Als ich zu dem Kommandanten kam, waren alle seine Beamten und auch die Offiziere der Besatzung bereits um ihn versammelt. Es gab also große Soiree. Ich erhielt den Ehrenplatz an seiner Seite. Wir befanden uns in einem größeren Zimmer, welches einem kleinen Saale glich; es wäre Raum genug zur freien Bewegung gewesen, aber ein jeder saß still an seinem Platze, rauchte seine Pfeife, trank den herumgereichten Kaffee und flüsterte leise mit seinem Nachbar. Wenn aber der Mutesselim ein lautes Wort sagte, so neigten sie lauschend die Häupter, wie vor einem mächtigen Herrscher.
Auch meine Unterredung mit ihm wurde leise ge- führt. Nach einigen Weitschweifigkeiten sagte er:
"Ich habe schon gehört, daß du heute ein Mädchen heiltest, welches vom Teufel besessen war. Mein Hekim hat ihn hineinfahren sehen; er verlangte, daß ich dich fortschicken soll, weil du ein Zauberer bist."
"Dein Hekim ist ein Thor, Mutesselim! Das Mädchen hatte eine giftige Frucht gegessen, und ich gab ihr ein Mittel, durch welches das Gift unwirksam gemacht wurde. Von dem Teufel oder von einem Geiste war keine Rede."
"So bist du ein Hekim?"
"Nein. Du weißt ja, wer und was ich bin! Aber
Viertes Kapitel.
Aus der Feſtung.
Als ich zu dem Kommandanten kam, waren alle ſeine Beamten und auch die Offiziere der Beſatzung bereits um ihn verſammelt. Es gab alſo große Soiree. Ich erhielt den Ehrenplatz an ſeiner Seite. Wir befanden uns in einem größeren Zimmer, welches einem kleinen Saale glich; es wäre Raum genug zur freien Bewegung geweſen, aber ein jeder ſaß ſtill an ſeinem Platze, rauchte ſeine Pfeife, trank den herumgereichten Kaffee und flüſterte leiſe mit ſeinem Nachbar. Wenn aber der Muteſſelim ein lautes Wort ſagte, ſo neigten ſie lauſchend die Häupter, wie vor einem mächtigen Herrſcher.
Auch meine Unterredung mit ihm wurde leiſe ge- führt. Nach einigen Weitſchweifigkeiten ſagte er:
„Ich habe ſchon gehört, daß du heute ein Mädchen heilteſt, welches vom Teufel beſeſſen war. Mein Hekim hat ihn hineinfahren ſehen; er verlangte, daß ich dich fortſchicken ſoll, weil du ein Zauberer biſt.“
„Dein Hekim iſt ein Thor, Muteſſelim! Das Mädchen hatte eine giftige Frucht gegeſſen, und ich gab ihr ein Mittel, durch welches das Gift unwirkſam gemacht wurde. Von dem Teufel oder von einem Geiſte war keine Rede.“
„So biſt du ein Hekim?“
„Nein. Du weißt ja, wer und was ich bin! Aber
<TEI><text><body><pbfacs="#f0235"n="221"/><divn="1"><head>Viertes Kapitel.</head><lb/><head>Aus der Feſtung.</head><lb/><p><hirendition="#in">A</hi>ls ich zu dem Kommandanten kam, waren alle ſeine<lb/>
Beamten und auch die Offiziere der Beſatzung bereits um<lb/>
ihn verſammelt. Es gab alſo große Soiree. Ich erhielt<lb/>
den Ehrenplatz an ſeiner Seite. Wir befanden uns in<lb/>
einem größeren Zimmer, welches einem kleinen Saale glich;<lb/>
es wäre Raum genug zur freien Bewegung geweſen, aber<lb/>
ein jeder ſaß ſtill an ſeinem Platze, rauchte ſeine Pfeife,<lb/>
trank den herumgereichten Kaffee und flüſterte leiſe mit<lb/>ſeinem Nachbar. Wenn aber der Muteſſelim ein lautes<lb/>
Wort ſagte, ſo neigten ſie lauſchend die Häupter, wie<lb/>
vor einem mächtigen Herrſcher.</p><lb/><p>Auch meine Unterredung mit ihm wurde leiſe ge-<lb/>
führt. Nach einigen Weitſchweifigkeiten ſagte er:</p><lb/><p>„Ich habe ſchon gehört, daß du heute ein Mädchen<lb/>
heilteſt, welches vom Teufel beſeſſen war. Mein Hekim<lb/>
hat ihn hineinfahren ſehen; er verlangte, daß ich dich<lb/>
fortſchicken ſoll, weil du ein Zauberer biſt.“</p><lb/><p>„Dein Hekim iſt ein Thor, Muteſſelim! Das Mädchen<lb/>
hatte eine giftige Frucht gegeſſen, und ich gab ihr ein<lb/>
Mittel, durch welches das Gift unwirkſam gemacht wurde.<lb/>
Von dem Teufel oder von einem Geiſte war keine Rede.“</p><lb/><p>„So biſt du ein Hekim?“</p><lb/><p>„Nein. Du weißt ja, wer und was ich bin! Aber<lb/></p></div></body></text></TEI>
[221/0235]
Viertes Kapitel.
Aus der Feſtung.
Als ich zu dem Kommandanten kam, waren alle ſeine
Beamten und auch die Offiziere der Beſatzung bereits um
ihn verſammelt. Es gab alſo große Soiree. Ich erhielt
den Ehrenplatz an ſeiner Seite. Wir befanden uns in
einem größeren Zimmer, welches einem kleinen Saale glich;
es wäre Raum genug zur freien Bewegung geweſen, aber
ein jeder ſaß ſtill an ſeinem Platze, rauchte ſeine Pfeife,
trank den herumgereichten Kaffee und flüſterte leiſe mit
ſeinem Nachbar. Wenn aber der Muteſſelim ein lautes
Wort ſagte, ſo neigten ſie lauſchend die Häupter, wie
vor einem mächtigen Herrſcher.
Auch meine Unterredung mit ihm wurde leiſe ge-
führt. Nach einigen Weitſchweifigkeiten ſagte er:
„Ich habe ſchon gehört, daß du heute ein Mädchen
heilteſt, welches vom Teufel beſeſſen war. Mein Hekim
hat ihn hineinfahren ſehen; er verlangte, daß ich dich
fortſchicken ſoll, weil du ein Zauberer biſt.“
„Dein Hekim iſt ein Thor, Muteſſelim! Das Mädchen
hatte eine giftige Frucht gegeſſen, und ich gab ihr ein
Mittel, durch welches das Gift unwirkſam gemacht wurde.
Von dem Teufel oder von einem Geiſte war keine Rede.“
„So biſt du ein Hekim?“
„Nein. Du weißt ja, wer und was ich bin! Aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/235>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.