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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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als Geschenk einen perlengestickten und gefüllten Tabaks-
beutel, den er mit stolzer Genugthuung sofort an seinem
Gürtel befestigte, damit dieser Beweis seiner männlichen
Würde jedermann in die Augen falle.

Nun begann ich mit dem Engländer allein einen
Gang durch die Stadt, um dieselbe einigermaßen kennen
zu lernen, und erhielt die Ueberzeugung, daß diese einst
so wichtige Grenzfestung, auf welche die Türken auch heute
noch einen nicht geringen Wert legen, von einigen hundert
unternehmenden Kurden leicht überrumpelt werden könne.
Die wenigen Soldaten, welche wir trafen, sahen hungrig
und fieberkrank aus, und die Verteidigungswerke befanden
sich in einem Zustande, der ihnen alles Recht auf diesen
Namen raubte.

Als wir heimkehrten, wartete der Agha bereits meiner.

"Emir, ich harre schon lange auf dich."

"Warum?"

"Ich soll dich zum Mutesselim bringen."

"Bringen?" fragte ich mit lächelnder Betonung dieses
Wortes.

"Nein, sondern begleiten. Ich habe ihm alles er-
zählt und diesem Aufseher des Palastes die Fäuste unter
die Nase gehalten. Allah beschützte ihn, sonst hätte ich
ihn vielleicht gar getötet oder erwürgt!"

Dabei rollte er die Augen und bog die zehn Finger
wie Zangen zusammen.

"Was sagte der Kommandant?"

"Emir, soll ich dir die Wahrheit sagen?"

"Ich erwarte das!"

"Er ist nicht erfreut über deinen Besuch."

"Ah! Warum nicht?"

"Er liebt die Fremden nicht und empfängt überhaupt
sehr selten Besuche."

als Geſchenk einen perlengeſtickten und gefüllten Tabaks-
beutel, den er mit ſtolzer Genugthuung ſofort an ſeinem
Gürtel befeſtigte, damit dieſer Beweis ſeiner männlichen
Würde jedermann in die Augen falle.

Nun begann ich mit dem Engländer allein einen
Gang durch die Stadt, um dieſelbe einigermaßen kennen
zu lernen, und erhielt die Ueberzeugung, daß dieſe einſt
ſo wichtige Grenzfeſtung, auf welche die Türken auch heute
noch einen nicht geringen Wert legen, von einigen hundert
unternehmenden Kurden leicht überrumpelt werden könne.
Die wenigen Soldaten, welche wir trafen, ſahen hungrig
und fieberkrank aus, und die Verteidigungswerke befanden
ſich in einem Zuſtande, der ihnen alles Recht auf dieſen
Namen raubte.

Als wir heimkehrten, wartete der Agha bereits meiner.

„Emir, ich harre ſchon lange auf dich.“

„Warum?“

„Ich ſoll dich zum Muteſſelim bringen.“

„Bringen?“ fragte ich mit lächelnder Betonung dieſes
Wortes.

„Nein, ſondern begleiten. Ich habe ihm alles er-
zählt und dieſem Aufſeher des Palaſtes die Fäuſte unter
die Naſe gehalten. Allah beſchützte ihn, ſonſt hätte ich
ihn vielleicht gar getötet oder erwürgt!“

Dabei rollte er die Augen und bog die zehn Finger
wie Zangen zuſammen.

„Was ſagte der Kommandant?“

„Emir, ſoll ich dir die Wahrheit ſagen?“

„Ich erwarte das!“

„Er iſt nicht erfreut über deinen Beſuch.“

„Ah! Warum nicht?“

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[175/0189] als Geſchenk einen perlengeſtickten und gefüllten Tabaks- beutel, den er mit ſtolzer Genugthuung ſofort an ſeinem Gürtel befeſtigte, damit dieſer Beweis ſeiner männlichen Würde jedermann in die Augen falle. Nun begann ich mit dem Engländer allein einen Gang durch die Stadt, um dieſelbe einigermaßen kennen zu lernen, und erhielt die Ueberzeugung, daß dieſe einſt ſo wichtige Grenzfeſtung, auf welche die Türken auch heute noch einen nicht geringen Wert legen, von einigen hundert unternehmenden Kurden leicht überrumpelt werden könne. Die wenigen Soldaten, welche wir trafen, ſahen hungrig und fieberkrank aus, und die Verteidigungswerke befanden ſich in einem Zuſtande, der ihnen alles Recht auf dieſen Namen raubte. Als wir heimkehrten, wartete der Agha bereits meiner. „Emir, ich harre ſchon lange auf dich.“ „Warum?“ „Ich ſoll dich zum Muteſſelim bringen.“ „Bringen?“ fragte ich mit lächelnder Betonung dieſes Wortes. „Nein, ſondern begleiten. Ich habe ihm alles er- zählt und dieſem Aufſeher des Palaſtes die Fäuſte unter die Naſe gehalten. Allah beſchützte ihn, ſonſt hätte ich ihn vielleicht gar getötet oder erwürgt!“ Dabei rollte er die Augen und bog die zehn Finger wie Zangen zuſammen. „Was ſagte der Kommandant?“ „Emir, ſoll ich dir die Wahrheit ſagen?“ „Ich erwarte das!“ „Er iſt nicht erfreut über deinen Beſuch.“ „Ah! Warum nicht?“ „Er liebt die Fremden nicht und empfängt überhaupt ſehr ſelten Beſuche.“

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/189>, abgerufen am 29.11.2024.