Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

der Knall gekommen war, und hörte bald einen zweiten
Schuß ganz in meiner Nähe. Der Engländer stand bei
einem Gestrüpp, aus welchem vier riesige Eichen empor-
ragten. Er war barfuß und hatte sein Obergewand ab-
gelegt. Auch der rotkarrierte Riesenturban lag am Boden.

"Habe zweimal geschossen. Konntet mich fehlen, weil
der Schall im Wald täuscht. Versteck gefunden?"

"Nein."

"Habe eins."

"Wo?"

"Ratet! Werdet nicht erraten!"

"Wollen sehen!"

Er war barfuß und halb entkleidet; er hatte also
eine Kletterpartie gemacht, und das Versteck mußte also
auf einer der Eichen zu suchen sein. Aber diese waren
so stark, daß man sie unmöglich erklettern konnte. Doch
neben der einen ragte der schlanke Stamm einer Pinie
in die Höhe und verschlang ihre doldenartige Krone mit
den breitgreifenden Zweigen der Eiche. Ziemlich hoch
oben lehnte sich der Stamm an einen starken Eichenast,
so daß von der Pinie aus dieser leicht zu erreichen war,
und oberhalb der Stelle, an welcher er am Stamme saß,
sah ich ein Loch in der Eiche.

"Ich habe es, Sir!" meinte ich.

"Wo?"

"Dort oben. Der Stamm ist hohl."

"Well; gefunden! War bereits oben."

"Ihr klettert wohl gut?"

"Wie Eichhörnchen! Yes!"

"Aber jedenfalls ist der ganze Baum hohl!"

"Sehr!"

"Und wer da oben hineinkriecht, der fällt herab und
kann nicht heraus."

der Knall gekommen war, und hörte bald einen zweiten
Schuß ganz in meiner Nähe. Der Engländer ſtand bei
einem Geſtrüpp, aus welchem vier rieſige Eichen empor-
ragten. Er war barfuß und hatte ſein Obergewand ab-
gelegt. Auch der rotkarrierte Rieſenturban lag am Boden.

„Habe zweimal geſchoſſen. Konntet mich fehlen, weil
der Schall im Wald täuſcht. Verſteck gefunden?“

„Nein.“

„Habe eins.“

„Wo?“

„Ratet! Werdet nicht erraten!“

„Wollen ſehen!“

Er war barfuß und halb entkleidet; er hatte alſo
eine Kletterpartie gemacht, und das Verſteck mußte alſo
auf einer der Eichen zu ſuchen ſein. Aber dieſe waren
ſo ſtark, daß man ſie unmöglich erklettern konnte. Doch
neben der einen ragte der ſchlanke Stamm einer Pinie
in die Höhe und verſchlang ihre doldenartige Krone mit
den breitgreifenden Zweigen der Eiche. Ziemlich hoch
oben lehnte ſich der Stamm an einen ſtarken Eichenaſt,
ſo daß von der Pinie aus dieſer leicht zu erreichen war,
und oberhalb der Stelle, an welcher er am Stamme ſaß,
ſah ich ein Loch in der Eiche.

„Ich habe es, Sir!“ meinte ich.

„Wo?“

„Dort oben. Der Stamm iſt hohl.“

Well; gefunden! War bereits oben.“

„Ihr klettert wohl gut?“

„Wie Eichhörnchen! Yes!

„Aber jedenfalls iſt der ganze Baum hohl!“

„Sehr!“

„Und wer da oben hineinkriecht, der fällt herab und
kann nicht heraus.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0280" n="266"/>
der Knall gekommen war, und hörte bald einen zweiten<lb/>
Schuß ganz in meiner Nähe. Der Engländer &#x017F;tand bei<lb/>
einem Ge&#x017F;trüpp, aus welchem vier rie&#x017F;ige Eichen empor-<lb/>
ragten. Er war barfuß und hatte &#x017F;ein Obergewand ab-<lb/>
gelegt. Auch der rotkarrierte Rie&#x017F;enturban lag am Boden.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Habe zweimal ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en. Konntet mich fehlen, weil<lb/>
der Schall im Wald täu&#x017F;cht. Ver&#x017F;teck gefunden?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Habe eins.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ratet! Werdet nicht erraten!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wollen &#x017F;ehen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er war barfuß und halb entkleidet; er hatte al&#x017F;o<lb/>
eine Kletterpartie gemacht, und das Ver&#x017F;teck mußte al&#x017F;o<lb/>
auf einer der Eichen zu &#x017F;uchen &#x017F;ein. Aber die&#x017F;e waren<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tark, daß man &#x017F;ie unmöglich erklettern konnte. Doch<lb/>
neben der einen ragte der &#x017F;chlanke Stamm einer Pinie<lb/>
in die Höhe und ver&#x017F;chlang ihre doldenartige Krone mit<lb/>
den breitgreifenden Zweigen der Eiche. Ziemlich hoch<lb/>
oben lehnte &#x017F;ich der Stamm an einen &#x017F;tarken Eichena&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o daß von der Pinie aus die&#x017F;er leicht zu erreichen war,<lb/>
und oberhalb der Stelle, an welcher er am Stamme &#x017F;aß,<lb/>
&#x017F;ah ich ein Loch in der Eiche.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe es, Sir!&#x201C; meinte ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dort oben. Der Stamm i&#x017F;t hohl.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#aq">Well;</hi> gefunden! War bereits oben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ihr klettert wohl gut?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie Eichhörnchen! <hi rendition="#aq">Yes!</hi>&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber jedenfalls i&#x017F;t der ganze Baum hohl!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sehr!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und wer da oben hineinkriecht, der fällt herab und<lb/>
kann nicht heraus.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0280] der Knall gekommen war, und hörte bald einen zweiten Schuß ganz in meiner Nähe. Der Engländer ſtand bei einem Geſtrüpp, aus welchem vier rieſige Eichen empor- ragten. Er war barfuß und hatte ſein Obergewand ab- gelegt. Auch der rotkarrierte Rieſenturban lag am Boden. „Habe zweimal geſchoſſen. Konntet mich fehlen, weil der Schall im Wald täuſcht. Verſteck gefunden?“ „Nein.“ „Habe eins.“ „Wo?“ „Ratet! Werdet nicht erraten!“ „Wollen ſehen!“ Er war barfuß und halb entkleidet; er hatte alſo eine Kletterpartie gemacht, und das Verſteck mußte alſo auf einer der Eichen zu ſuchen ſein. Aber dieſe waren ſo ſtark, daß man ſie unmöglich erklettern konnte. Doch neben der einen ragte der ſchlanke Stamm einer Pinie in die Höhe und verſchlang ihre doldenartige Krone mit den breitgreifenden Zweigen der Eiche. Ziemlich hoch oben lehnte ſich der Stamm an einen ſtarken Eichenaſt, ſo daß von der Pinie aus dieſer leicht zu erreichen war, und oberhalb der Stelle, an welcher er am Stamme ſaß, ſah ich ein Loch in der Eiche. „Ich habe es, Sir!“ meinte ich. „Wo?“ „Dort oben. Der Stamm iſt hohl.“ „Well; gefunden! War bereits oben.“ „Ihr klettert wohl gut?“ „Wie Eichhörnchen! Yes!“ „Aber jedenfalls iſt der ganze Baum hohl!“ „Sehr!“ „Und wer da oben hineinkriecht, der fällt herab und kann nicht heraus.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/280
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/280>, abgerufen am 17.05.2024.