Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Daß ich es so kommen sah. Ein Kurde ist kein
heuchelnder Grieche und auch kein schmutziger Jude, der
sich nicht einmal krümmt, wenn man ihn tritt. Was wird
der Bey von Gumri thun, und was wird der Mutessarif
sagen!"

"Du wirst es ihm erzählen?"

"Ich werde schweigen, aber er wird die Folgen sehen."

"Ich lasse diesen Kurden zurückrufen!"

"Er wird nicht kommen."

"Ich will ihm ja nicht zürnen!"

"Er wird das nicht glauben. Es giebt nur einen
einzigen, der ihn bewegen kann, zurückzukehren."

"Wer ist das?"

"Ich bin es."

"Du?"

"Ja. Ich bin sein Freund; er wird vielleicht auf
meine Stimme hören."

"Du bist sein Freund? Du kennst ihn?"

"Ich habe ihn in deinem Vorzimmer zum erstenmal
gesehen. Aber ich sprach zu ihm wie zu einem Manne,
welcher der Bote eines Bey ist, und das hat ihn sicher
zu meinem Freund gemacht."

"Du weißt jedoch nicht, wo er sich befindet!"

"Ich weiß es."

"Wo ist er? Fort von Amadijah. Sein Pferd stand
unten."

"Er ist in meiner Wohnung, wohin ich ihn einge-
laden habe."

"Du hast ihn eingeladen? Soll er bei dir essen?"

"Ich werde ihn als Gast empfangen; die Hauptsache
aber ist, daß ich ihm eine Botschaft an den Bey anzuver-
trauen habe."

Der Mutesselim staunte immer mehr.

„Daß ich es ſo kommen ſah. Ein Kurde iſt kein
heuchelnder Grieche und auch kein ſchmutziger Jude, der
ſich nicht einmal krümmt, wenn man ihn tritt. Was wird
der Bey von Gumri thun, und was wird der Muteſſarif
ſagen!“

„Du wirſt es ihm erzählen?“

„Ich werde ſchweigen, aber er wird die Folgen ſehen.“

„Ich laſſe dieſen Kurden zurückrufen!“

„Er wird nicht kommen.“

„Ich will ihm ja nicht zürnen!“

„Er wird das nicht glauben. Es giebt nur einen
einzigen, der ihn bewegen kann, zurückzukehren.“

„Wer iſt das?“

„Ich bin es.“

„Du?“

„Ja. Ich bin ſein Freund; er wird vielleicht auf
meine Stimme hören.“

„Du biſt ſein Freund? Du kennſt ihn?“

„Ich habe ihn in deinem Vorzimmer zum erſtenmal
geſehen. Aber ich ſprach zu ihm wie zu einem Manne,
welcher der Bote eines Bey iſt, und das hat ihn ſicher
zu meinem Freund gemacht.“

„Du weißt jedoch nicht, wo er ſich befindet!“

„Ich weiß es.“

„Wo iſt er? Fort von Amadijah. Sein Pferd ſtand
unten.“

„Er iſt in meiner Wohnung, wohin ich ihn einge-
laden habe.“

„Du haſt ihn eingeladen? Soll er bei dir eſſen?“

„Ich werde ihn als Gaſt empfangen; die Hauptſache
aber iſt, daß ich ihm eine Botſchaft an den Bey anzuver-
trauen habe.“

Der Muteſſelim ſtaunte immer mehr.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0208" n="194"/>
        <p>&#x201E;Daß ich es &#x017F;o kommen &#x017F;ah. Ein Kurde i&#x017F;t kein<lb/>
heuchelnder Grieche und auch kein &#x017F;chmutziger Jude, der<lb/>
&#x017F;ich nicht einmal krümmt, wenn man ihn tritt. Was wird<lb/>
der Bey von Gumri thun, und was wird der Mute&#x017F;&#x017F;arif<lb/>
&#x017F;agen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du wir&#x017F;t es ihm erzählen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich werde &#x017F;chweigen, aber er wird die Folgen &#x017F;ehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich la&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;en Kurden zurückrufen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er wird nicht kommen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich will ihm ja nicht zürnen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er wird das nicht glauben. Es giebt nur einen<lb/>
einzigen, der ihn bewegen kann, zurückzukehren.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer i&#x017F;t das?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bin es.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja. Ich bin &#x017F;ein Freund; er wird vielleicht auf<lb/>
meine Stimme hören.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t &#x017F;ein Freund? Du kenn&#x017F;t ihn?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe ihn in deinem Vorzimmer zum er&#x017F;tenmal<lb/>
ge&#x017F;ehen. Aber ich &#x017F;prach zu ihm wie zu einem Manne,<lb/>
welcher der Bote eines Bey i&#x017F;t, und das hat ihn &#x017F;icher<lb/>
zu meinem Freund gemacht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du weißt jedoch nicht, wo er &#x017F;ich befindet!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich weiß es.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo i&#x017F;t er? Fort von Amadijah. Sein Pferd &#x017F;tand<lb/>
unten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er i&#x017F;t in meiner Wohnung, wohin ich ihn einge-<lb/>
laden habe.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du ha&#x017F;t ihn eingeladen? Soll er bei dir e&#x017F;&#x017F;en?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich werde ihn als Ga&#x017F;t empfangen; die Haupt&#x017F;ache<lb/>
aber i&#x017F;t, daß ich ihm eine Bot&#x017F;chaft an den Bey anzuver-<lb/>
trauen habe.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Mute&#x017F;&#x017F;elim &#x017F;taunte immer mehr.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0208] „Daß ich es ſo kommen ſah. Ein Kurde iſt kein heuchelnder Grieche und auch kein ſchmutziger Jude, der ſich nicht einmal krümmt, wenn man ihn tritt. Was wird der Bey von Gumri thun, und was wird der Muteſſarif ſagen!“ „Du wirſt es ihm erzählen?“ „Ich werde ſchweigen, aber er wird die Folgen ſehen.“ „Ich laſſe dieſen Kurden zurückrufen!“ „Er wird nicht kommen.“ „Ich will ihm ja nicht zürnen!“ „Er wird das nicht glauben. Es giebt nur einen einzigen, der ihn bewegen kann, zurückzukehren.“ „Wer iſt das?“ „Ich bin es.“ „Du?“ „Ja. Ich bin ſein Freund; er wird vielleicht auf meine Stimme hören.“ „Du biſt ſein Freund? Du kennſt ihn?“ „Ich habe ihn in deinem Vorzimmer zum erſtenmal geſehen. Aber ich ſprach zu ihm wie zu einem Manne, welcher der Bote eines Bey iſt, und das hat ihn ſicher zu meinem Freund gemacht.“ „Du weißt jedoch nicht, wo er ſich befindet!“ „Ich weiß es.“ „Wo iſt er? Fort von Amadijah. Sein Pferd ſtand unten.“ „Er iſt in meiner Wohnung, wohin ich ihn einge- laden habe.“ „Du haſt ihn eingeladen? Soll er bei dir eſſen?“ „Ich werde ihn als Gaſt empfangen; die Hauptſache aber iſt, daß ich ihm eine Botſchaft an den Bey anzuver- trauen habe.“ Der Muteſſelim ſtaunte immer mehr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/208
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/208>, abgerufen am 06.05.2024.