Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Ein Mutesselim darf seinen Untergebenen nie wissen
lassen, daß er ein krankes System der Nerven und der
Verdauung hat."

"Das ist richtig!"

"Also wirst du diese Arznei so gut einpacken, daß
niemand sieht, daß sie in Flaschen enthalten ist."

"Ich werde dir diesen Wunsch erfüllen."

"Hast du auch kranke Nerven, Emir?"

"Nein. Warum sollte ich welche haben?"

"Weil du dir dieses Mittel kaufen ließest."

"Es war nicht für mich."

"Für wen sonst? Für den stummen Hadschi Linsay-
Bey?"

"Du sagtest vorhin, daß ein Mutesselim nicht wissen
lassen dürfe, daß er ein krankes System habe. Es giebt
auch andere Männer, welche dies nicht wissen lassen dürfen."

"Oder war es für den dritten Mann, der sich gar
nicht sehen läßt? Er muß sehr krank sein, weil er nicht
aus seiner Stube kommt!"

Das klang wie ein Verhör. Er wollte sich nach Mo-
hammed Emin erkundigen.

"Ja, er ist krank," antwortete ich.

"Welche Krankheit hat er?"

"Eine Krankheit des Herzens."

"Kannst du ihn heilen?"

"Ich hoffe es."

"Ich bedaure, daß du ihn wegen seiner Krankheit
nicht mitbringen konntest. Es ist ein Freund von dir?"

"Ein sehr guter Freund."

"Wie lautet sein Name?"

"Er hat mich gebeten, ihn dir heute noch nicht zu
nennen. Du kennst ihn sehr gut, und er will dir eine
Ueberraschung bereiten."

II. 15

„Ein Muteſſelim darf ſeinen Untergebenen nie wiſſen
laſſen, daß er ein krankes Syſtem der Nerven und der
Verdauung hat.“

„Das iſt richtig!“

„Alſo wirſt du dieſe Arznei ſo gut einpacken, daß
niemand ſieht, daß ſie in Flaſchen enthalten iſt.“

„Ich werde dir dieſen Wunſch erfüllen.“

„Haſt du auch kranke Nerven, Emir?“

„Nein. Warum ſollte ich welche haben?“

„Weil du dir dieſes Mittel kaufen ließeſt.“

„Es war nicht für mich.“

„Für wen ſonſt? Für den ſtummen Hadſchi Linſay-
Bey?“

„Du ſagteſt vorhin, daß ein Muteſſelim nicht wiſſen
laſſen dürfe, daß er ein krankes Syſtem habe. Es giebt
auch andere Männer, welche dies nicht wiſſen laſſen dürfen.“

„Oder war es für den dritten Mann, der ſich gar
nicht ſehen läßt? Er muß ſehr krank ſein, weil er nicht
aus ſeiner Stube kommt!“

Das klang wie ein Verhör. Er wollte ſich nach Mo-
hammed Emin erkundigen.

„Ja, er iſt krank,“ antwortete ich.

„Welche Krankheit hat er?“

„Eine Krankheit des Herzens.“

„Kannſt du ihn heilen?“

„Ich hoffe es.“

„Ich bedaure, daß du ihn wegen ſeiner Krankheit
nicht mitbringen konnteſt. Es iſt ein Freund von dir?“

„Ein ſehr guter Freund.“

„Wie lautet ſein Name?“

„Er hat mich gebeten, ihn dir heute noch nicht zu
nennen. Du kennſt ihn ſehr gut, und er will dir eine
Ueberraſchung bereiten.“

II. 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0239" n="225"/>
        <p>&#x201E;Ein Mute&#x017F;&#x017F;elim darf &#x017F;einen Untergebenen nie wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, daß er ein krankes Sy&#x017F;tem der Nerven und der<lb/>
Verdauung hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t richtig!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Al&#x017F;o wir&#x017F;t du die&#x017F;e Arznei &#x017F;o gut einpacken, daß<lb/>
niemand &#x017F;ieht, daß &#x017F;ie in Fla&#x017F;chen enthalten i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich werde dir die&#x017F;en Wun&#x017F;ch erfüllen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ha&#x017F;t du auch kranke Nerven, Emir?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Warum &#x017F;ollte ich welche haben?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weil du dir die&#x017F;es Mittel kaufen ließe&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es war nicht für mich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Für wen &#x017F;on&#x017F;t? Für den &#x017F;tummen Had&#x017F;chi Lin&#x017F;ay-<lb/>
Bey?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du &#x017F;agte&#x017F;t vorhin, daß ein Mute&#x017F;&#x017F;elim nicht wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en dürfe, daß er ein krankes Sy&#x017F;tem habe. Es giebt<lb/>
auch andere Männer, welche dies nicht wi&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en dürfen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Oder war es für den dritten Mann, der &#x017F;ich gar<lb/>
nicht &#x017F;ehen läßt? Er muß &#x017F;ehr krank &#x017F;ein, weil er nicht<lb/>
aus &#x017F;einer Stube kommt!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das klang wie ein Verhör. Er wollte &#x017F;ich nach Mo-<lb/>
hammed Emin erkundigen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, er i&#x017F;t krank,&#x201C; antwortete ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Welche Krankheit hat er?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eine Krankheit des Herzens.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kann&#x017F;t du ihn heilen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich hoffe es.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bedaure, daß du ihn wegen &#x017F;einer Krankheit<lb/>
nicht mitbringen konnte&#x017F;t. Es i&#x017F;t ein Freund von dir?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein &#x017F;ehr guter Freund.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie lautet &#x017F;ein Name?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er hat mich gebeten, ihn dir heute noch nicht zu<lb/>
nennen. Du kenn&#x017F;t ihn &#x017F;ehr gut, und er will dir eine<lb/>
Ueberra&#x017F;chung bereiten.&#x201C;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">II. 15</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0239] „Ein Muteſſelim darf ſeinen Untergebenen nie wiſſen laſſen, daß er ein krankes Syſtem der Nerven und der Verdauung hat.“ „Das iſt richtig!“ „Alſo wirſt du dieſe Arznei ſo gut einpacken, daß niemand ſieht, daß ſie in Flaſchen enthalten iſt.“ „Ich werde dir dieſen Wunſch erfüllen.“ „Haſt du auch kranke Nerven, Emir?“ „Nein. Warum ſollte ich welche haben?“ „Weil du dir dieſes Mittel kaufen ließeſt.“ „Es war nicht für mich.“ „Für wen ſonſt? Für den ſtummen Hadſchi Linſay- Bey?“ „Du ſagteſt vorhin, daß ein Muteſſelim nicht wiſſen laſſen dürfe, daß er ein krankes Syſtem habe. Es giebt auch andere Männer, welche dies nicht wiſſen laſſen dürfen.“ „Oder war es für den dritten Mann, der ſich gar nicht ſehen läßt? Er muß ſehr krank ſein, weil er nicht aus ſeiner Stube kommt!“ Das klang wie ein Verhör. Er wollte ſich nach Mo- hammed Emin erkundigen. „Ja, er iſt krank,“ antwortete ich. „Welche Krankheit hat er?“ „Eine Krankheit des Herzens.“ „Kannſt du ihn heilen?“ „Ich hoffe es.“ „Ich bedaure, daß du ihn wegen ſeiner Krankheit nicht mitbringen konnteſt. Es iſt ein Freund von dir?“ „Ein ſehr guter Freund.“ „Wie lautet ſein Name?“ „Er hat mich gebeten, ihn dir heute noch nicht zu nennen. Du kennſt ihn ſehr gut, und er will dir eine Ueberraſchung bereiten.“ II. 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/239
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/239>, abgerufen am 26.11.2024.