"O Effendi, deine Gegenwart ist mir lieber als alles!"
"Und dein Auge ist mir wie das Auge des besten Freundes, aber deine Zeit ist kostbar; ich darf sie dir nicht rauben."
"Aber morgen früh kommst du?"
"Vielleicht."
"Du sollst bei dem Abgange des Transportes zu- gegen sein, um zu sehen, daß meine Sorge an alles denkt!"
"So werde ich kommen. Sallam!"
"Sallam! Allah sei dein Führer!"
Als ich nach Hause kam, tönte mir ein heller Ruf entgegen:
"Hamdulillah, Effendi, du lebst und bist frei!"
Es war die ,Myrte'. Sie nahm mich bei den Händen und atmete tief auf:
"Du bist ein großer Held. Deine Diener und der fremde Bote haben es gesagt. Wenn sie dich gefangen genommen hätten, so hättest du den ganzen Palast er- schlagen, und vielleicht gar Selim Agha auch."
"Ihn nicht, aber die andern alle; darauf kannst du dich verlassen!" antwortete ich belustigt.
"Ja. Du bist wie Kelad der Starke. Dein Bart steht rechts und links wie der Bart eines Panthers, und deine Arme sind wie die Beine eines Elefanten!"
Das war natürlich bildlich gemeint. Oh Myrte, welch ein Attentat auf den dunkelblonden Schmuck meines Gesichtes und auf die liebliche Symmetrie meiner unent- behrlichsten Gliedmaßen! Ich mußte ebenso höflich sein:
"Dein Mund spricht wie der Vers eines Dichters, Mersinah, und deine Lippen strömen über wie ein Topf voll süßen Honigs; deine Rede thut wohl, wie das Pflaster auf eine Beule, und deiner Stimme Klang kann
„So darf ich dich nicht länger ſtören.“
„O Effendi, deine Gegenwart iſt mir lieber als alles!“
„Und dein Auge iſt mir wie das Auge des beſten Freundes, aber deine Zeit iſt koſtbar; ich darf ſie dir nicht rauben.“
„Aber morgen früh kommſt du?“
„Vielleicht.“
„Du ſollſt bei dem Abgange des Transportes zu- gegen ſein, um zu ſehen, daß meine Sorge an alles denkt!“
„So werde ich kommen. Sallam!“
„Sallam! Allah ſei dein Führer!“
Als ich nach Hauſe kam, tönte mir ein heller Ruf entgegen:
„Hamdulillah, Effendi, du lebſt und biſt frei!“
Es war die ‚Myrte‘. Sie nahm mich bei den Händen und atmete tief auf:
„Du biſt ein großer Held. Deine Diener und der fremde Bote haben es geſagt. Wenn ſie dich gefangen genommen hätten, ſo hätteſt du den ganzen Palaſt er- ſchlagen, und vielleicht gar Selim Agha auch.“
„Ihn nicht, aber die andern alle; darauf kannſt du dich verlaſſen!“ antwortete ich beluſtigt.
„Ja. Du biſt wie Kelad der Starke. Dein Bart ſteht rechts und links wie der Bart eines Panthers, und deine Arme ſind wie die Beine eines Elefanten!“
Das war natürlich bildlich gemeint. Oh Myrte, welch ein Attentat auf den dunkelblonden Schmuck meines Geſichtes und auf die liebliche Symmetrie meiner unent- behrlichſten Gliedmaßen! Ich mußte ebenſo höflich ſein:
„Dein Mund ſpricht wie der Vers eines Dichters, Merſinah, und deine Lippen ſtrömen über wie ein Topf voll ſüßen Honigs; deine Rede thut wohl, wie das Pflaſter auf eine Beule, und deiner Stimme Klang kann
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„So darf ich dich nicht länger ſtören.“
„O Effendi, deine Gegenwart iſt mir lieber als alles!“
„Und dein Auge iſt mir wie das Auge des beſten
Freundes, aber deine Zeit iſt koſtbar; ich darf ſie dir
nicht rauben.“
„Aber morgen früh kommſt du?“
„Vielleicht.“
„Du ſollſt bei dem Abgange des Transportes zu-
gegen ſein, um zu ſehen, daß meine Sorge an alles denkt!“
„So werde ich kommen. Sallam!“
„Sallam! Allah ſei dein Führer!“
Als ich nach Hauſe kam, tönte mir ein heller Ruf
entgegen:
„Hamdulillah, Effendi, du lebſt und biſt frei!“
Es war die ‚Myrte‘. Sie nahm mich bei den
Händen und atmete tief auf:
„Du biſt ein großer Held. Deine Diener und der
fremde Bote haben es geſagt. Wenn ſie dich gefangen
genommen hätten, ſo hätteſt du den ganzen Palaſt er-
ſchlagen, und vielleicht gar Selim Agha auch.“
„Ihn nicht, aber die andern alle; darauf kannſt du
dich verlaſſen!“ antwortete ich beluſtigt.
„Ja. Du biſt wie Kelad der Starke. Dein Bart
ſteht rechts und links wie der Bart eines Panthers, und
deine Arme ſind wie die Beine eines Elefanten!“
Das war natürlich bildlich gemeint. Oh Myrte,
welch ein Attentat auf den dunkelblonden Schmuck meines
Geſichtes und auf die liebliche Symmetrie meiner unent-
behrlichſten Gliedmaßen! Ich mußte ebenſo höflich ſein:
„Dein Mund ſpricht wie der Vers eines Dichters,
Merſinah, und deine Lippen ſtrömen über wie ein Topf
voll ſüßen Honigs; deine Rede thut wohl, wie das
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/304>, abgerufen am 23.11.2024.
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