"Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängnisses zu sein."
"Oh, die Leute, welche da drinnen stecken, können dich nicht stören. Ihre Löcher sind so tief, daß sie diese kleinen Fenster gar nicht erreichen können."
"Ist dies das einzige Gefängnis in Amadijah?"
"Ja. Das andere ist eingefallen. Mein Tschausch *) hat die Aufsicht über die Gefangenen."
"Und du glaubst, daß mich diese nicht stören werden?"
"Du wirst nichts von ihnen sehen und keinen Laut von ihnen hören."
"So werde ich dir die zehn Piaster geben. Du hast also in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaster von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich dich für die erste Woche jetzt gleich bezahle!"
Er schmunzelte bei diesem Anerbieten vor Vergnügen im ganzen Gesichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in die Tasch griff, um zu bezahlen. Er schüttelte den Kopf, zog seine eigne Börse hervor und reichte sie mir. Er konnte eine kleine Erleichterung derselben recht wohl ver- schmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor und gab sie dem Agha.
"Hier nimm! Das übrige ist Bakschisch für dich."
Das war mehr als das Doppelte von dem, was er zu erhalten hatte; darum machte er ein sehr vergnügtes Gesicht und meinte sehr respektvoll:
"Emir, der Kuran sagt: ,Wer doppelt giebt, dem wird es Allah hundertfach segnen.' Allah ist dein Schuld- ner; er wird es dir reichlich vergelten!"
*) Sergeant.
„Warum nicht?“
„Weil mich dieſe Mauer ſtört.“
„Dieſe Mauer? Warum, Effendi?“
„Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängniſſes zu ſein.“
„Oh, die Leute, welche da drinnen ſtecken, können dich nicht ſtören. Ihre Löcher ſind ſo tief, daß ſie dieſe kleinen Fenſter gar nicht erreichen können.“
„Iſt dies das einzige Gefängnis in Amadijah?“
„Ja. Das andere iſt eingefallen. Mein Tſchauſch *) hat die Aufſicht über die Gefangenen.“
„Und du glaubſt, daß mich dieſe nicht ſtören werden?“
„Du wirſt nichts von ihnen ſehen und keinen Laut von ihnen hören.“
„So werde ich dir die zehn Piaſter geben. Du haſt alſo in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaſter von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich dich für die erſte Woche jetzt gleich bezahle!“
Er ſchmunzelte bei dieſem Anerbieten vor Vergnügen im ganzen Geſichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in die Taſch griff, um zu bezahlen. Er ſchüttelte den Kopf, zog ſeine eigne Börſe hervor und reichte ſie mir. Er konnte eine kleine Erleichterung derſelben recht wohl ver- ſchmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor und gab ſie dem Agha.
„Hier nimm! Das übrige iſt Bakſchiſch für dich.“
Das war mehr als das Doppelte von dem, was er zu erhalten hatte; darum machte er ein ſehr vergnügtes Geſicht und meinte ſehr reſpektvoll:
„Emir, der Kuran ſagt: ‚Wer doppelt giebt, dem wird es Allah hundertfach ſegnen.‘ Allah iſt dein Schuld- ner; er wird es dir reichlich vergelten!“
*) Sergeant.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0182"n="168"/><p>„Warum nicht?“</p><lb/><p>„Weil mich dieſe Mauer ſtört.“</p><lb/><p>„Dieſe Mauer? Warum, Effendi?“</p><lb/><p>„Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängniſſes<lb/>
zu ſein.“</p><lb/><p>„Oh, die Leute, welche da drinnen ſtecken, können<lb/>
dich nicht ſtören. Ihre Löcher ſind ſo tief, daß ſie dieſe<lb/>
kleinen Fenſter gar nicht erreichen können.“</p><lb/><p>„Iſt dies das einzige Gefängnis in Amadijah?“</p><lb/><p>„Ja. Das andere iſt eingefallen. Mein Tſchauſch <noteplace="foot"n="*)">Sergeant.</note><lb/>
hat die Aufſicht über die Gefangenen.“</p><lb/><p>„Und du glaubſt, daß mich dieſe nicht ſtören werden?“</p><lb/><p>„Du wirſt nichts von ihnen ſehen und keinen Laut<lb/>
von ihnen hören.“</p><lb/><p>„So werde ich dir die zehn Piaſter geben. Du haſt<lb/>
alſo in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaſter<lb/>
von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich dich für die erſte<lb/>
Woche jetzt gleich bezahle!“</p><lb/><p>Er ſchmunzelte bei dieſem Anerbieten vor Vergnügen<lb/>
im ganzen Geſichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in<lb/>
die Taſch griff, um zu bezahlen. Er ſchüttelte den Kopf,<lb/>
zog ſeine eigne Börſe hervor und reichte ſie mir. Er<lb/>
konnte eine kleine Erleichterung derſelben recht wohl ver-<lb/>ſchmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor<lb/>
und gab ſie dem Agha.</p><lb/><p>„Hier nimm! Das übrige iſt Bakſchiſch für dich.“</p><lb/><p>Das war mehr als das Doppelte von dem, was er<lb/>
zu erhalten hatte; darum machte er ein ſehr vergnügtes<lb/>
Geſicht und meinte ſehr reſpektvoll:</p><lb/><p>„Emir, der Kuran ſagt: ‚Wer doppelt giebt, dem<lb/>
wird es Allah hundertfach ſegnen.‘ Allah iſt dein Schuld-<lb/>
ner; er wird es dir reichlich vergelten!“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[168/0182]
„Warum nicht?“
„Weil mich dieſe Mauer ſtört.“
„Dieſe Mauer? Warum, Effendi?“
„Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängniſſes
zu ſein.“
„Oh, die Leute, welche da drinnen ſtecken, können
dich nicht ſtören. Ihre Löcher ſind ſo tief, daß ſie dieſe
kleinen Fenſter gar nicht erreichen können.“
„Iſt dies das einzige Gefängnis in Amadijah?“
„Ja. Das andere iſt eingefallen. Mein Tſchauſch *)
hat die Aufſicht über die Gefangenen.“
„Und du glaubſt, daß mich dieſe nicht ſtören werden?“
„Du wirſt nichts von ihnen ſehen und keinen Laut
von ihnen hören.“
„So werde ich dir die zehn Piaſter geben. Du haſt
alſo in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaſter
von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich dich für die erſte
Woche jetzt gleich bezahle!“
Er ſchmunzelte bei dieſem Anerbieten vor Vergnügen
im ganzen Geſichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in
die Taſch griff, um zu bezahlen. Er ſchüttelte den Kopf,
zog ſeine eigne Börſe hervor und reichte ſie mir. Er
konnte eine kleine Erleichterung derſelben recht wohl ver-
ſchmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor
und gab ſie dem Agha.
„Hier nimm! Das übrige iſt Bakſchiſch für dich.“
Das war mehr als das Doppelte von dem, was er
zu erhalten hatte; darum machte er ein ſehr vergnügtes
Geſicht und meinte ſehr reſpektvoll:
„Emir, der Kuran ſagt: ‚Wer doppelt giebt, dem
wird es Allah hundertfach ſegnen.‘ Allah iſt dein Schuld-
ner; er wird es dir reichlich vergelten!“
*) Sergeant.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/182>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.