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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den
Worten:

"Es beginnt die große Feier am Grabe. Es ist noch
nie ein Fremder dabei zugegen gewesen, aber der Mir
Scheik Khan hat mir im Namen aller Priester die Ge-
nehmigung erteilt, euch einzuladen."

Das war nun allerdings eine sehr hohe Ehre für
uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte sie ab:

"Ich danke, dir, Herr; aber es ist dem Moslem
verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zu-
gegen zu sein."

Er war ein Moslem; aber er hätte diese Abweisung
doch in andere Worte kleiden können. Er blieb zurück,
und ich folgte dem Bey.

Als wir aus dem Hause traten, bot sich uns ein selt-
samer, unbeschreiblich schöner Anblick dar. So weit das
Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen,
am Wasser unten und auf jedem Felsen in der Höhe, um
die Häuser herum und auf den Plattformen derselben.
Das regste Leben aber herrschte am Grabmale des Heili-
gen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes
ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den
innern Hof. An diesem Lichte zündeten die Scheiks
und Kawals ihre Lampen an; von diesen liehen wieder
die Fakirs ihre Flammen, und nun traten sie alle heraus
in das Freie, und Tausende strömten herbei, um sich an
den heiligen Feuern zu reinigen.

Wer den Lichtern der Priester nahe zu kommen ver-
mochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derselben
und bestrich dann mit dieser Hand die Stirn und die
Gegend des Herzens. Männer strichen dann zum zweiten-
mal durch die Flamme, um den Segen derselben ihren
Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasselbe für ihre

und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den
Worten:

„Es beginnt die große Feier am Grabe. Es iſt noch
nie ein Fremder dabei zugegen geweſen, aber der Mir
Scheik Khan hat mir im Namen aller Prieſter die Ge-
nehmigung erteilt, euch einzuladen.“

Das war nun allerdings eine ſehr hohe Ehre für
uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte ſie ab:

„Ich danke, dir, Herr; aber es iſt dem Moslem
verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zu-
gegen zu ſein.“

Er war ein Moslem; aber er hätte dieſe Abweiſung
doch in andere Worte kleiden können. Er blieb zurück,
und ich folgte dem Bey.

Als wir aus dem Hauſe traten, bot ſich uns ein ſelt-
ſamer, unbeſchreiblich ſchöner Anblick dar. So weit das
Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen,
am Waſſer unten und auf jedem Felſen in der Höhe, um
die Häuſer herum und auf den Plattformen derſelben.
Das regſte Leben aber herrſchte am Grabmale des Heili-
gen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes
ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den
innern Hof. An dieſem Lichte zündeten die Scheiks
und Kawals ihre Lampen an; von dieſen liehen wieder
die Fakirs ihre Flammen, und nun traten ſie alle heraus
in das Freie, und Tauſende ſtrömten herbei, um ſich an
den heiligen Feuern zu reinigen.

Wer den Lichtern der Prieſter nahe zu kommen ver-
mochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derſelben
und beſtrich dann mit dieſer Hand die Stirn und die
Gegend des Herzens. Männer ſtrichen dann zum zweiten-
mal durch die Flamme, um den Segen derſelben ihren
Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasſelbe für ihre

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[10/0024] und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den Worten: „Es beginnt die große Feier am Grabe. Es iſt noch nie ein Fremder dabei zugegen geweſen, aber der Mir Scheik Khan hat mir im Namen aller Prieſter die Ge- nehmigung erteilt, euch einzuladen.“ Das war nun allerdings eine ſehr hohe Ehre für uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte ſie ab: „Ich danke, dir, Herr; aber es iſt dem Moslem verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zu- gegen zu ſein.“ Er war ein Moslem; aber er hätte dieſe Abweiſung doch in andere Worte kleiden können. Er blieb zurück, und ich folgte dem Bey. Als wir aus dem Hauſe traten, bot ſich uns ein ſelt- ſamer, unbeſchreiblich ſchöner Anblick dar. So weit das Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen, am Waſſer unten und auf jedem Felſen in der Höhe, um die Häuſer herum und auf den Plattformen derſelben. Das regſte Leben aber herrſchte am Grabmale des Heili- gen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den innern Hof. An dieſem Lichte zündeten die Scheiks und Kawals ihre Lampen an; von dieſen liehen wieder die Fakirs ihre Flammen, und nun traten ſie alle heraus in das Freie, und Tauſende ſtrömten herbei, um ſich an den heiligen Feuern zu reinigen. Wer den Lichtern der Prieſter nahe zu kommen ver- mochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derſelben und beſtrich dann mit dieſer Hand die Stirn und die Gegend des Herzens. Männer ſtrichen dann zum zweiten- mal durch die Flamme, um den Segen derſelben ihren Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasſelbe für ihre

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/24>, abgerufen am 19.04.2024.