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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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kam er sicherlich nicht wieder, und ein hinterlistiger An-
fall stand wohl auch nicht zu befürchten. Der Engländer
brauchte nun, da er mich gefunden hatte, weder ihn noch
den Dolmetscher, und so wurde auch dieser letztere ab-
gelohnt, und zwar mit der Weisung, daß er morgen früh
Spandareh verlassen und nach Mossul zurückkehren könne.

Die übrige Zeit des Abends verbrachten wir mit
den Kurden in lebhafter Unterhaltung, die mit einem
Tanze schloß, der uns zu Ehren veranstaltet wurde. Man
lud uns ein, in den Hof zu kommen. Dieser bildete ein
Viereck, das von einem niederen Dache eingeschlossen
wurde, auf dem sämtliche anwesende Männer Platz nah-
men. Hier lagen, hockten und knieten sie in den malerisch-
sten Stellungen, während sich gegen dreißig Frauen in
dem Hofraume zum Tanze versammelt hatten.

Sie bildeten einen doppelten Kreis, in dessen Mitte
ein Vortänzer stand, der einen Wurfspieß schwang. Das
Orchester bestand aus einer Flöte, einer Art von Geige
und zwei Tamburins. Der Vortänzer gab das Zeichen
zum Beginne durch einen lauten Ruf. Seine Tanzkunst
bestand aus den mannigfaltigsten Arm- und Beinbewe-
gungen, die er immer auf ein und derselben Stelle aus-
führte. Der Kreis der Frauen ahmte dieselben nach. Ich
fand nicht, daß diesem einfachen Tanze irgend ein Ge-
danke, irgend eine Idee zu Grunde liege; aber dennoch
gewährten diese Frauen mit ihren eckigen Turbanmützen,
von denen lange, über den Rücken geschlungene Schleier
herabwallten, bei der ungewissen Fackelbeleuchtung einen
ganz hübschen Anblick.

Als dieser einfache Tanz beendet war, gaben die
Männer ihre Zufriedenheit durch ein lautes Murmeln zu
erkennen, ich aber zog ein Armband hervor und rief
die Tochter des Vorstehers, die mich beim Essen bedient

kam er ſicherlich nicht wieder, und ein hinterliſtiger An-
fall ſtand wohl auch nicht zu befürchten. Der Engländer
brauchte nun, da er mich gefunden hatte, weder ihn noch
den Dolmetſcher, und ſo wurde auch dieſer letztere ab-
gelohnt, und zwar mit der Weiſung, daß er morgen früh
Spandareh verlaſſen und nach Moſſul zurückkehren könne.

Die übrige Zeit des Abends verbrachten wir mit
den Kurden in lebhafter Unterhaltung, die mit einem
Tanze ſchloß, der uns zu Ehren veranſtaltet wurde. Man
lud uns ein, in den Hof zu kommen. Dieſer bildete ein
Viereck, das von einem niederen Dache eingeſchloſſen
wurde, auf dem ſämtliche anweſende Männer Platz nah-
men. Hier lagen, hockten und knieten ſie in den maleriſch-
ſten Stellungen, während ſich gegen dreißig Frauen in
dem Hofraume zum Tanze verſammelt hatten.

Sie bildeten einen doppelten Kreis, in deſſen Mitte
ein Vortänzer ſtand, der einen Wurfſpieß ſchwang. Das
Orcheſter beſtand aus einer Flöte, einer Art von Geige
und zwei Tamburins. Der Vortänzer gab das Zeichen
zum Beginne durch einen lauten Ruf. Seine Tanzkunſt
beſtand aus den mannigfaltigſten Arm- und Beinbewe-
gungen, die er immer auf ein und derſelben Stelle aus-
führte. Der Kreis der Frauen ahmte dieſelben nach. Ich
fand nicht, daß dieſem einfachen Tanze irgend ein Ge-
danke, irgend eine Idee zu Grunde liege; aber dennoch
gewährten dieſe Frauen mit ihren eckigen Turbanmützen,
von denen lange, über den Rücken geſchlungene Schleier
herabwallten, bei der ungewiſſen Fackelbeleuchtung einen
ganz hübſchen Anblick.

Als dieſer einfache Tanz beendet war, gaben die
Männer ihre Zufriedenheit durch ein lautes Murmeln zu
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die Tochter des Vorſtehers, die mich beim Eſſen bedient

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[137/0151] kam er ſicherlich nicht wieder, und ein hinterliſtiger An- fall ſtand wohl auch nicht zu befürchten. Der Engländer brauchte nun, da er mich gefunden hatte, weder ihn noch den Dolmetſcher, und ſo wurde auch dieſer letztere ab- gelohnt, und zwar mit der Weiſung, daß er morgen früh Spandareh verlaſſen und nach Moſſul zurückkehren könne. Die übrige Zeit des Abends verbrachten wir mit den Kurden in lebhafter Unterhaltung, die mit einem Tanze ſchloß, der uns zu Ehren veranſtaltet wurde. Man lud uns ein, in den Hof zu kommen. Dieſer bildete ein Viereck, das von einem niederen Dache eingeſchloſſen wurde, auf dem ſämtliche anweſende Männer Platz nah- men. Hier lagen, hockten und knieten ſie in den maleriſch- ſten Stellungen, während ſich gegen dreißig Frauen in dem Hofraume zum Tanze verſammelt hatten. Sie bildeten einen doppelten Kreis, in deſſen Mitte ein Vortänzer ſtand, der einen Wurfſpieß ſchwang. Das Orcheſter beſtand aus einer Flöte, einer Art von Geige und zwei Tamburins. Der Vortänzer gab das Zeichen zum Beginne durch einen lauten Ruf. Seine Tanzkunſt beſtand aus den mannigfaltigſten Arm- und Beinbewe- gungen, die er immer auf ein und derſelben Stelle aus- führte. Der Kreis der Frauen ahmte dieſelben nach. Ich fand nicht, daß dieſem einfachen Tanze irgend ein Ge- danke, irgend eine Idee zu Grunde liege; aber dennoch gewährten dieſe Frauen mit ihren eckigen Turbanmützen, von denen lange, über den Rücken geſchlungene Schleier herabwallten, bei der ungewiſſen Fackelbeleuchtung einen ganz hübſchen Anblick. Als dieſer einfache Tanz beendet war, gaben die Männer ihre Zufriedenheit durch ein lautes Murmeln zu erkennen, ich aber zog ein Armband hervor und rief die Tochter des Vorſtehers, die mich beim Eſſen bedient

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/151>, abgerufen am 22.11.2024.