Nach Ablauf dieser Feste wollte ich nach Amadijah aufbrechen, erfuhr aber, daß Mohammed Emin sich in den Bergen von Kaloni den Fuß vertreten hatte, und so war ich gezwungen, drei Wochen lang seine Wiederherstellung abzuwarten. Indes ging mir diese Zeit nicht ungenützt vorüber, da sie mir die höchst willkommene Gelegenheit bot, mich mit dem Kurdischen vertrauter als bisher zu machen.
Endlich benachrichtigte mich der Haddedihn durch einen Boten, daß er zum Aufbruche bereit sei, und so hatte ich mich in aller Frühe aufgemacht, um ihn bei dem Häuptlinge der Badinankurden abzuholen. Mein Abschied von den Dschesidi war ein herzlicher, und ich mußte versprechen, auf der Rückkehr noch einige Tage bei ihnen zu verweilen. Zwar hatte ich mir jede Beglei- tung verbeten, aber Ali Bey ließ es sich nicht nehmen, mich wenigstens zu den Badinan zu bringen, um auch Mohammed Emin lebewohl sagen zu können.
Jetzt also hielten wir auf der östlichen Höhe von Scheik Adi und ließen die Ereignisse der letzten Wochen an uns vorüberfliegen. Was werden die nächsten Tage bringen? Je weiter nach Nordost hinauf, desto wilder werden die Bergvölker, die keinen Ackerbau kennen und nur von Raub und Viehzucht leben. Ali Bey mochte mir diesen Gedanken von der Stirn ablesen.
"Emir, du gehst beschwerliche und gefährliche Wege," meinte er. "Wie weit hinauf willst du in die Berge?"
"Zunächst nur bis nach Amadijah."
"Du wirst noch weiter müssen."
"Warum?"
"Dein Werk in Amadijah mag gelingen oder nicht, so bleibt die Flucht dein Los. Man kennt den Weg, wel- chen der Sohn Mohammed Emins einzuschlagen hat, um
Nach Ablauf dieſer Feſte wollte ich nach Amadijah aufbrechen, erfuhr aber, daß Mohammed Emin ſich in den Bergen von Kaloni den Fuß vertreten hatte, und ſo war ich gezwungen, drei Wochen lang ſeine Wiederherſtellung abzuwarten. Indes ging mir dieſe Zeit nicht ungenützt vorüber, da ſie mir die höchſt willkommene Gelegenheit bot, mich mit dem Kurdiſchen vertrauter als bisher zu machen.
Endlich benachrichtigte mich der Haddedihn durch einen Boten, daß er zum Aufbruche bereit ſei, und ſo hatte ich mich in aller Frühe aufgemacht, um ihn bei dem Häuptlinge der Badinankurden abzuholen. Mein Abſchied von den Dſcheſidi war ein herzlicher, und ich mußte verſprechen, auf der Rückkehr noch einige Tage bei ihnen zu verweilen. Zwar hatte ich mir jede Beglei- tung verbeten, aber Ali Bey ließ es ſich nicht nehmen, mich wenigſtens zu den Badinan zu bringen, um auch Mohammed Emin lebewohl ſagen zu können.
Jetzt alſo hielten wir auf der öſtlichen Höhe von Scheik Adi und ließen die Ereigniſſe der letzten Wochen an uns vorüberfliegen. Was werden die nächſten Tage bringen? Je weiter nach Nordoſt hinauf, deſto wilder werden die Bergvölker, die keinen Ackerbau kennen und nur von Raub und Viehzucht leben. Ali Bey mochte mir dieſen Gedanken von der Stirn ableſen.
„Emir, du gehſt beſchwerliche und gefährliche Wege,“ meinte er. „Wie weit hinauf willſt du in die Berge?“
„Zunächſt nur bis nach Amadijah.“
„Du wirſt noch weiter müſſen.“
„Warum?“
„Dein Werk in Amadijah mag gelingen oder nicht, ſo bleibt die Flucht dein Los. Man kennt den Weg, wel- chen der Sohn Mohammed Emins einzuſchlagen hat, um
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Nach Ablauf dieſer Feſte wollte ich nach Amadijah
aufbrechen, erfuhr aber, daß Mohammed Emin ſich in den
Bergen von Kaloni den Fuß vertreten hatte, und ſo war
ich gezwungen, drei Wochen lang ſeine Wiederherſtellung
abzuwarten. Indes ging mir dieſe Zeit nicht ungenützt
vorüber, da ſie mir die höchſt willkommene Gelegenheit
bot, mich mit dem Kurdiſchen vertrauter als bisher zu
machen.
Endlich benachrichtigte mich der Haddedihn durch
einen Boten, daß er zum Aufbruche bereit ſei, und ſo
hatte ich mich in aller Frühe aufgemacht, um ihn bei
dem Häuptlinge der Badinankurden abzuholen. Mein
Abſchied von den Dſcheſidi war ein herzlicher, und ich
mußte verſprechen, auf der Rückkehr noch einige Tage
bei ihnen zu verweilen. Zwar hatte ich mir jede Beglei-
tung verbeten, aber Ali Bey ließ es ſich nicht nehmen,
mich wenigſtens zu den Badinan zu bringen, um auch
Mohammed Emin lebewohl ſagen zu können.
Jetzt alſo hielten wir auf der öſtlichen Höhe von
Scheik Adi und ließen die Ereigniſſe der letzten Wochen
an uns vorüberfliegen. Was werden die nächſten Tage
bringen? Je weiter nach Nordoſt hinauf, deſto wilder
werden die Bergvölker, die keinen Ackerbau kennen und
nur von Raub und Viehzucht leben. Ali Bey mochte
mir dieſen Gedanken von der Stirn ableſen.
„Emir, du gehſt beſchwerliche und gefährliche Wege,“
meinte er. „Wie weit hinauf willſt du in die Berge?“
„Zunächſt nur bis nach Amadijah.“
„Du wirſt noch weiter müſſen.“
„Warum?“
„Dein Werk in Amadijah mag gelingen oder nicht,
ſo bleibt die Flucht dein Los. Man kennt den Weg, wel-
chen der Sohn Mohammed Emins einzuſchlagen hat, um
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/129>, abgerufen am 22.11.2024.
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