setzte, während er sich mit den Händen an- hielt, einen Fuß um den andern sehr vorsichtig auf die Stufen. Der Mutesselim folgte ihm. Es wollte nicht recht sicher bei ihm gehen, zumal ihm die Treppe unbekannt war.
"Effendi, bist du noch da?" fragte er.
"Ja."
"Weißt du, daß es Sitte ist, seine Gäste bis vor die Thüre zu begleiten?"
"Ich weiß es."
"Aber du begleitest mich ja nicht!"
"So erlaube, daß ich es thue!"
Ich nahm ihn beim Arme und stützte ihn. Nun ging es besser. Unten vor der Thüre blieb er stehen, um tief Atem zu holen.
Magen umgedreht; du willſt immer mit dem Kopfe nach unten. Erlaubſt du, daß wir gehen?“
„Wenn es dein Wille iſt, den Gefangenen zu be- ſuchen, ſo darf ich dich in der Erfüllung deiner Pflicht nicht hindern.“
„So gehen wir. Wir danken dir für das Gute, das du uns heute ſchmecken ließeſt. Wirſt du bald wieder Medizin bereiten?“
„Sobald du es wünſcheſt.“
„Die heiße iſt noch beſſer als die kalte, aber ſie geht dem Menſchen durch Mark und Bein und ſchiebt ihm die Knochen ineinander. Allah behüte dich und gebe dir eine gute Ruhe!“
Er ging auf den Agha zu und nahm ihn beim Arme.
Sie gingen ab und ich folgte ihnen. An der Treppe blieben ſie ſtehen.
„Selim Agha, ſteige du zuerſt hinunter!“
„Herr, dieſe Ehre gebührt ja dir!“
„Ich bin nicht ſtolz; das weißt du ja.“
Der Agha ſetzte, während er ſich mit den Händen an- hielt, einen Fuß um den andern ſehr vorſichtig auf die Stufen. Der Muteſſelim folgte ihm. Es wollte nicht recht ſicher bei ihm gehen, zumal ihm die Treppe unbekannt war.
„Effendi, biſt du noch da?“ fragte er.
„Ja.“
„Weißt du, daß es Sitte iſt, ſeine Gäſte bis vor die Thüre zu begleiten?“
„Ich weiß es.“
„Aber du begleiteſt mich ja nicht!“
„So erlaube, daß ich es thue!“
Ich nahm ihn beim Arme und ſtützte ihn. Nun ging es beſſer. Unten vor der Thüre blieb er ſtehen, um tief Atem zu holen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0320"n="306"/>
Magen umgedreht; du willſt immer mit dem Kopfe nach<lb/>
unten. Erlaubſt du, daß wir gehen?“</p><lb/><p>„Wenn es dein Wille iſt, den Gefangenen zu be-<lb/>ſuchen, ſo darf ich dich in der Erfüllung deiner Pflicht<lb/>
nicht hindern.“</p><lb/><p>„So gehen wir. Wir danken dir für das Gute, das<lb/>
du uns heute ſchmecken ließeſt. Wirſt du bald wieder<lb/>
Medizin bereiten?“</p><lb/><p>„Sobald du es wünſcheſt.“</p><lb/><p>„Die heiße iſt noch beſſer als die kalte, aber ſie geht<lb/>
dem Menſchen durch Mark und Bein und ſchiebt ihm<lb/>
die Knochen ineinander. Allah behüte dich und gebe dir<lb/>
eine gute Ruhe!“</p><lb/><p>Er ging auf den Agha zu und nahm ihn beim Arme.</p><lb/><p>Sie gingen ab und ich folgte ihnen. An der Treppe<lb/>
blieben ſie ſtehen.</p><lb/><p>„Selim Agha, ſteige du zuerſt hinunter!“</p><lb/><p>„Herr, dieſe Ehre gebührt ja dir!“</p><lb/><p>„Ich bin nicht ſtolz; das weißt du ja.“</p><lb/><p>Der Agha ſetzte, während er ſich mit den Händen an-<lb/>
hielt, einen Fuß um den andern ſehr vorſichtig auf die<lb/>
Stufen. Der Muteſſelim folgte ihm. Es wollte nicht recht<lb/>ſicher bei ihm gehen, zumal ihm die Treppe unbekannt war.</p><lb/><p>„Effendi, biſt du noch da?“ fragte er.</p><lb/><p>„Ja.“</p><lb/><p>„Weißt du, daß es Sitte iſt, ſeine Gäſte bis vor die<lb/>
Thüre zu begleiten?“</p><lb/><p>„Ich weiß es.“</p><lb/><p>„Aber du begleiteſt mich ja nicht!“</p><lb/><p>„So erlaube, daß ich es thue!“</p><lb/><p>Ich nahm ihn beim Arme und ſtützte ihn. Nun ging<lb/>
es beſſer. Unten vor der Thüre blieb er ſtehen, um tief<lb/>
Atem zu holen.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[306/0320]
Magen umgedreht; du willſt immer mit dem Kopfe nach
unten. Erlaubſt du, daß wir gehen?“
„Wenn es dein Wille iſt, den Gefangenen zu be-
ſuchen, ſo darf ich dich in der Erfüllung deiner Pflicht
nicht hindern.“
„So gehen wir. Wir danken dir für das Gute, das
du uns heute ſchmecken ließeſt. Wirſt du bald wieder
Medizin bereiten?“
„Sobald du es wünſcheſt.“
„Die heiße iſt noch beſſer als die kalte, aber ſie geht
dem Menſchen durch Mark und Bein und ſchiebt ihm
die Knochen ineinander. Allah behüte dich und gebe dir
eine gute Ruhe!“
Er ging auf den Agha zu und nahm ihn beim Arme.
Sie gingen ab und ich folgte ihnen. An der Treppe
blieben ſie ſtehen.
„Selim Agha, ſteige du zuerſt hinunter!“
„Herr, dieſe Ehre gebührt ja dir!“
„Ich bin nicht ſtolz; das weißt du ja.“
Der Agha ſetzte, während er ſich mit den Händen an-
hielt, einen Fuß um den andern ſehr vorſichtig auf die
Stufen. Der Muteſſelim folgte ihm. Es wollte nicht recht
ſicher bei ihm gehen, zumal ihm die Treppe unbekannt war.
„Effendi, biſt du noch da?“ fragte er.
„Ja.“
„Weißt du, daß es Sitte iſt, ſeine Gäſte bis vor die
Thüre zu begleiten?“
„Ich weiß es.“
„Aber du begleiteſt mich ja nicht!“
„So erlaube, daß ich es thue!“
Ich nahm ihn beim Arme und ſtützte ihn. Nun ging
es beſſer. Unten vor der Thüre blieb er ſtehen, um tief
Atem zu holen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/320>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.